Für eine neue Nichtverbreitungspolitik

von Huup Jaspers
Schwerpunkt
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Das Transnational Institute (TNI) in Amsterdam, hat zusammen mit dem World Information Service on Energy (WISE) ebenfalls Amsterdam, die Initiative ergriffen zu einem Projekt für eine Neue Nichtverbreitungspoli­tik (New Non Proliferation Policy, NNPP), wobei das Wort 'Neue' eine doppelte Bedeutung hat: neu im Sinne von nach dem Auslaufen des NPT, aber auch neu in inhaltlicher Hinsicht, meint: anders als der NPT.

Dem Projekt liegen vier Kerngedanken zugrunde, die ich erst alle vier kurz nennen werde und dann Punkt für Punkt ein bisschen näher erläutern will. Denn diese Punkte sind meines Ermessens nicht nur von Bedeutung für unser Pro­jekt, sondern überhaupt für die Frage, was angesichts der dargestellten Lage getan werden kann.

1.    Das Auslaufen des NPT sollte auf je­den Fall als Anlass genutzt werden, um zu versuchen die ganze Nuklear­frage erneut ins politische Bewußt­sein der Bürger zu rücken und eine Hand­lungsperspektive aufzuzeigen sowie konkrete Handlungsmöglich­keiten zu entwickeln.

2.    Was gebraucht wird, ist eine Kombi­nation von lokalen, regionalen und nationalen Initiativen auf der einen Seite und von internationaler Koordi­nation und Zusammenarbeit sowie der Entwicklung einer internationali­stischen Sichtweise auf der anderen Seite.

3.    Es wird höchste Zeit für eine grund­sätzliche Diskussion zwischen ver­schiedenen sozialen Bewegungen, die es in den letzten Jahrzehnten in einer Reihe westlicher Länder gegeben hat, und die alle in verschiedener Hinsicht mit der NPT-Problematik zu tun hat­ten. Gemeint sind vor allem: die Friedensbewegung, die Umwelt­schutz-Bewegung und die Dritte Welt-Solidaritätsbewegung.

4.    Einer der Schwerpunkte unseres Projekts sollte sein, Vertreter/inne/n aus der sogenannten Dritten Welt, vor allem Nicht-Regierungs-Vertre­ter/inne/n, die Möglichkeit zu bieten vor einem westlichen Publikum ihre Sicht der NPT-Problematik darzule­gen.

Nun zu den vier Punkten im Einzelnen:

1. Handelnde Bürger

Initiativen von Bürgern, von Nicht-Re­gierungsorganisationen (Non-Govern­mental Organizations, NGO's) und von sozialen Bewegungen sind notwendig, weil die Politik der meisten Regierun­gen, auf jeden Fall denen des Westens, so stark von eigenen Machtinteressen geprägt ist, daß davon kein erfolgver­sprechendes Nichtverbreitungskonzept für die nächsten Jahre und Jahrzehnte erwartet werden kann. Wer nur mit dem anklagenden Finger auf andere zeigt und gleichzeitig selbst fortlaufend das schlechte Beispiel gibt, ist nicht glaub­würdig und trägt nicht zu einer dauer­haften Lösung des Problems bei.

Natürlich erwachsen reale Gefahren und Bedrohungen aus der Tatsache, daß immer mehr Atom­waffen­staten hinzukommen und muß diese Tendenz der horizontalen Proliferation gestoppt wer­den. Aber nicht in der einseitigen Weise, wie die westlichen Regierungen unter Anführung der USA und in zu­nehmendem Maße leider auch Kräfte aus der Friedensbewe­gung oder deren Um­feld dies tun. Natürlich war und ist, um nur ein Beispiel zu nennen, Sadam Hussein ein Diktator, und stellte sein Atomprogramm für viele seiner Nach­barn ein Drohpoten­zial dar. Dennoch war der Golfkrieg eine Barbarei und der falsche Weg dieser Gefahr zu begegnen. Wenn wir derartige Kriege als Folge von Atomwaffen-Proliferation künftig verhin­dern wollen und gleichzeitig der horizontalen Proliferation als solche entgegen wirken wollen, dann dürfen wir nicht warten bis der nächste Kon­flikt eskaliert und die Kriegsmaschinerie in die Gänge kommt. Denn dann wird es zu spät sein, dann werden Warnungen, Einwände und Gegenstim­men nicht mehr gehört werden. Wir müssen jetzt handeln und in einer ausgewogenen und den Tatsachen gerecht werdenden Weise die Atomwaffen-Proliferation bekämpfen. Das heißt: Die aller Staaten und nicht nur die einzelner, dem Westen nicht gefälliger, Staaten.

