US-amerikanisches friedenspädagogisches Modell

Gewaltfreie Konfliktlösung in Schulen

von Beate Roggenbruck

Die von Dieter Senghaas aufgeworfene zentrale Frage der Friedenspädagogik, wie "eine Erziehung zum Frieden in einer Welt organisierter Friedlosigkeit überhaupt denkbar und möglich ist"1 beschreibt das Dilemma, in dem sich die Bemühungen um eine Erziehung zum Frieden befinden.

Ohne hier weiter auf die durchaus nicht einheitlichen Vorstellungen von Friedenspädagogik und Friedenserziehung2 einzugehen und die auf unterschiedlichen politischen und pädagogischen Prämissen beruhenden Theorien darzustellen, sei nur kurz angemerkt, daß die Herangehensweise und die Zielsetzung einer Pädagogik, die das persönliche Aggressionspotential als Ursache von Kriegen sieht, sich natürlich unterscheidet von einem pädagogischen Verständnis, das soziale, politische und ökomische Ursachen der Friedlosigkeit benennt.

In der obigen Frage geht es neben dem "Wie" auch um das "Warum" und um den alten Vorwurf, daß Pädagogen die Welt noch nie verändert hätten. Ich möchte dem widersprechen. Sicherlich befinden wir uns angesichts der weiter anhaltenden Aufrüstung, der Zunahme ökologischer Probleme, der größer werdenden Kluft zwischen Arm und Reich in einem Zustand absoluter Friedlosigkeit, andererseits sind gerade in den letzten zehn Jahren Denk- und Bewußtseinsveränderungen im Friedens- und Ökobereich deutlich geworden, die Anlaß zur Hoffnung sind.

Auch verkünden wir Friedensbewegte nicht mehr die Apokalypse, sondern können uns wieder längerfristigen Projekten wie Erziehung widmen. Die sogenannte kritische Friedenspädagogik3 hat es sich zur Aufgabe gemacht, gerade die Verhaltensweisen zu fördern und herauszubilden, die man als Friedensfähigkeit bezeichnet, als "... Fähigkeit, Frieden und kollektives Handeln herzustellen und zu erhalten. Erziehung zur Friedensfähigkeit muß sich verstehen als Teil des Prozesses, dessen Ziel der Abbau von Unfriedlichkeit und Gewalt ist: dies bedeutet, positiv formuliert, die Ausweitung des Freiheits-, Selbstbestimmungs- und Entfaltungsspielraums des Menschen."4 Dieses Verständnis von Friedenserziehung will zum einen die persönliche Konfliktfähigkeit und den Abbau individueller Gewalt und Vorurteile, aber auch die Sensibilisierung für und das Engagement gegen Friedlosigkeit im gesellschaftlichen und globalen Bereich, soweit das theoretische Verständnis der Friedenserziehung. In der praktischen Umsetzung der hehren Ziele ist es oft schwieriger als in der Absichtserklärung, und der-die Erzieher-in stößt auf die eigenen gewalttätigen Strukturen.

Im weiteren Verlauf möchte ich von einem friedenspädagogischen Ansatz an einigen US-amerikanischen Schulen berichten, dem: "Children's Creativ Response to Conflict" (CCRC)-Programm. Er wurde in den siebziger Jahren von der Religiösen Gesellschaft der Freunde (hier besser bekannt als Quäker) in New York City aus der Praxis heraus entwickelt. Zunächst ging es "nur" um die Reduzierung gewalttätiger Auseinandersetzungen in der Schule und auf der Straße, da die Lehrer-innen eine Zunahme gewalttätiger Verhaltensweisen registrierten. Im Laufe der Zeit wurde das Programm weiterentwickelt und modifiziert und versteht sich jetzt als Konfliktlösungsprogramm für die verschiedenen Lebensbereiche von Kindern und Jugendlichen, wobei diese den Lösungsprozeß determinieren.

