Gewaltfreies eingreifen trainieren

von Sebastian Spiller

Vom 26. bis 28.2.1993 fand in den Räumen der Katholischen StudentInnengemeinde in Münster ein Trainingskurs zum gewaltfreien Widerstand gegen Fremdenfeindlichkeit und Rassismus statt. Pax Christi und der Münsteraner Arbeitskreis "Überleben durch Abrüstung" hatten für diesen Kurs die Trainerin Barbara Müller vom Bund für Soziale Verteidi­gung gewinnen können.

 

In der Abschlußrunde wurde deutlich, was anfangs nicht ganz so klar gesagt wurde: Einerseits hatten die meisten der elf Teilnehmerinnen und Teilnehmer eher verschwommene Vorstellungen vom bevorstehenden Programm, ande­rerseits spukten aber doch Phantasien von heroischen Schutzaktionen vor Asylbewerberlnnen-Unterkünften und ähnliche Vorstellungen in den Köpfen herum, die durch, die oben genannten Schlagworte ausgelöst wurden. Sicher­lich sind dieses naheliegende Assoziationen. Und an der Entwicklung diesbezüglicher Trainings arbeitet der Bund für Soziale Verteidigung auch. Doch auf unserem Wochenende kam es nicht zu einer Beschäftigung mit personaler Ge­walt überhaupt, weil das aus dem Erfah­rungshorizont der Teilnehmenden noch näher Liegende die Zeit voll ausfüllte:

Die Erfahrung von verbaler Gewalt ge­gen ausländische Mitmenschen gerade in den alltäglichen Situationen, etwa im Bekanntenkreis, bei der Arbeit, auf dem Weg dorthin...

So war der erste Schritt am Freita­gabend nach dem Kennenlernen und dem   Mitteilen von Motivation und Wünschen das Sammeln eigener Er­fahrungen und Erinnerungen. Es ging dabei um Situationen, die eines gemeinsam haben sollten, nämlich das Gefühl der Beteiligten: "Ich müßte jetzt etwas tun, aber ich traue mich nicht, oder ich weiß nicht was."

Aus allem hierbei zu Papier Gebrachten und zu Wort Gekommenen wurden zwei Erlebnisse ausgewählt, mit denen sich dann am anderen Tag zwei Kleingrup­pen im Rollenspiel zu beschäftigen hatten. Einmal ging es um eine Szene in ei­ner Fabrik, in der ein Vorarbeiter durch den massiven Vortrag, fremdenfeindlicher Parolen sowohl bei der Arbeit als auch in der Pause die übrigen Anwesen­den zwang, sich irgendwie zu verhalten. Die andere Gruppe versetzte sich in einen Bus des öffentlichen Nahverkehrs, in dem der Busfahrer das plötzlich von einem Fahrgast vermißte Portemonnaie als von einem ebenfalls mitfahrenden Ausländer geklaut wähnte. In beiden Fällen hatte eine Person die Aufgabe, sich gegen die vorgetragenen Aggres­sionen zu stellen, während die anderen sich zunächst abwartend verhalten und dann frei über ihre Parteinahme ent­scheiden konnten.

Bekannte Reaktionsmuster stellten sich ein: zögerndes Abwarten mit der Ungewißheit, wann die Schwelle des "Ein­greifens-Wertes" erreicht ist; Bemühungen, unbeteiligt zu wirken; inne­rer Aggressionsstau, Ohnmachts- und Angstgefühle. Aber auch Verunsiche­rung bei den Aggressoren wenn sie Widerspruch erfuhren. Ein wichtiges Fazit der Auswertung dieser ersten Rollenspieleinheit war, daß die, die sich ge­traut hatten, etwas gegen die fremden­feindlichen Parolen zu sagen, "in der Re­gel nicht gemerkt haben, daß ihr Gegen­über verunsichert  war, und es vermut­lich auch nie erfahren hätten, wäre es nicht in diesem Fall ein Spiel mit an­schließendem Austausch gewesen.“

Daraufhin würden auf einer großen Pa­pierrolle Ideen für mögliche und unmögliche Verhaltensweisen in den be­sagten Situationen gesammelt, ganz so wie sie uns kamen. Und es ist erstaun­lich, wie kreativ ein paar Menschen sein können, die sich in einem ruhigen Mo­ment gemeinsam Reaktionsweisen ge­gen rassistische Agitation überlegen: von fäkalischen Beschimpfungen über verschiedenste Gesprächsstrategien bis hin zum Kekse-Anbieten und Flugzet­tel-Verteilen reichten die spontanen Ideen.

