6x jährlich erscheint unsere Zeitschrift "FriedensForum" und informiert über Neuigkeiten aus der Friedensbewegung. Gerne schicken wir dir ein kostenfreies Probeheft zu!
Gewaltfreies eingreifen trainieren
vonVom 26. bis 28.2.1993 fand in den Räumen der Katholischen StudentInnengemeinde in Münster ein Trainingskurs zum gewaltfreien Widerstand gegen Fremdenfeindlichkeit und Rassismus statt. Pax Christi und der Münsteraner Arbeitskreis "Überleben durch Abrüstung" hatten für diesen Kurs die Trainerin Barbara Müller vom Bund für Soziale Verteidigung gewinnen können.
In der Abschlußrunde wurde deutlich, was anfangs nicht ganz so klar gesagt wurde: Einerseits hatten die meisten der elf Teilnehmerinnen und Teilnehmer eher verschwommene Vorstellungen vom bevorstehenden Programm, andererseits spukten aber doch Phantasien von heroischen Schutzaktionen vor Asylbewerberlnnen-Unterkünften und ähnliche Vorstellungen in den Köpfen herum, die durch, die oben genannten Schlagworte ausgelöst wurden. Sicherlich sind dieses naheliegende Assoziationen. Und an der Entwicklung diesbezüglicher Trainings arbeitet der Bund für Soziale Verteidigung auch. Doch auf unserem Wochenende kam es nicht zu einer Beschäftigung mit personaler Gewalt überhaupt, weil das aus dem Erfahrungshorizont der Teilnehmenden noch näher Liegende die Zeit voll ausfüllte:
Die Erfahrung von verbaler Gewalt gegen ausländische Mitmenschen gerade in den alltäglichen Situationen, etwa im Bekanntenkreis, bei der Arbeit, auf dem Weg dorthin...
So war der erste Schritt am Freitagabend nach dem Kennenlernen und dem Mitteilen von Motivation und Wünschen das Sammeln eigener Erfahrungen und Erinnerungen. Es ging dabei um Situationen, die eines gemeinsam haben sollten, nämlich das Gefühl der Beteiligten: "Ich müßte jetzt etwas tun, aber ich traue mich nicht, oder ich weiß nicht was."
Aus allem hierbei zu Papier Gebrachten und zu Wort Gekommenen wurden zwei Erlebnisse ausgewählt, mit denen sich dann am anderen Tag zwei Kleingruppen im Rollenspiel zu beschäftigen hatten. Einmal ging es um eine Szene in einer Fabrik, in der ein Vorarbeiter durch den massiven Vortrag, fremdenfeindlicher Parolen sowohl bei der Arbeit als auch in der Pause die übrigen Anwesenden zwang, sich irgendwie zu verhalten. Die andere Gruppe versetzte sich in einen Bus des öffentlichen Nahverkehrs, in dem der Busfahrer das plötzlich von einem Fahrgast vermißte Portemonnaie als von einem ebenfalls mitfahrenden Ausländer geklaut wähnte. In beiden Fällen hatte eine Person die Aufgabe, sich gegen die vorgetragenen Aggressionen zu stellen, während die anderen sich zunächst abwartend verhalten und dann frei über ihre Parteinahme entscheiden konnten.
Bekannte Reaktionsmuster stellten sich ein: zögerndes Abwarten mit der Ungewißheit, wann die Schwelle des "Eingreifens-Wertes" erreicht ist; Bemühungen, unbeteiligt zu wirken; innerer Aggressionsstau, Ohnmachts- und Angstgefühle. Aber auch Verunsicherung bei den Aggressoren wenn sie Widerspruch erfuhren. Ein wichtiges Fazit der Auswertung dieser ersten Rollenspieleinheit war, daß die, die sich getraut hatten, etwas gegen die fremdenfeindlichen Parolen zu sagen, "in der Regel nicht gemerkt haben, daß ihr Gegenüber verunsichert war, und es vermutlich auch nie erfahren hätten, wäre es nicht in diesem Fall ein Spiel mit anschließendem Austausch gewesen.“
Daraufhin würden auf einer großen Papierrolle Ideen für mögliche und unmögliche Verhaltensweisen in den besagten Situationen gesammelt, ganz so wie sie uns kamen. Und es ist erstaunlich, wie kreativ ein paar Menschen sein können, die sich in einem ruhigen Moment gemeinsam Reaktionsweisen gegen rassistische Agitation überlegen: von fäkalischen Beschimpfungen über verschiedenste Gesprächsstrategien bis hin zum Kekse-Anbieten und Flugzettel-Verteilen reichten die spontanen Ideen.