Das Programm fördert die Bestätigung des Selbstwertgefühls, die Gruppenkooperation und -kooperation und will die Kinder und Jugendlichen schließlich zu alternativen Konfliktlösungen motivieren. Im Regelfall läuft es wöchentlich einmal während eines Zeitraums von sechs Monaten in Absprache mit dem-der Lehrer-in während des Unterrichts, wobei das CCRC-Team (meistens drei Leute) das jeweilige Tagesprogramm mit dem-der Lehrer-in festlegt und mit den Schülern abstimmt. Ein wichtiger Grundsatz ist die Freiwilligkeit der Teilnahme. Die Schüler können sich gegen die gesamte Teilnahme oder auch gegen einzelne Übungen entscheiden. Die Übungen betreffen die oben genannten Bereiche: Bestätigung des Selbstwertgefühls, Kooperation und Kommunikation und Konfliktlösung und werden (im Idealfall) von den Lehrer-innen auch in den sonstigen Unterricht integriert. Das ist ein sehr kritischer Punkt: identifiziert sich der-die Lehrer-in nicht mit dem Programm, wird es schnell unglaubwürdig.

Und diese Ansprüche in der Institution Schule! Eigentlich ein Widerspruch in sich, da die Schule nicht gerade der Inbegriff von demokratischer Auseinandersetzung, Gewaltfreiheit und Kooperation ist. Übrigens, die Frage, ob die Schule als hierarchische, auf dem Leistungsprinzip beruhende Institution überhaupt geeignet ist, zum Frieden zu erziehen, ist eine alte Streitfrage.

Trotzdem gibt es interessanterweise mittlerweile in vielen europäischen Schulen Ansätze zur Friedenserziehung, wie eine Untersuchung von Jamie Walker: "Gewalt und Konfliktlösung in Schulen" nachweist.5

Schwierig ist eine Erfolgskontrolle der friedenspädagogischen Ansätze, ähnlich wie auch bei anderen langfristigen moralisch-pädagogischen Zielen. Umfragen bei Lehrern und Lehrerinnen und Schülern und Schülerinnen, die am CCRC-Programm beteiligt waren, klangen allerdings recht positiv. Häufig berichteten die Pädagog-inn-en, daß sich nicht nur die Verhaltensweisen der Schüler-innen verändert haben, sondern sie selbst ihre eigenen subtilen Gewaltanteile auch stärker reflektierten. Erziehung zum Frieden kann deshalb nie ein Unterrichtsfach mit Curriculum werden, sondern ist immer ein wechselseitiger Prozeß zwischen Pädagog-in und Schüler-in.

1Senghass, Dieter: Abschreckung und Frieden, Studien zur Kritik organisierter Friedlosigkeit, 1981.

2Die Begriffe Friedenspädagogik und Friedenserziehung werden oft synonym gebraucht, beziehen sich jedoch einerseits auf die Theoriebildung und Entwicklung von Lernmodellen, andererseits auf die direkte pädagogische Arbeit.

3Vgl. Wulf, Chr. (Hg): Kritische Friedenserziehung, Frankfurt-Main 1973; außerdem behandeln die "antimilitarismus informationen" im Heft 12 vom November 1988 den aktuellen Diskussionsstand der kritischen Friedenspädagogik.

4Nicklas, H. u. Ostermann, Ä: "Kann man zum Frieden erziehen?" in: "antimilitarismus informationen" 12-1988.

5Walker, Jamie: Gewalt und Konfliktlösung in Schulen - eine Studie über die Vermittlung von zwischenmenschlichen problemlösenden Fähigkeiten an Grund- und Oberschulen in den Mitgliedsstaaten des Europarates, 1989. Bezug: J. Walker, Stresemannstraße 15, 1000 Berlin 15.

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Beate Roggenbuck arbeitet in der Stuttgarter Geschäftsstelle von OHNE RÜSTUNG LEBEN