Gewaltfreiheit und die verschiedenen Arten über einen Krieg nachzudenken

von Kurt Südmersen

Zwischen dem 20.September und dem 8. Oktober sind vier Mitglieder des Bundes für Soziale Verteidigung in Slowenien und Kroatien gewe­sen. Der BSV hat seit ca. 1 1/2 Jahren gute Kontakte vor allem zur slo­wenischen Friedensbewegung. Roland Vogt und Christine Schweitzer haben im Sommer dieses Jahres eine erste Fact-Finding-Mission nach Jugoslawien unternommen. Aufgrund dieses Engagements gab es eine Anfrage aus Zagreb, ob der BSV Trainings in Konfliktvermittlung und gewaltfreier Aktion durchführen könne. Basierend auf diese Anfrage hat der BSV eine erste Delegation zusammengestellt. Sie hat verschie­dene Projekte der Anti-Kriegsbewegung kennengelernt und erste Trai­nings durchgeführt. Hier ein erster Bericht.

Dieser Krieg wird noch mindestens 15 Jahre dauern, sagt Benn traurig und pessimistisch in die Runde. Vor zwei Tagen ist die Verdunkelung für Zagreb - vorerst - aufgehoben worden. Nun sit­zen wir in einer kleinen Wohnung im Zagreber Industrieviertel und lassen uns aufklären über Einschätzungen und Konfliktverläufe dieses für Außenstehende schier undurchschaubaren Gewirrs von Interessengegensätzen und Kon­fliktgemengen.

Wir müssen einsehen, daß wir diesen Krieg mit unseren Kräften nicht stoppen können und wir müssen die Strukturen für eine langfristige kontinuierliche Ar­beit aufbauen, meint Benn weiter und vertritt damit die einhellige Meinung aller unserer GesprächspartnerInnen, denen wir während unseres Aufenthalts in kleinen und größeren Gruppen noch begegnen werden.

Die jetzt zur Gewalt in ihrer widerlich­sten und entmenschlichten Form eska­lierten Konflikte haben eine lange Vor­geschichte, die hier nicht ausgebreitet werden kann, obwohl sie zum Verständ­nis und zur Lösung der Konflikte un­mittelbar dazu gehört. Deutlich ist, daß es für die Befürworter des Krieges nicht einfach gewesen und weiterhin ist, die Menschen dazu zu bringen, aus ihren Häusern und Wohnungen zu fliehen, Barrikaden zu bauen, aufeinander zu schießen und sich gegenseitig abzumetzeln.

Wie dieses elende Geschäft betrieben wird, berichtet uns Vesna am Beispiel der Nachbarstädte Bosanski Kobas und Slavonski Kobas: Durch das Heraus­stellen von Unterschieden zwischen Serben und Kroaten, durch Ressenti­ments, durch das Verbreiten von Ge­rüchten über die jeweils andere Seite entsteht eine Stimmung der Angst und des Mißtrauens. Diese Stimmungsma­che läuft auf verschiedenen Ebenen seit Jahren und Jahrzehnten in Jugoslawien. Durch gezielte Aktionen - beispiels­weise die Durchsuchung von serbischen Wohnungen und Wagen, vorgenommen von kroatischer Polizei - wird die Atmo­sphäre angeheizt.

Die Friedensbewegung versucht durch Gespräche zwischen Kroaten und Ser­ben die Konflikte zu bearbeiten, kann aber die beginnenden Umzüge, die sich in kurzer Zeit zur Fluchtbewegung stei­gern, nicht mehr aufhalten. Die Serben fliehen aus Slavonski Kobas nach Bosanski Kobas. Beide Städte sind nur durch die Sava getrennt, deren Flußver­lauf hier die Grenze zwischen Kroatien und Bosnien bildet. In umgekehrter Richtung fliehen nun die Kroaten. Die Kommunikation zwischen Serben und Kroaten ist erfolgreich unterbrochen.

Gezielt werden Gerüchte über Greuel­taten verbreitet, die Haß, Wut und Ra­chegefühle aufputschen und die Bereit­schaft, auf den Gegner zu schießen, an­wachsen lassen. Für Flüchtlinge ist die Situation kaum ertragbar. Sie sind zur Untätigkeit verdammt - keine Arbeit, kein Geld, keine Perspektive. Die ein­zige Möglichkeit, an Geld zu kommen und die eigene Lähmung zu überwinden ist, sich einer der Armeen anzuschließen oder zu den Freischärlern zu gehen. An­gelockt durch eine hohen Verdienst und dem Angebot, ein Ventil für den ohn­mächtigen Haß zu finden, lassen sich die Männer von Söldnertrupps zum Bar­rikadenbau anwerben und zu neuen Söldnern rekrutieren. Dadurch finden sich trotz vieler Deserteure immer wie­der neue Soldaten und lassen sich wei­terhin Waffen verkaufen bzw. verteilen. Söldner, die aus anderen Landesteilen herbeigeschafft worden sind, fangen  zu schießen an - wahllos, ohne Rücksicht ob Feind oder Freund getroffen wird.

Menschen, die diesen Mechanismus durchbrechen wollen, wie etwa die mu­tigen Frauen der Mütterkomitees, wer­den mit dem Tode bedroht. Deeskalati­onsgespräche sind lebensgefährlich. Aufgrund der Schießereien greift nun die andere Seite ein und schießt zurück. Es entsteht die von den Kriegsbefür­wortern gewollte Front. Sie wird rasch aufgerüstet. Durch die Opfer steigt der Haß und die Bereitschaft erneut Gewalt anzuwenden. Die Bundesarmee schaltet sich ein und es kommt zum Gemetzel.

