Friedensarbeit braucht einen langen Atem. Was nun?

von Vesna Terselic
Initiativen
Initiativen

Heute sind in Kroatien die SerbInnen "die Anderen" - und morgen? Ve­sna Terselic beschreibt in ihrem Artikel die Situation und die Möglich­keiten der Opposition im Land. Todesschwadronen gibt es keine, aber die Machthaber schüren mit ihrer ethnisch geprägten Politik ein gefähr­liches Klima der Unsicherheit. Die Antikriegszentren werden, so Terse­lic, noch länger auf Unterstützung angewiesen sein.

Auf seiner Reise von Zagreb nach Split, im "Freiheitszug" durch das soeben "befreite" Knin, sagte Kroatiens Präsi­dent Franjo Tudjman: Nach "Gewitter" und "Sturm" (den Eroberungszügen Kroatiens gegen Westslawonien im Mai und gegen die ehemaligen Uno-Schutz­zonen Nord und Süd im August; die Red.) ist Kroatien eine Macht, mit der man rechnen muß. Er versprach: ,Auch die noch besetzten Gebiete der Baranja und Ostslawoniens werden bald frei sein - auf friedlichem Weg, wenn Gott und die internationale Gemeinschaft wollen, und wenn das nicht möglich ist, dann mit unserer kroatischen Macht. In ihrer Sonntags-Kolumne in der (einzigen un­abhängigen) Tageszeitung Novi List schreibt Jelena Lovric: "Die Reise des" sogenannten Freiheitszuges wurde zur Vor-Wahl-Feier. Der nationale Erfolg wurde von einer Partei vereinnahmt. Die aufrichtige Freude und Erregung der Menschen über das befreite Land und den Wiederanschluss der Gebietegeriet in den Medien zum Siegeszug eines Mannes und einer Partei.

"Wir" und "sie"

In seiner Rede sprach der Präsident von "uns" und von "ihnen". Er sprach nur zu KroatInnen, so als ob SerbInnen, Italie­nerInnen und Menschen anderer Natio­nalitäten nicht hier in diesem Land le­ben würden. Er sprach nur von "unseren" Opfern. "Sie", das sind die Feinde, jetzt die SerbInnen, morgen vielleicht jemand anders. Vielleicht die IstrierInnen, vielleicht die KroatInnen aus der Herzegowina, vielleicht... ,Etwas wurde anders, als die SerbInnen Kroatien verließen. Der ewige Feind ist verschwunden und kann nicht mehr be­schworen werden. Eine Zeit lang kön­nen die verbliebenen SerbInnen noch als Feinde dienen, aber Kroatien muß bald einen neuen Sündenbock finden. Die jetzigen Machthaber können ohne Feind nicht auskommen. "So schließt Jelena Lovric ihre Kolumne. "Sie" das waren jetzt auch Leute der kroatischen Sozial-Liberalen Partei HSLP, der größten Op­positionskraft im Land. Sie geriet unter starken Druck durch die herrschende, Kroatische Demokratische Vereini­gung"(HDZ) von Präsident Tudjman. Die HDZ versuchte, so viele Vertrete­rInnen der Opposition wie möglich vor den Wahlen über den Tisch zu ziehen. Mehrere bekannte Persönlichkeiten der HSLP wechselten die Seite. So zum Beispiel der liberale Bürgermeister von Split, der Vizepräsident des Länder­hauses (entspricht dem Ständerat in der Schweiz) und der bekannte Fußball­spieler Aljosa Asanovic. Die HDZ be­hauptet von sich, heute mehr als eine halbe Million Mitglieder zu haben. Daß die HDZ bereit ist, alle Mittel einzuset­zen, wurde klar, als Zeljko Kalinovic, Mitglied des Stadtrates von Osijek, die Zeitungen informierte, daß er für einen Parteiwechsel eine dringend benötigte Nierenoperation offeriert bekam. Nach dieser Veröffentlichung wird das Ange­bot wohl zurückgezogen.

Die Landschaft der Krajina mit ihren verlassenen Dörfern und ihren nieder­gebrannten Häusern sieht kaum vielver­sprechend aus, aber das kann die kroati­schen Behörden nicht entmutigen. Mini­ster Jure Radic erklärte an einem Tref­fen mit Flüchtlingen aus dem nordbos­nischen Banja Luka: Historische Pro­zesse, wie sie einmal in tausend Jahren geschehen, führen zu demographischen Veränderungen. Selbstverständlich ha­ben wir das nicht beabsichtigt, aber jetzt, wo es geschieht, müssen wir jedes individuelle Leiden zum nationalen Vorteil gestalten. Ihr solltet euch bewusst sein, daß ihr für immer nach Kroatien gekommen seid. Es bestehen Pläne, wie ihr in den befreiten Gebieten Kroatiens angesiedelt werden könnt." Und Adalbert Rebic, Präsident des Re­gierungsbüros für Flüchtlinge und Ver­triebene, meinte: ,Kroaten werden in den verlassenen Häusern in Vojnic, Vr­ginmost und Sunja einquartiert. Es wäre eine Schande, diese Häuser leerstehen zu lassen und das Vieh nicht zu versor­gen... Es gibt keine serbischen Häuser in Kroatien - dies alles gehört Kroatien. Wenn die Besitzer nicht zurückkehren, wird Kroatien diese Häuser überneh­men." Vor allem ältere Flüchtlinge ha­ben ihren Kindern in Kroatien die Nach­richt zukommen lassen, sie wollten bleiben und in ihrem Dorf sterben. Sie fragen sich, wieso sie je nach Serbien geflüchtet sind. Aber nur wenige sind glücklich genug, mit ihren Verwandten in Kroatien in Kontakt zu stehen. Viele wissen nicht, wo ihre Angehörigen geblieben sind und ob sie überhaupt noch leben. Friedens- und Menschen­rechtsorganisationen in Kroatien und Serbien versuchen, den Menschen zu helfen, die zurückkehren wollen - ohne großen Erfolg. Die kroatische Regierung will offensichtlich nicht, daß sie zu­rückkehren.

