Frauen als Kriegsdienstverweigerinnen

von Majken Jul Sørensen

Können Frauen KDVerinnen sein, wenn sie keiner Wehrpflicht unterliegen? Natürlich nicht, würden viele Leute sagen. Aber manche Frauen sehen dies anders. Wir betrachten uns als Verweigerinnen, obwohl niemand von uns verlangt hat, Soldatin zu werden. Warum? Weil der Militarismus unser Leben genauso in Mitleidenschaft zieht wie das Leben von Soldaten, und wir die Militarisierung unserer Gesellschaften ablehnen. Der Soldat mag das erste und sichtbarste Opfer dieser Militarisierung sein. Aber wenn wir darüber nachdenken, sind wir nicht weniger betroffen. Soldaten behaupten, dass sie ihre schmutzige Arbeit verrichten, um uns zu schützen, aber wir lehnen diesen “Schutz” in unserem Namen ab. Zu sagen “ich bin eine Verweigerin aus Gewissensgründen” ist für mich ein Weg, die Verantwortung persönlich zu machen, den Militarismus abzulehnen, auch wenn ich eine Zivilistin bin und Zeit meines Lebens Pazifistin war.

Das Rätsel
Als ich zum ersten Mal Frauen traf, die sich als KDVerinnen betrachteten, obwohl sie nicht zwangsverpflichtet waren, war auch ich verwirrt. Das geschah erst vor wenigen Jahren, als ich Artikel für das Buch “Women Conscientious Objectors – an Anthology” sammelte. Warum reichte es ihnen nicht aus, sich als Friedensarbeiterinnen oder Kriegsgegnerinnen zu bezeichnen? Die Antworten fallen natürlich unterschiedlich aus, weil KDVerinnen in so unterschiedlichen Ländern wie Türkei und Kolumbien leben. Doch als Ellen und ich uns die verschiedenen Antworten ansahen, entdeckten wir ein Muster: Es scheinen die Frauen in gemischten Gruppen zu sein, die diese Option wählen, nicht die Frauen, die in reinen Frauengruppen engagiert sind. Einige der Frauen sagten ausdrücklich, dass sie diesen Schritt taten, weil sie sich in ihren Gruppen marginalisiert fühlten. Sie wollten es sichtbar machen, dass auch sie von Militarismus betroffen waren, und wollten nicht nur als die Unterstützerinnen männlicher Verweigerer gelten. Für lateinamerikanische Frauen in Kolumbien und Paraguay ist die KDV ein Weg, der Kultur der Gewalt, des Machismos und des Patriarchats Widerstand zu leisten, die das Militär fördert.

Weite und enge Verständnisse von KDV
Es gibt enge und weite Definitionen von KDV, und sie existieren räumlich wie zeitlich Seite an Seite. Ein enges Verständnis ist das Konzept, irgendeine Art von militärischem Zwangsdienst zu verweigern. Meistens bedeutet dies, dass es auch eine entsprechende rechtliche Definition gibt, die die Bedingungen für das Recht auf KDV festlegt. Aber für andere – wie mich - sollte KDV viel weiter gefasst werden. Wir interessieren uns nicht für die Definitionen von Anwälten und Gesetzesmachern, sondern dafür, wie wir unserem Widerstand gegen Militarismus am Besten Ausdruck verleihen. Wir sehen KDV als eine Strategie gegen Militarismus. Aber heißt das, dass alle Mitglieder der Friedensbewegung auch KDVerInnen sind? Bei Weitem nicht. Jene, die nur bestimmte Kriege oder eine bestimmte Form von Dienst ablehnen, würden niemals als KDVer in diesem weiten Verständnis des Wortes angesehen werden. Obwohl ich es aufgegeben habe, klar zu definieren, wo meine Verweigerung endet und meine andere Friedensarbeit anfängt, glaube ich, dass man, um eine KDVerin in diesem weitem Sinne zu sein, zwei Dinge gleichzeitig tun muss: Man muss die Sache personifizieren, indem man sagt “Ich bin eine Verweigerin”, und gleichzeitig diese Aussage mit einer Ablehnung von Militarismus verbinden.