2. National wie international

Notwendig ist eine Kombination von nationalen und internationalen Ansät­zen. Die Erfahrungen mit dem NPT ha­ben gezeigt, daß eine effektive welt­weite Nichtverbreitungspolitik nicht ausschließlich eines internationalen Re­gimes bedarf, sondern gestützt werden muß durch den Willen zur eigenen Selbstbeschränkung und eine entspre­chende Politik aller beteiligten Staaten. Dabei leistet jeder Staat, der ernsthaft einen Beginn damit macht, langfristig einen besseren Beitrag zur Nichtver­breitung als Staaten, die vor allem darauf aus sind anderen Staaten Beschrän­kungen aufzuerlegen. Auch eine lüc­kenlose Kontrolle der Einhaltung des Vertrags kann unmög­lich von einer in­ternationalen Behörde wie derzeit die IAEA gewährleistet werden, es sei denn in einer weltweiten Diktatur. Gebraucht wird eine vielfältige, breit getragene, demokratische Kontrolle von oben wie von unten, bei der auch lokale Bügeri­nitiativen und be­stimmte Berufs­gruppen (Wissen­schaftler, Journalisten usw.) eine wichtige Rolle spielen können.

Andererseits wird allerdings auch eine internationale Koordination, Zusam­menarbeit und Heran­gehensweise ge­braucht. Ich will, um dies zu veran­schaulichen, ein Beispiel aus meiner persön­lic­hen Erfahrung anführen. Ich bin seit über zehn Jahren in Nuklearfra­gen auf internatio­naler Ebene aktiv und habe die Erfahrung gemacht, daß die Auffassungen, Analysen und Herange­hens­weisen in verschiedenen Ländern, sogar in benachbarten Ländern hier in Westeuro­pa, auf­grund der histori­schen, kulturellen und politi­schen Unter­schiede, immer noch erstaun­lich groß sind. Ich war vor einigen Jahren als Vertreter einer niederländischen Friedensorganisa­tion Mitglied des Trägerkrei­ses der bundesdeutschen Kampagne 'Atomwaffenverzicht ins Grundge­setz!', die ich immer noch für einen hervorragenden Ansatz halte. Da­bei habe ich verschiedene Male erlebt, wie einige meiner deutschen Freunde und Freun­dinnen, die ich sehr schätzte und schätze, derart überzeugt von der Gefahr eines deutschen Fingers am Atomzieher waren, daß sie andere In­itiativen in anderen Ländern gegen an­dere nukleare Gefahren (zum Beispiel eine Kampagne gegen mit Atomwaffen ausgerüstete US-Kriegsschiffe in Däni­schen Gewässern) in einem Satz vom Tisch fegten. Ich bin der Meinung, daß dies als eine umge­kehrte nationale Überhe­blichkeit bezeichnet werden muß: Nicht 'Deutschland, Deutschland über alles', sondern Deutschland als die größte Gefahr für die Welt, und die deutschen Linken als Retter. Einmal wurde sogar ernsthaft argumentiert, die deutsche Linke müsste, um dem neuen deutschen Groß­macht-Streben Einhalt zu gebieten, aufgrund der historischen Erfahrungen alle nur möglichen Bünd­nisse mit Deutschland-kritischen Kräf­ten im Ausland suchen, inklusive kon­servativer Kräfte wie Margaret That­cher. Derartige Überlegungen sind aus einer internationa­listischen Perspektive betrachtet natürlich völlig unmöglich. Oder was hätte der Erfinder dieses Ge­dankens wohl einem britischen Linken zu sagen?

Ich sage, um nicht falsch verstanden zu werden, noch einmal: Ich schätze die innerdeut­schen Kritiker deutscher Atom­macht-Gelüste sehr. Eine deutsche Atombewaffnung wäre, langfri­stig und weltweit betrachtet, wirklich viel fol­genschwerer als eine koreanische oder eine irakische Atombewaf­fnung. Ich bin auch der Meinung, daß meine Freundin­nen und Freunde hier gut daran tun, daß sie den diskriminie­rende Charakter des NPT nur mit Vor­sicht kritisieren. Denn sie sollten wirklich verhindern auf die Seite derer gestellt zu werden, die sich selbst vom NPT diskriminiert fühlen, die selbst gerne einen Finger am Atom­zieher ha­ben würden. In dieser Frage haben wir in den Niederlan­den es etwas leichter.

