Zivile Konfliktbearbeitung

Gender und Konfliktbearbeitung

von Christine Schweitzer

In der Konfliktbearbeitung spielt das Thema Gender eine wichtige Rolle – oder sollte es spielen. Dabei gilt es, sich von der veralteten Vorstellung zu verabschieden, dass pauschal Frauen die Opfer und/oder die Friedensstifterinnen und Männer die Täter seien. Richtig ist, dass Frauen und Männer zum Teil unterschiedliche Zugänge, Ressourcen und Betroffenheiten haben, was Konflikte betrifft, wobei das je nach Land oder Region unterschiedlich aussieht – vor Verallgemeinerungen muss man sich stets hüten. Das Gleiche gilt für die Rollen und Bedrohungen sexueller Minderheiten. In der Konfliktbearbeitung ist stets eine Konfliktanalyse, die den Aspekt des Genders berücksichtigt, der erste Schritt. Im folgenden Beitrag sollen ein paar Aspekte des Themas übersichtsartig angerissen werden:

Die Einbeziehung von Frauen in Friedensprozesse ist eine Forderung, die schon seit Längerem immer wieder erhoben wird – von Frauenverbänden ebenso wie von internationalen NROs und gelegentlich auch von progressiveren Regierungen. In der UN-Resolution 1325 nimmt dieses Thema einen prominenten Platz ein (s. den Beitrag von Karin Nordmeyer in diesem Heft). Wichtig ist hier, dass diese Forderung von einheimischen Frauenverbänden gestellt wird und diese, nicht die männlichen Politiker und auch nicht die internationalen VermittlerInnen entscheiden, wer an Verhandlungen teilnimmt. Und zum anderen, stets zu bedenken, dass „Frauen“ eine Kategorie sind, keine Gruppe, und damit von verschiedenen Frauen diametral entgegengesetzte Positionen in einem Konflikt vertreten werden können.

Gewaltsamer Konflikt findet auf allen gesellschaftlichen Ebenen statt. In vielen Gesellschaften, vor allem im globalen Süden, spielen Familienverbände (Klans) eine wichtige Rolle in der Politik ihrer Gemeinschaften und Regionen. Wo Fehden ausgetragen werden, können diese leicht zu größeren bewaffneten Zusammenstößen führen oder andere bewaffnete Konflikte in derselben Region negativ beeinflussen. Dies ist zum Beispiel ein Problem auf Mindanao in den Philippinen, wo Klanfehden ein großes Gewaltproblem darstellen. Bei der Zusammensetzung dieser Familienverbände spielt das Thema Gender ebenso wie das Thema Alter (und andere Identitäten – Gender sollte nie isoliert betrachtet werden) eine wichtige Rolle. Oftmals sind es ältere Männer, die das Sagen haben, und die jüngeren Männer, die das Kämpfen übernehmen. Frauen wiederum werden in vielen Gesellschaften in andere Klans verheiratet – die Ethnologie spricht hier von Exogamie. Das bedeutet, dass die Frauen des einen Klans von dem anderen, evtl. verfeindeten, stammen. Dies macht ihre Situation prekär, öffnet aber auch Möglichkeiten der Konfliktbearbeitung. In mehr als einem Konflikt, z.B. in Kenia, waren es die Frauen, die sich über die Klans hinweg zusammentaten und Ältesten des Klans, in den sie hineingeheiratet hatten, erfolgreich zu einem Friedensschluss drängten.

Doch auf dieser Ebene hört es nicht auf: Die westliche Frauenbewegung prägte den Satz, „das Private ist politisch“, und das gilt auch für Krieg und Frieden. Beinahe universell nimmt Gewalt, wo bewaffneter Konflikt herrscht, auch in den Familien zu. Kämpfer lassen ihre Wut, ihre Angst, ihr Trauma an ihren Frauen und Kindern aus. Vergewaltigungen nehmen zu usw. In vielen Ländern werden sexuelle Minderheiten zum Opfer von Gewalt – in Kriegsgebieten und auch außerhalb. Und auch viele Frauen werden gewalttätig – nicht nur ist das Schlagen von Kindern außerhalb einer kleinen Zahl von Ländern in Westeuropa und Nordamerika immer noch gängige Praxis, sondern der Druck, der auf Frauen in Kriegssituationen ruht, kann diese „erlaubte“ Gewalt leicht außer Kontrolle geraten lassen. Für all diese Probleme gilt: Es droht die Gefahr, dass diese scheinbar private Gewalt eskaliert und zu Gruppenkonflikten führt. Deshalb richten KonfliktbearbeiterInnen zunehmend ihren Blick auf diese Dimension der Familie und versuchen, hier Unterstützungsangebote für alle Betroffene, auch für die Täter, zu organisieren.