Viele Leute, Männer und Frauen, die als KDVerInnen rechtlich anerkannt sind, sind auch KDVerInnen in diesem weiten Sinne. Aber nicht jedeR. Das Militär zu vermeiden, ist etwas, das immer ermutigt werden sollte, egal was die Gründe dahinter sind. Lebensumstände und Persönlichkeit können es für manche Menschen praktisch unmöglich machen, den Schritt von der ‘engen’ zur ‘weiten’ KDV zu machen. Sie versuchen vielleicht, sich als “untauglich” einordnen zu lassen, und so die Zahl der Menschen zu verringern, die als SoldatInnen zur Verfügung stehen. Trotzdem glaube ich, dass Menschen, die KDVer in dem legalen Sinne werden, um ihre Seelen zu retten oder ‘leichter’ durch den Dienst zu kommen, einem wichtigen Aspekt der KDV aus dem Weg gehen: Als KDVerinnen haben wir, meine ich, die Verantwortung, Nein zu allen Kriegen und Kriegsvorbereitungen zu sagen und unsere Perspektive in andere Aktionen gegen die Militarisierung der Gesellschaft einzubringen.

Wehrpflicht im Namen der Geschlechtergleichheit?
In Israel und Eritrea werden Frauen im Namen der Gleichberechtigung zwangsverpflichtet und können Verweigerinnen im engen und weiten Sinne des Begriffes sein. Frauen in den Berufsarmeen der USA und Europas treten dem Militär mehr oder weniger freiwillig bei, aber finden sich in Situationen wieder, die sie sich nicht vorgestellt hatten, und tun Dinge, die sie nicht im Kopf hatten, als sie sich anboten, ihrem Land zu dienen. Sie entwickeln ihre KDV, während sie im Militär sind, aber müssen feststellen, dass es viel schwerer ist, aus dem Militär aus- denn einzutreten. (Das gilt natürlich auch für Männer.) Es gibt keinen Zweifel, dass Frauen gute Soldatinnen sein und genauso gut wie Männer lernen können, auf Befehl zu töten, aber jedeR sollte sich die Frage stellen: Warum bloß muss Geschlechtergleichheit bedeuten, dass Frauen den Männern gleichgestellt werden und nicht umgekehrt?

Eine andere Art von KDVerinnen verweigert “zivile” Pflichten, die nicht das Tragen einer Waffe mit einschließen und nicht offiziell Teil des militärischen Systems sind. Sie sind weibliche Totalverweigerer, die argumentieren, dass ziviler Dienst Teil der Militarisierung der Gesellschaft ist, egal welche Behörde für die praktische Organisation zuständig ist. Diese Frauen finden wir sowohl in Kriegs- wie in sog. Friedenszeiten.

Krieg und Kriegsvorbereitung widerstehen
Ein interessantes Beispiel für eine Frau, die zivilen Dienst in Friedenszeiten verweigerte, ist Barbro Alving, eine schwedische Journalistin, die unter dem Namen “Bang” schrieb. Sie verbrachte 1956 einen Monat im Gefängnis, weil sie sich zwei Jahre zuvor geweigert hatte, an einem zivilen Luftschutztraining teilzunehmen. Sie war in Schweden eine bekannte Persönlichkeit aufgrund ihrer Berichte aus dem spanischen Bürgerkrieg 1936. Alving verstand sich als radikale Pazifistin, seitdem sie als junge Frau 1935 an einer Aktion mit dem Namen “Der unbewaffnete Frauenaufstand gegen Krieg” teilgenommen hatte. Ihr Fall ist faszinierend, weil ihre Position so radikal war, auch im Vergleich zu vielen unserer gegenwärtigen KDVerinnen. Barbro Alvings Verweigerung geschah in den Nachwehen des 2. Weltkriegs, und während die Drohung eines Atomkriegs über allen Köpfen hing. Sowohl in den 1930er wie wieder in den 50er Jahren  sprach sie sich gegen Krieg als solchen aus. Bei einem Atomkrieg würde es keine Unterscheidung zwischen “ZivilistInnen” und “Soldaten” geben, und deshalb fühlte sie sich als Zivilistin verpflichtet, sich gegen den Wahnsinn auszusprechen, den sie sah. Ihre Weigerung, an einem “zivilen” Training teilzunehmen, verursachte eine große öffentliche Debatte, teilweise wohl weil sie so prominent war. Kurz danach wurde die zivile Dienstpflicht für Frauen ausgesetzt. Aber sie war sehr enttäuscht, dass ihre Aktion zu einer Debatte darüber führte, ob Individuen wie ihr die Möglichkeit einer Verweigerung aus Gewissensgründen gegeben werden solle oder nicht. Was sie sich erhofft hatte, war eine Diskussion über Krieg, Verteidigung und wie die Sicherheit aller hergestellt werden könnte. Sie spricht in diesem Kontext nicht explizit über Feminismus, aber es scheint, dass ihre Identität als Mutter und Frau in ihrer Argumentationsführung zu dem Thema eine große Rolle spielte.

Ein paar Jahre vor Barbro Alvings Verweigerung weigerten sich viele britische Frauen, Pflichten auszuüben, zu denen sie während des Krieges zwangsverpflichtet wurden, und eine große Zahl von ihnen verbrachte dafür Zeit im Gefängnis. Zumeist waren dies Frauen, die vor dem Krieg schon Mitglieder der Friedensbewegung gewesen waren.