Bevor es dann daran ging, einige der Vorschläge im erneuten Rollenspiel auszuprobieen, war aber noch ein anderer Übungsschritt einzulegen. Denn wie die Trainerin Barbara Müller plausibel machen konnte: Wer sich mit einer anderen Person streiten will, sollte zunächst hinhören, was diese überhaupt sagt. So wurde - wiederum in mehreren Durchgängen - das "Spiegeln" geübt, die kommentarlos zusammenfassende Wiedergabe dessen, was ein Gegenüber von sich erzählt. Und tatsächlich zeigte sich, welche Kunst oder auch welch anstrengendes Geschäft wirkliches Zuhören ist.
Den Höhepunkt des Samstagnachmittags bildete das Rollenspiel der ganzen Gruppe mit Akteurinnen und Zuschauerlnnen und "fliegendem Wechsel" bei neuen Ideen seitens der Außenstehenden, d.h. wer einen Vorschlag für das Verhalten einer bestimmten Person im Rollenspiel hatte, begab sich selbst in diese Rolle und probierte es einfach aus. Die Szene spielte wiederum in der Belegschaft der bereits bekannten Fabrik: Da saß in der Kaffeepause ein Haupt-"Motzer", der seine Parolen gegen "die Ausländer" und "die Asylanten" schwang, eine ausländische Kollegin, die die Stimmung nur teilen konnte, soweit es ausdrücklich gegen "die Asylanten" ging, eine Aushilfskraft, die - von einer weiteren Kollegin unterstützt - nun versuchte, den Parolen Paroli zu bieten, und noch eine weitere, gemäßigt gegen "Überfremdung" argumentierende Person.
Einige Aspekte der Situation wurden im Laufe der Zeit sehr deutlich erkennbar:
Zum einen gab es für die Widerspruchspartei Grenzen, ab denen eine inhaltliche Verständigung mit ihren Gegnerinnen nicht mehr möglich war. Zwar konnten gerade Nachfragen nach seinem persönlichen Hintergrund den "Motzer" sehr verunsichern, doch wurde diese Unsicherheit eher mit noch mehr Aggressivität überspielt, so daß sie alles andere als eine Entspannung der Situation zur Folge hatte. Als problematisch erwies es sich, daß die der Polemik widersprechenden Personen es zunächst viel schwerer hatten, sich in der Situation miteinander zu verbünden, als umgekehrt ihre Gegnerinnen. Erst als ihnen das gelang, konnten sie sozusagen eine "Gegenöffentlichkeit im Kleinen" aufbauen und sich damit zumindest für ihren Teil klarer von den vorgetragenen Parolen abgrenzen. Im besten Fall gelang es ihnen hierbei, endlich zu Protagonistinnen ihrer eigenen Position zu werden, statt weiter nur zu reagieren beziehungsweise zu verteidigen. Zum Teil gelang es auch, Einzelgespräche von der - unergiebigen - Gruppendiskussion abzukoppeln und damit auf gesprächsbereite Personen der Gegenseite differenzierter einzugehen. Wo gar nichts anderes mehr half, blieb denen, die den Widerspruch wagten, nur noch, die Grenzen des ihnen Zumutbaren unmißverständlich deutlich zu machen und sich gegebenenfalls dann demonstrativ der rassistischen Polemik zu entziehen.
In allem zeigte sich die Notwendigkeit für die betroffenen Personen, bei sich zu bleiben, ihre eigenen Gefühle wahrzunehmen, und diese möglichst authentisch auszudrücken. Hierin lag die Stärke ihrer Opposition.