Beim Peacebuilding und der Entwicklungszusammenarbeit spielt Gender auch eine wichtige Rolle in vielen anderen Bereichen: Wird Schulunterricht gleichermaßen von Mädchen und Jungen genutzt, und bleiben beide gleich lang in der Schule? Im Südsudan z.B. brechen Mädchen oftmals die Schule ab, sobald sie geschlechtsreif und dann verheiratet werden. Wo Krieg herrscht, sind es bislang i.d.R. die Männer, die das Kämpfen übernehmen. Die Folge: Die Frauen sind allein für das Familieneinkommen verantwortlich. In manchen Ländern waren sie das schon immer, in anderen – da brauchen wir auch nur in die europäische Geschichte und die beiden Weltkriege zu schauen – nahmen sie neue Berufsrollen ein, die ihnen bis dahin verschlossen waren. Nach dem Krieg wird es dann problematisch, wenn die Männer zurückkehren und ihre Arbeit zurückfordern, die Frauen aber nicht unbedingt bereit sind, das, was sie als einen Statusgewinn, neue Freiheiten und neue Einkommensquelle erlebt haben, wieder aufzugeben. Nicht ohne Grund haben sich Frauenrechte und gesellschaftliche Freiheiten nach beiden Weltkriegen erheblich verbessert. Die neue Situation ist aber auch für die rückkehrenden Männer schwierig – zu ihrem Trauma mag das Gefühl hinzu kommen, unnütz zu sein. Folge: neue Gewalt, Alkoholismus, Bildung bewaffneter Banden usw.

Wo KindersoldatInnen rekrutiert werden – zwangsweise oder auch auf freiwilliger Basis – da gibt es ein weiteres mit Gender verbundenes Problem, sobald es im Rahmen eines Friedensprozesses zur Demobilisierung kommt: Da sind auf einmal, wie z.B. in Sri Lanka nach dem Krieg mit den Tamil Tigers, junge Frauen, die sich von der herkömmlichen Frauenrolle entfernt haben und deren Reintegration sie wie ihre Gemeinschaften vor ganz besondere Herausforderungen stellt. Das Gleiche da, wo Frauen nicht als KämpferInnen bei bewaffneten Gruppen waren, sondern als Sexualobjekte der Männer. Auch falls sie befreit werden, kann es durchaus sein, dass sie von ihren Familien verstoßen werden.

Dies gilt natürlich für Vergewaltigungen auch im Allgemeinen – in vielen Ländern werden die Frauen doppelt zum Opfer: Erst als Opfer der Vergewaltigung und dann als Opfer ihrer Familien, die sie als „unrein“ verstoßen (oder sogar töten). MenschenrechtlerInnen in vielen Ländern bemühen sich, solche Frauen zu unterstützen. In Südostasien gibt es AktivistInnen, die nicht nur bedrohten MenschenrechtsverteidigerInnen, sondern auch von ihren Familien bedrohten Frauen Zuflucht in Nachbarländern organisieren. Und auch Jungen und Männer werden Opfer von Vergewaltigungen – eine Tatsache, die noch viel mehr tabuisiert ist als die Vergewaltigung von Frauen. Anders als Frauen stehen ihnen kaum Beratungs- und Unterstützungsangebote zur Verfügung. Hier gilt es noch viel aufzuholen.

Fazit: Gender ist eine wichtige Dimension der Konfliktbearbeitung. Und das Thema betrifft natürlich auch die KonfliktbearbeiterInnen selbst – wer sind sie? Wurden sie in ihrer Ausbildung zu Genderthemen sensibilisiert? Berücksichtigen ihre Projekte die Genderdimensionen? Oder sind sie damit zufrieden, in ihren Berichten aufzuzählen, wie viele Frauen und wie viele Männer an einer Maßnahme teilnahmen? Leben sie vielleicht die gleichen Mechanismen der strukturellen Gewalt vor, wie sie in den Ländern bestehen, in denen sie arbeiten?

Ausgabe

Rubrik

Schwerpunkt
Christine Schweitzer ist Co-Geschäftsführerin beim Bund für Soziale Verteidigung und Redakteurin des Friedensforums.