Militarismus aus feministischer Perspektive angreifen
Weibliche KDVer benutzen oft ihre feministischen Perspektiven als Ausgangspunkt, Militarismus zu widerstehen und zu kritisieren. Wir sehen in der Existenz des Militärs als Institution einen Widerspruch zu den feministischen Werten der Gleichheit, Solidarität und Gewaltfreiheit. Obwohl wir die Logik der Argumentation verstehen, sind wir überrascht, dass irgendjemand eine Wehrpflicht für Frauen als einen Schritt hin zur Gleichberechtigung ansehen kann.

Um dies zu erklären, möchte ich Idan Halilli zitieren, die erste Israelin, die eine Entlassung aus dem Militär allein auf der Basis ihrer Identität als Feministin forderte. Obwohl sie sich heute als Pazifistin sieht, war es ihr Feminismus, der sie zu diesem Punkt gebracht hat. Als sie sich über den männlichen Chauvinismus in der Armee beklagte, schlugen Leute ihr vor, dass sie doch, anstatt eine KDVerin zu werden, der Armee beitreten solle. Auf diese Weise, so argumentierten sie, könne sie von Innen an der Veränderung der Kultur der Institution wirken. Aber Idan findet das absurd und sagt: “Irgendwie ist es mir nicht klar, wie ein Eintritt in die männlich-chauvinistische Organisation des Landes feministische Aktion bewirken kann. … Nur in der Armee sind so viele unterdrückende Elemente auf so extreme Art und Weise miteinander vereint, und nur in der Armee sind diese Elemente lebenswichtige Essenz der Organisation. Eine nicht-hierarchische, nicht-aggressive oder gewaltlose Armee wäre keine Armee …” (Zitiert nach Elster & Soerenson S. 72-73) Obwohl Idan ihren Militärdienst verweigerte, verbindet ihre Analyse die individuelle Verweigerung mit einer Ablehnung jeder Form von Militarisierung von Gesellschaften. Deshalb denke ich, dass sie ausdrückt, was viele KDVerinnen, die nicht einberufen werden, glauben.

Ein anderer Punkt, den Idan anspricht, ist auch ein Thema für türkische KDVerinnen. Wie mit der Tatsache umgehen, dass KDVer, die Gefängnisstrafen absitzen, zu Helden der Friedensbewegung werden und einen höheren Status als andere AktivistInnen haben? Ist dies nicht eine Reproduktion der männlichen Wahrnehmung von Opfer, die ihren Ursprung im Militär hat? Idan denkt, dass das Bild eines ‘heroischen Kriegers’ mit dem Bild eines ‘heroischen Verweigerers’ ausgetauscht wurde. Aus diesem Grund erklärte sich Idan 2005 nach einem Jahr Haft einverstanden, mit der Begründung der “Untauglichkeit für den Militärdienst” aus der Armee entlassen zu werden. Sie akzeptierte eher diese Armeeterminologie, als ihre geistige Gesundheit durch wiederholte Haftstrafen zu opfern. Ihrer Ansicht nach brauchte sie nicht die Anerkennung der Armee, dass Feminismus ein Grund sei, als KDVerin akzeptiert zu werden.

Als wir das oben erwähnte Buch herausgaben, haben Ellen und ich bemerkt, dass KDV von Frauen ein Thema ist, das immer wieder unter unterschiedlichen Umständen und an verschiedenen Orten in der Welt aufkommt. Schon 1980 schrieb eine Gruppe von Frauen in den War Resisters’ International ein Statement “Totaler Widerstand gegen Militärdienst”, das ähnliche Ansichten wie die vertrat, die ich hier als meine persönlichen beschrieben habe. Trotzdem scheinen wir KDVerinnen immer eine Minderheit zu sein. Sowohl in der allgemeinen Gesellschaft wie aber auch in den Friedens- und Frauenbewegungen. Für mich ist es ein Rätsel, dass sich nicht mehr Frauen als KDVerinnen verstehen. Der Schritt von feministischen Werten hin zur Anerkennung der Notwendigkeit, Militarismus in der Gesellschaft zu widerstehen, ist nicht so groß. Und warum es nicht persönlich zum Ausdruck bringen?

Aber letztlich ist es unwichtig, ob Du Dich als Kriegsgegnerin, stolze Deserteurin, Friedensarbeiterin oder KDVerin bezeichnest, solange es zu einer aktiven Konfrontation mit der Militarisierung unserer Gesellschaften führt.

Ausgabe

Rubrik

Schwerpunkt