Serbische Familien, die in denjenigen Gebieten leben, die immer unter kroati­scher Kontrolle standen, werden be­droht. In Istrien tauchten in den Briefkä­sten serbischer Familien Flugblätter auf, die von der "Istrischen Schwarzen Hand" unterzeichnet waren und die zum sofortigen Verlassen des Landes auffor­derten, da sie nicht länger hier er­wünscht seien. Es wurde ihnen zwei Wochen zum Packen gegeben, "sonst werdet ihr auf grausamste Art umge­bracht". Doch Polizei und Behörden reagierten sofort mit einer öffentlichen Verurteilung dieser Angriffe. "Heute werden einige BürgerInnen von Istrien bedroht. Morgen kann das gleiche mir und vielen anderen geschehen. Wir müssen gegen diejenigen ankämpfen, die Hass säen, nicht nur für uns "sondern auch für Istrien und den Frieden" schrieb Damir Kajin, Präsident des Re­gionalparlamentes von Istrien.

Ist das Faschismus?

Die Popularität von Präsident Tudjman grenzt an Personenkult. Der Staat herrscht über die Individuen. Aber auch wenn einige Prozesse in dieser Gesell­schaft als faschistische Entwicklungen bezeichnet werden müssen, leben wir noch nicht in einem institutionalisierten Faschismus. Todesschwadrone patrouillieren nicht in unseren Straßen. Aber alle "Anderen" stehen unter großem Druck.

Noch gibt es aber einige unabhängige Zeitschriften und Menschen, die versu­chen, die Prozesse in der Gesellschaft in Richtung Demokratisierung zu lenken. Friedensgruppen fragen sich, wie die Abgründe zwischen dem "wir" und dem "sie" überbrückt werden können. Sie entwickeln Projekte für die Arbeit von Bürgerinitiativen nach der militärischen Eroberung der Krajina. Nach dem ersten Schock und der Einsicht, daß die mei­sten SerbInnen Kroatien verlassen ha­ben, sehe ich auch einige inspirierende Anzeichen für einen grundlegenden Meinungsumschwung in Kroatien.

Der Siegestaumel bringt die jahrelang vorherrschenden Frustrationen zum Verschwinden. Noch ist unklar, was da­nach kommen wird. Wird die Feind­schaft gegen alle "anderen" anhalten, gegen die SerbInnen, die ItalienerInnen, die Farbigen? Oder öffnet das Überwin­den der Frustrationen den Weg zu einem anständigen Leben in einer Atmosphäre von gegenseitigem Respekt und Ver­ständnis? Ich hoffe, den Friedensgrup­pen und anderen Bürgerinitiativen wird es gelingen, in den nächsten Jahren die­ses Klima mitzuprägen. Unsere Gruppen helfen den Menschen, die hiergeblieben sind. Die Koordination der Menschen­rechtsorganisationen wird drei neue Bü­ros eröffnen, in denen - wie schon zuvor im westslawonischen Gavrenica - den verbliebenen Menschen juristischer Bei­stand und humanitäre Hilfe gegeben werden kann. AktivistInnen aus ganz Kroatien, die nach der Eroberung West­slawoniens im Mai in Gavrenica gear­beitet haben, führen diese Arbeit mit ei­nem bitteren Nachgeschmack im Mund weiter. Sie sind gegen "ethnische Säube­rungen" können diese aber nicht verhin­dern und befürchten, von der Regierung als Feigenblatt missbraucht zu werden. Trotzdem haben sie beschlossen, in Knin, Vrhovine und Vojnic Büros zu eröffnen, denn hier leben Menschen, die diese Hilfe brauchen.

Das Büro der Antikriegskampagne Kroatien bleibt in Kontakt mit den Gruppen in Serbien und der Vojvodina, die den Flüchtlingen bei ihrer Rückkehr helfen. Die Prozeduren für eine Rück­kehr sind unklar. Deshalb machen wir mit öffentlichen Erklärungen in unab­hängigen Medien und internationale Or­ganisationen Druck auf die Behörden, sichere Rückkehrmöglichkeiten zu bie­ten. Im Moment würde ich niemandem zur Rückkehr in die eroberten Gebiete raten, aber ich ermuntere die Flüchtlinge und Vertriebenen, zu ihren Verwandten in anderen Gebieten in Kroatien zu kommen.