Bevor es dann daran ging, einige der Vorschläge im erneuten Rollenspiel auszuprobieen, war aber noch ein ande­rer Übungsschritt einzulegen. Denn wie die Trainerin Barbara Müller plausibel machen konnte: Wer sich mit einer anderen Person streiten will, sollte zunächst hinhören, was diese überhaupt sagt. So wurde - wiederum in mehreren Durchgängen - das "Spiegeln" geübt, die kommentarlos zusammenfassende Wiedergabe dessen, was ein Gegenüber von sich erzählt. Und tatsächlich zeigte sich, welche Kunst oder auch welch anstrengendes Geschäft wirkliches Zuhören ist.

Den Höhepunkt des Samstagnachmittags bildete das Rollenspiel der ganzen Gruppe  mit Akteurinnen und Zu­schauerlnnen und "fliegendem Wech­sel" bei neuen Ideen seitens der Außen­stehenden, d.h. wer einen Vorschlag für das Verhalten einer bestimmten Person im Rollenspiel hatte, begab sich selbst in diese Rolle und probierte es einfach aus. Die Szene spielte wiederum in der Belegschaft der bereits bekannten Fabrik: Da saß in der Kaffeepause ein Haupt-"Motzer", der seine Parolen gegen "die Ausländer" und "die Asylan­ten" schwang, eine ausländische Kolle­gin, die die Stimmung nur teilen konnte, soweit es ausdrücklich gegen "die Asylanten" ging, eine Aushilfskraft, die - von einer weiteren Kollegin unterstützt - nun versuchte, den Parolen Paroli zu bieten, und noch eine weitere, gemäßigt gegen "Überfremdung" argumentierende Person.

 

Einige Aspekte der Situation wurden im Laufe der Zeit sehr deutlich erkennbar:

Zum einen gab es für die Wider­spruchspartei Grenzen, ab denen eine inhaltliche Verständigung mit ihren Gegnerinnen nicht mehr möglich war. Zwar konnten gerade Nachfragen nach seinem persönlichen Hintergrund den "Motzer" sehr verunsichern, doch wurde diese Unsicherheit eher mit noch mehr Aggressivität überspielt, so daß sie alles andere als eine Entspannung der Situa­tion zur Folge hatte. Als problematisch erwies es sich, daß die der Polemik widersprechenden Personen es zunächst viel schwerer hatten, sich in der Situation miteinander zu verbünden, als um­gekehrt ihre Gegnerinnen. Erst als ihnen das gelang, konnten sie sozusagen eine "Gegenöffentlichkeit im Kleinen" auf­bauen und sich damit zumindest für ih­ren Teil klarer von den vorgetragenen Parolen abgrenzen. Im besten Fall ge­lang es ihnen hierbei, endlich zu Prot­agonistinnen ihrer eigenen Position zu werden, statt weiter nur zu reagieren beziehungsweise zu verteidigen. Zum Teil gelang es auch, Einzelgespräche von der - unergiebigen - Gruppendis­kussion abzukoppeln und damit auf ge­sprächsbereite Personen der Gegenseite differenzierter einzugehen. Wo gar nichts anderes mehr half, blieb denen, die den Widerspruch wagten, nur noch, die Grenzen des ihnen Zumutbaren un­mißverständlich deutlich zu machen und sich gegebenenfalls dann demonstrativ der rassistischen Polemik zu entziehen.

In allem zeigte sich die Notwendigkeit für die betroffenen Personen, bei sich zu bleiben, ihre eigenen Gefühle wahrzu­nehmen, und diese möglichst authen­tisch auszudrücken. Hierin lag die Stärke ihrer Opposition.

