Für eine Bundesrepublik ohne Armee - Erfahrungen aus den Kampf gegen die Wiederbewaffnung

von Oskar Neumann

Konrad Adenauer betrieb die Remilitarisierung als eine beschlossene klare Sache, klar auch nach zwei verlorenen Weltkriegen, klar selbst nach Auschwitz, nach Hiroshima: Für ihn waren Wehrmacht und Wehrpflicht "völkerrechtliches Naturrecht". Entschieden anders sah das sein Innenminister Gustav Heinemann. Nach Adenauers Alleingang bei den Hohen Kommissaren trat er zurück und verlangte vor jeglichem Schritt zur Wiederbewaffung müße das Volk selbst befragt werden.
Das Resultat konnte kaum zweifelhaft sein. Von Gewerkschaftsbeschlüssen bis Leserbriefspalten zog sich eine Linie: Hände weg von diesem Abenteuer einer neuen Armee, eines neuen Militarismus! Zur Jahreswende 1950/51 veröffentlichte "Der Spiegel" die Ergebnisse seiner Umfrage: 85,1% waren nicht bereit, wieder Soldat zu werden; 81,5% waren gegen einen Beitritt der BRD zur NATO; 68,4% erklärten sich gegen eine Wiederbewaffnung, unter welchen Bedingungen auch immer.

Ich gehörte damals zu denen, die darüber nachdachten, wie aus dieser Volksstimmung eine Volksbewegung werden konnte - offenbar nur so, daß wir uns bei aller Unterschiedlichkeit der Motive auf sine gemeinsame Forderung einigten, für die sich möglichst viele engagieren wollten und konnten: Volksbefragung gegen die Remilitarisierung!
Die ersten Wortführer der Generation, die nicht mehr Soldat sein mochte, kamen aus dem Jahrgang 1922. Im Krieg am ärgsten dezimiert, war ausgerechnet er von den Wehrplanern dazu ausersehen, erneut einzurücken und mit seiner "Osterfahrung" den Rekruten zu schnellstmöglicher Kampffähigkeit zu verhelfen. Hier war die "Ohne uns"- Bewegung so massiv, daß man auf der Hardthöhe schließlich den Rückzug antrat. Indessen zogen ehemals hohe Militärs aus der Erfahrung zweier Weltkriege und in Kenntnis der waffentechnischen Entwicklung den Schluß, daß der Auftrag einer "Verteidigung" des Landes und seiner Bevölkerung sinnlos geworden war. Im Hauptausschuß für Volksbefragung vertraten der ehemalige 1. Offizier des Kreuzers "Emden", von Mücke, und der Fliegergeneral Hentschel den Standpunkt, eine Remilitarisierung der Bundesrepublik schaffe einen explosiven Konfliktherd in Deutschland; ein Krieg der Weltmächte beginne als Bruderkrieg Deutscher gegen Deutscher.

Von ähnlichen Überlegungen her bestimmten auch neutralistische Gruppierungen ihre Haltung gegen die Wiederaufrüstung. Dabeiwarnte der von dem Historiker Professor Noack initierte "Nauheimer Kreis" vor einem deutschen militärischen Engagement bei der westlichen wie bei der östlichen Blockbildung; er drängt auf einen politischen Ausgleich, um mit dem Ende des Kalten Kriegs eine Chance für die deutsche Vereinigung zu eröffnen.
Pazifisten aller Richtung gehörten selbstverständlich zu den entschiedenen Gegnern der Remilitarisierung. Ingeborg und Fritz Küster, Herausgeber der Wochenzeitung "Das Andere Deutschland", waren ebenso in Sachen Volksbefragung engagiert wie die christlich motivierten Kriegsgegner, der katholische Schriftsteller Reinhold Schneider und der Friedenssprecher unter den Protestanten, Kirchenpräsident Martin Niemöller. Er wandte sich gegen die Bonner Kampagne vom ausschließlich "kommunistischen" Widerstand gegen die Remilitarisierung; wäre dem so, müsse man ja eine Mehrheit der Kommunisten in der Bundesrepublik annehmen, während tatsächlich das Verlangen nach einer Volksbefragung überall lebendig sei.

Vor allem galt das für die Arbeiterbewegung. Für eine Bundesrepublik ohne Armee wurden hier starke Kräfte wirksam, die in ihrem Traditionsverständnis am Antimilitarismus von August Bebel und Rosa Luxemburg anknüpften und aufgrund gemeinsamer Erfahrungen von sozialdemokratischen, kommunistischen und christlichen Gewerkschaftern im antifaschistischen Widerstand auch jetzt für die Aktionsgemeinschaft eintraten. So verurteilte Wilhelm Elfes, vor 1933 führender christlicher Gewerkschafter, 1945 Verfechter der Einheitgewerkschaften und Mitbegründer der CDU, die Remilitarisierung als Vorstufe zu einem Dritten Weltkrieg. Bergarbeiter lehnten, kräftig unterstützt von ihren Frauen, die Zumutung von Überstunden als "Panzerschichten" ab. Hafenarbeiter bildeten Komitees gegen das Verladen und Transport von Kriegsmaterial. Mitglieder der Gewerkschaftsjugend waren sich mit den Angehörigen anderen Jugendverbände vielerorts einig: Sie wollten lernen, wie man Wohnungen baut und nicht Kasernen, wie man für den Frieden arbeitet, statt sich im Krieg umzubringen.

Eine zunehmend selbständige Rolle spielte die Frauenfriedensbewegung. Sie hatte mit der Vorsitzenden der Zentrumspartei Helene Wessel und der KPD-Abgeordneten Grete Thiele hervorragende Sprecherinnen im Bundestag. In bester Erinnerung habe ich auch unsere Zusammenarbeit im Hauptausschuß für Volksbefragung mit der christlichen Pazifistin Christa Thomas, der Hamburger Frauenrechtlerin Claudia Kuhr und der Müncher SPD-Stadträtin Edith Höreth-Menge.

Von den Resultaten der Volksbefragung, die zum ersten Mal nach der Nazizeit Millionen zu selbstbestimmter Initiative veranlaßte, wie von der Programmatik der gesamten Bewegung her wird deutlich, daß es sich keinesfalls um "eine eher apathische Gegenströmung" - so der Historiker Arnulf Baring - gehandelt hat. Eine Bundesrepublik ohne Armee, das war ein positives zukunftsorientiertes Programm. Es lohnt sich durchaus, es 40 Jahre später erneut auf seine Richtigkeit und seine Aktualität hin zu überprüfen.

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