Alternativen anbieten

Die Gruppen der Antikriegskampagne Kroatien versuchen mit regelmäßigen Erklärungen, mit Flugblättern, Plakaten und T-Shirts gegen die Menschen­rechtsverletzungen und gegen den wachsenden Rassismus in der Gesell­schaft präsent zu sein. Sie versuchen, Alternativen für die Konfliktlösung an­zubieten. Sie wollen dem gewalttätigen, militaristischen Vorgehen, wie es mit der Militäraktion in der Krajina in der Öffentlichkeit vorherrschend wurde, einen anderen Weg gegenüberstellen. Sie wollen Bilder der Gewaltfreiheit propagieren, um die Menschen zum Nachdenken zu bringen und sie zu neuen Lösungen zu inspirieren. Öffent­liche Diskussionen und Runde Tische zu den "heißen" politischen Fragen sollen helfen, eine Kultur der freien Mei­nungsäußerung zu entwickeln. Frie­densarbeit bedeutet nicht, die Augen angesichts von Konflikten zu verschlie­ßen, sondern sich dieser Konflikte an­zunehmen und nach Wegen zu suchen, wie die Interessen aller beteiligten Kon­fliktparteien berücksichtigt werden kön­nen. Wir sind bereit zu offenen und kontroversen Diskussionen. Solche Runden Tische werden in kleineren Städten organisiert, um frischen Wind in die abgestandene Atmosphäre der politi­schen Argumentationen zu bringen. ARK wird dort mit den Veranstaltungen beginnen, wo es aktive Gruppen gibt: in Karlovac, Osijek, Porec, Pula. Diese Öf­fentlichkeitsarbeit ist eine Ergänzung zu den vielen verschiedenen Projekten, die von den Gruppen in der Antikriegskam­pagne durchgeführt werden, von Frie­denserziehung, Menschenrechtsarbeit, Beratung von Militärverweigerern, Ar­beit mit Flüchtlingen und Vertriebenen, sozialem Wiederaufbau usw. Für all diese Aktivitäten sind wir auf die Unter­stützung internationaler Organisationen und unserer PartnerInnen angewiesen. In den letzten Jahren wurde klar, daß gegen Menschenrechtsverletzungen nur genügend Druck mobilisiert werden kann, wenn der Druck von innen und von außen zusammenkommt. Werden internationale Organisationen weiterhin bereit sein, diesen Druck aufrechtzuer­halten, jetzt wo sich ein ungerechter Friede in Kroatien und Bosnien-Herze­gowina am Horizont abzeichnet? Oder werden sie diesen unbequemen Ort ein­fach vergessen und sich dem nächsten Krieg zuwenden - um damit hier den nächsten entstehen zu lassen?

Unterstützung weiter nötig

Wenn der Konflikt, der zu diesem Krieg geführt hat, nicht gelöst wird, dann wird der Friede von kurzer Dauer sein. Ethni­sche Säuberungen, ein Ergebnis dieses Krieges, vertreiben die Hoffnung auf politische Stabilität und Sicherheit ins Reich der Träume.

Werden wir weiterhin Unterstützung finden für die Projekte der Konfliktbe­arbeitung, oder werden diese Gelder in die Projekte des wirtschaftlichen Wie­deraufbaus verschwinden, wie es einige Regierungen schon angedeutet haben? Der Wiederaufbau von Häusern und In­dustrien ist noch kein Beitrag zu einem Geist der Toleranz und wird die Wun­den der vielen Kriegsopfer alleine nicht heilen. Wenn über Erniedrigungen nicht gesprochen werden kann, wenn den Op­fern nicht geduldig zugehört wird, wenn es keinen Ort der Konfliktbewältigung und -austragung gibt, wenn die Vertrie­benen nicht in ihre Heimaten zurück­kehren dürfen, dann wird dieser Friede so ungerecht sein, daß wir mit jedem Tag dem nächsten Krieg einen Schritt näherkommen. Die Gruppen in ARK wollen mit dem weltweiten Netz von Frauen- und Friedensgruppen, Men­schenrechts- und Umweltorganisationen zusammenarbeiten. Hört ihr uns?

Vesna Terselic ist nationale Koordina­torin der Antikriegsbewegung Kroati­ens. Dieser Beitrag beinhaltet Auszüge aus einem Brief, den sie Ende Septem­ber unter dem Titel ,Was nun? , schrieb. Übersetzung: Roland Brunner.

aus: "GSoA-Zitig" Nr. 62, Zürich

Ausgabe

Rubrik

Krisen und Kriege
Vesna Terselic ist Mitarbeiterin des Zentrum für Friedensstudien Zagreb und eine der Gründerinnen der Antikriegskampagne Kroatien.