Nach diesem sehr lernintensiven und ebenso anstrengenden Programm wurde am Sonntagvormittag eine spezielle Überlegung weiterverfolgt: Wie können wir uns in einem Fall verhalten, in dem unsere Gegenüber oder auch wir selbst verbissen an einer Position festhalten, wir aber bereit sind, eine Verständigung zu suchen, d.h. der jeweils anderen Person eine Möglichkeit zur Überprüfung und Veränderung ihrer Position ohne Gesichtsverlust zu geben? Der Ausgangspunkt zur Klärung dieser Frage lag wieder bei den eigenen Erfahrungen: "Was hilft mir, wenn ich mich in einem Streit in eine unhaltbare Position verrannt habe?" So wurden eine ganze Reihe von Vorschlägen zum "Brückenbauen" in Konflikten gesammelt und durchgesprochen. Und dann mußte diese Einheit auch schon abgebrochen werden, weil die verbleibende Zeit gerade noch für die Schlußauswertung reichte.
Dieser Kurs bot den Teilnehmerinnen und Teilnehmern einen Schutzraum, Dinge gleichsam unter Laborbedingungen durchzugehen und zu erproben, die uns sonst im Alltag keine Zeit und Gelegenheit dazu lassen. Als ein solcher Schutzraum war dieses Wochenende ausgesprochen hilfreich. Die wesentlichen Inhalte, Gedanken und Ideen kamen eben nicht von der Trainerin - also von außen -, sondern aus der Gruppe selbst, aus der Wahrnehmung, der Erinnerung und den Erfahrungen der Teilnehmerinnen. Alle waren Betroffene, und alle brachten ihre Geschichte und ihre Geschichten mit. Entscheidend war, daß mit Hilfestellung der Trainerin ein Prozeß der Kommunikation in Gang kam, der seine eigene Dynamik fand. Menschen, die sich vorher größtenteils kaum kannten, kamen miteinander über ihre Erfahrungen in der Begegnung mit Fremdenfeindlichkeit, über ihre Wut, Hilflosigkeit und ihre Ängste in das Gespräch. Diese Dynamik führte dazu, daß letztlich das Programm des Wochenendes anders verlief, als Barbara Müller es ursprünglich geplant hatte. Auch waren die Kontakte und Begegnungen untereinander sehr positiv, was sich an der gelungenen Gestaltung der gemeinsamen Freizeit während des Wochenendes zeigte.
Barbara Müller schaffte es - mit der ihr eigenen angenehmen Art - sowohl kurze Entspannungsübungen als auch Gruppenspiele mit den eigentlichen Arbeitsmethoden in den Einheiten zu verbinden. Dabei wurde deutlich, wie sehr die einzelnen Anteile, die persönliche Gelassenheit mit der Kunst, gerade in bedrohlichen Situationen bei sich selbst zu sein, die Wahrnehmung und Beziehung zur Gruppe und die Reflexion von Verhaltensmustern in der Sozialen Verteidigung bzw. im Gewaltfreien Widerstand zu einer Einheit zusammengehören.
Die auf dem Wochenende angewandten Methoden, vor allem die des Rollenspiels, lassen sich auch ohne fachliche Anleitung weiter einsetzen, so daß der begonnene Prozeß von den TeilnehmerInnen weitergetragen werden kann.
Es war ein "Training zum aufrechten Gang", wie Barbara Müller es anfangs nannte, für die allermeisten das erste Training dieser Art, deshalb auch auf das Kennenlernen beziehungsweise "Schnuppern" ausgerichtet, statt auf eher speziellen Problemstellungen. Vieles wurde zwar nur angerissen und vieles blieb vertiefungsbedürftig. Die Erkenntnis der eigenen Defizite und der Spaß, den dieses Wochenende gemacht hat, haben aber offensichtlich die "Lust auf mehr" geweckt; Ein nächstes eintägiges Treffen von Teilnehmerinnen des Kurses - dann in Eigenregie und erneut mit Rollenspielen - ist geplant.