Was mit Rücksicht auf diese nationalen Unterschiede gebraucht wird, ist ein kontinuierlicher Austausch, eine gegen­seitige Offenheit, Respektierung und Bereitschaft voneinander zu lernen.

3. Drei Bewegungen

Es wird höchste Zeit für eine intensive Diskussion zwischen Friedensbewe­gung, Umweltschutz-Bewegung und Dritte Welt-Bewegung zum Thema NPT. Diese drei Bewegungen haben tradi­tio­nell sehr unterschiedliche Ein­schätzungen zu diesem Thema. Wenn ich das einmal so vereinfacht und global sagen darf, hat die Friedensbewegung den NPT im Kern meist positiv bewertet und verteidigt, während von den anderen beiden Bewegungen vorwiegend Kritik und Ablehnung kam. Die anti-AKW-Bewegung sah und sieht den Vertrag und die seine Einhaltung kontrollierende IAEA als pro-nukleare Institutionen an und die Dritte Welt-Bewegung lehnt den Vertrag wegen seines diskriminierenden Charakters ab.

Ich denke, es ist an der Zeit, nicht in den jeweiligen Kategorien dieser verschie­denen Bewegun­gen denken zu bleiben, sondern zu versuchen nach immerhin 25 Jahren NPT-Erfahrung eine um­fas­sende Bilanz zu ziehen. Dabei ist eine offene und lebendige Debatte zwischen den drei Bewegungen von größter Bedeu­tung. Denn es gibt einen Schatz an Er­fahrungen und Kenntnis­sen, die endlich zusammen gebracht werden sollten.

4. Sichtweisen des Südens

Wenn wir sagen, Vertreter/inne/n aus der Dritten sollte Gelegenheit geboten werden, ihre Sicht zum NPT darzulegen, dann gehen wir selbstverständlich nicht davon aus, daß es eine Sicht des Südens zu diesem Thema geben würde. Es gibt im Süden vermutlich genauso viele Auffassun­gen zum NPT wie im Norden oder im Westen. Je nachdem, ob es sich um eine/n Regierungs­vertreter/in oder um eine/n Oppositionelle/n handelt, um ein Land mit oder ohne Atompro­gramm, um ein Land das dem NPT wohl oder nicht beigetreten ist, um ein Land das intensiv kolonisiert gewesen ist oder nicht, um ein Land das unter seinen Nachbarn starke Feinde hat oder nicht, und so weiter und so fort.

Allerdings gibt es einen sehr wichtigen Punkt, die die meisten Vertreter/innen aus dem Süden teilen und das ist ihre mehr oder weniger scharfe Kritik am 'diskriminierende Charakter des NPT'. Diese Worte werden ja oft ausgespro­chen und ich habe sie heute auch schon ein paar Mal benutzt. Aber mensch muß sich wirklich einmal vorstellen, was es eigentlich bedeutet, daß der NPT be­stimmten Staaten implizit zugesteht ein so immenses Machtinstrument, wie es die Atombombe darstellt, zu besitzen, während der Vertrag dies allen anderen Staaten rigoros verbietet. Ich glaube, wenn wir hier irgend ein anderes Bei­spiel nehmen würden, irgend ein im Ef­fekt vielleicht sogar wesentlich weniger bedeutsames Mittel oder Recht, das dem einen zugestanden wird und dem ande­ren prinzipiell verweigert, dann würden wir alle ohne große Bedenken reagieren mit Worten wie Rassismus oder Apart­heit. Und es fragt sich doch wirklich aus welchen Gründen diejenigen, die den bestehenden Atommächten das Recht auf den Besitz von Atomwaffen zuge­stehen, anderen Staaten dieses Recht verweigern? Sind die anderen schlech­ter, unrationaler, unzuverlässiger, ge­fährlicher... als zum Beispiel die USA?

Ich beziehe die Position, daß, wer eine glaubwürdige, zukunftsorientierte Nichtverbreitungspoli­tik entwickeln will, die Sicherheitsinteressen der Staaten des Südens genauso ernst nehmen muß wie die der westlichen Welt. Wenn wir der Meinung sind, daß Atomwaffen die­sen Sicherheitsin­te­ressen nicht dienlich sind bzw. durch diese Interessen nicht legitimiert sind, dann gilt das für alle Staaten, angefangen beim eigenen und bei den eigenen Freunden. Nur auf die­ser Grundlage ist eine langfristig effek­tive Nichtverbreitungspolitik vorstell­bar.

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Huup Jaspers ist Mitarbeiter des Trans¬national Institute (TNI) in Amsterdam.