Nach diesem sehr lernintensiven und ebenso anstrengenden Programm wurde am Sonntagvormittag eine spezielle Überlegung weiterverfolgt: Wie können wir uns in einem Fall verhalten, in dem unsere Gegenüber oder auch wir selbst verbissen an einer Position festhalten, wir aber bereit sind, eine Verständigung zu  suchen, d.h. der jeweils anderen Per­son eine Möglichkeit zur Überprüfung und Veränderung ihrer Position ohne Gesichtsverlust zu geben? Der Ausgangspunkt zur Klärung dieser Frage lag wieder bei den eigenen  Erfahrungen: "Was hilft mir, wenn ich mich in einem Streit in eine unhaltbare Position ver­rannt habe?" So wurden eine ganze Reihe von Vorschlägen zum "Brücken­bauen" in Konflikten gesammelt und durchgesprochen. Und dann mußte diese Einheit auch schon abgebrochen wer­den, weil die verbleibende Zeit gerade noch für die Schlußauswertung reichte.

Dieser Kurs bot den Teilnehmerinnen und Teilnehmern einen Schutzraum, Dinge gleichsam unter Laborbedingun­gen durchzugehen und zu erproben, die uns sonst im Alltag keine Zeit und Ge­legenheit dazu lassen. Als ein solcher Schutzraum war dieses Wochenende ausgesprochen hilfreich. Die wesentlichen Inhalte, Gedanken und Ideen ka­men eben nicht von der Trainerin - also von außen -, sondern aus der Gruppe selbst, aus der Wahrnehmung, der Erin­nerung und den Erfahrungen der Teil­nehmerinnen. Alle waren Betroffene, und alle brachten ihre Geschichte und ihre Geschichten mit. Entscheidend war, daß mit Hilfestellung der Trainerin ein Prozeß der  Kommunikation in Gang kam, der seine eigene Dynamik fand. Menschen, die sich vorher größtenteils kaum kannten, kamen miteinander über ihre Erfahrungen in der Begegnung mit Fremdenfeindlichkeit, über ihre Wut, Hilflosigkeit und ihre Ängste in das Ge­spräch. Diese Dynamik führte dazu, daß letztlich das Programm des Wochenen­des anders verlief, als Barbara Müller es ursprünglich geplant hatte. Auch waren die Kontakte und Begegnungen unter­einander sehr positiv, was sich an der gelungenen Gestaltung der gemeinsa­men Freizeit während des Wochenendes zeigte.

Barbara Müller schaffte es - mit der ihr eigenen angenehmen Art - sowohl kurze Entspannungsübungen als auch Gruppenspiele mit den eigentlichen Ar­beitsmethoden in den Einheiten zu ver­binden. Dabei wurde deutlich, wie sehr die einzelnen Anteile, die persönliche Gelassenheit mit der Kunst, gerade in bedrohlichen Situationen bei sich selbst zu sein, die Wahrnehmung und Bezie­hung zur Gruppe und die Reflexion von Verhaltensmustern in der Sozialen Verteidigung bzw. im Gewaltfreien Widerstand zu einer Einheit zusammengehören.

Die auf dem Wochenende angewandten Methoden, vor allem die des Rollenspiels, lassen sich auch ohne fachliche Anleitung weiter einsetzen, so daß der begonnene Prozeß von den Teilnehme­rInnen weitergetragen werden kann.

Es war ein "Training zum aufrechten Gang", wie Barbara Müller es anfangs nannte, für die allermeisten das erste Training dieser Art, deshalb auch auf das Kennenlernen beziehungsweise "Schnuppern" ausgerichtet, statt auf eher speziellen Problemstellungen. Vieles wurde zwar nur angerissen und vieles blieb vertiefungsbedürftig. Die Erkennt­nis der eigenen Defizite und der Spaß, ­den dieses Wochenende gemacht hat, haben aber offensichtlich die "Lust auf mehr" geweckt; Ein nächstes eintägiges Treffen von Teilnehmerinnen des Kur­ses - dann in Eigenregie und erneut mit Rollenspielen - ist geplant.

 

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