Dieser Mechanismus ist auf vielen der lokalen Kriegsschauplätze anzutreffen und bei Konfliktanalysen wiederzuer­kennen, betonen unsere Gesprächspart­nerInnen. Aber natürlich gibt es auch andere Konfliktverläufe.

Die Schlußfolgerung, die wir gemein­sam ziehen, ist, daß es einer langen, ge­duldigen und auf einem hohen Grad der Professionalität angesiedelten Arbeit bedarf, um die abgerissenen Kommunikationszusammenhänge wieder herzu­stellen und Frieden in Jugoslawien zu schaffen. Eine Trennung der Konflikt­parteien durch Truppen (WEU, UNO, NATO) wird dieser Arbeit nicht entge­genkommen. Dennoch ist eine kontrol­lierte Waffenruhe notwendig, um den Frieden entwickeln zu können. Wie sie herbeigeführt werden kann ist eine der schwierigsten Fragen dieses Konfliktes.

In diesem Krieg stoßen grundsätzliche Konfliktverhaltensmuster aufeinander und zwar sowohl innerhalb Jugosla­wiens als auch auf europäischer und weltweiter Ebene. Alle, die jetzt nach schnellen endgültigen Lösungen rufen, können eigentlich nicht gewaltfreie Lösungen meinen. Ihnen gegenüber stehen auch in Jugoslawien eine große Zahl von Menschen, die betonen, daß eine gerechte Lösung der Konflikte erst nach langen Verhandlungen gefunden werden kann. Es wird immer wieder betont, daß es darauf ankommt den Prozeß der Ei­nigung über die Aufteilung Jugosla­wiens friedlich zu gestalten, anstatt die jeweiligen Ziele absolut mit Gewalt durchsetzen zu wollen. Es gibt Lösun­gen für die schwierigen Probleme Jugo­slawiens. Aber sie können nicht gefun­den werden, wenn aufeinander geschos­sen wird.

Die vom BSV angebotenen Trainings in Mediation und in gewaltfreier Krisen­intervention treffen bei allen Gespräch­spartnerInnen auf ein sehr großes Inter­esse. Zur Zeit werden von der Antiwar-Campaign vorbereitete Trainings mit der Unterstützung von Traude Reb­mann, Eric Bachmann und Christine Schweitzer durchgeführt. Wenn sie beendet sind werden wir sie gründlich auswerten, verbessern und den Bedürf­nissen angepaßt fortsetzen.

Neben dieser Arbeit haben wir bei unse­rem Besuch noch drei weitere Projekte kennengelernt:

I. Das Informationsmagazin
Ein monatlich erscheinendes Informati­onsmagazin kann die Kommunikation zwischen den Mitgliedsorganisationen der Antikriegs - Kampagne und auch Individuen erheblich unterstützen. In der momentanen Situation in Jugoslawien ist dies das beste und oft auch einzige Kommunikationsmedium, denn seit ei­nigen Monaten ist der Zug- und auch der Busverkehr zwischen Kroatien, Ser­bien und Bosnien-Herzegovina einge­stellt. Die Telefonverbindung zwischen Zagreb und Belgrad wurde in der zwei­ten Septemberwoche unterbrochen. Die einzige bestehende Kommunikations­form ist somit der Postweg. Deshalb ist ein Informationsmagazin z.Zt. der ein­zige Weg, Informationen über Friedens­projekte und -aktionen auch in andere Städte und Republiken zu bringen.

Ein solches Magazin hat die Aufgabe, das Monopol der existierenden Me­dien, die sich ganz der Kriegspropa­ganda verschrieben haben, zu brechen.

Ein Informationsmagazin ist ein ge­eignetes Instrument, um Friedensgrup­pen in ganz Jugoslawien zu vernetzen. Insbesondere in den kommenden Mo­naten hat eine solche Veröffentlichung die Aufgabe, gewaltfreie Konfliktlösungsstrategien zu propagieren und die Schaffung einer jugoslawischen Frie­densbewegung zu unterstützen.

II. Das Friedenszentrum
Um die Projekte der Antikriegs-Kampa­gne zu unterstützen muß ein Service-Center in Zagreb eröffnet werden. Ein solches Center wird auch zur Hilfe und Unterstützung internationaler Beobach­terInnen beitragen. In den letzten Mo­naten betreute die Antikriegs-Kampagne bereits verschiedene internationale Gä­ste und organisierte Treffen im Vertei­digungsministerium, Besuche im Kri­sengebiet etc.

Das Center wird von einem Aufsichtsrat geführt werden, der auf einer Ver­sammlung der Antikriegs-Kampagne im Oktober gewählt werden wird.

Die im Center Arbeitenden haben die folgenden Aufgaben:

  •  Der/die Generalsekretär/in koordiniert Projekte und ist verantwortlich für organisatorische und finanztechni­sche Aufgaben.
  •  Der/die Herausgeber/in des Informati­onsmagazins ist zuständig für das Sammeln von Informationen, das Verfassen von Artikeln, und die Ko­ordination der Arbeit am Magazin.
  •  Kommunikation zwischen den Repu­bliken
  •  Der/die Organisator/in für gewaltfreie Methoden ist verantwortlich für das Organisieren von Seminaren und Workshops in Kroatien und wenn möglich auch in den anderen Repu­bliken.

Desweiteren wird es eine Stelle für eine Praktikantin / einen Praktikanten aus dem Ausland geben. Die meisten Auf­gaben werden wie bisher von ehrenamt­lichen MitarbeiterInnen übernommen werden.

III. Ein Computernetzwerk
Dringend gebraucht werden in Jugosla­wien Modems für eine Mail Box. über ein internationales Mail-Box-System könnten die in den einzelnen Republi­ken zur Verfügung stehenden Informa­tionen sehr schnell und zuverlässig aus­getauscht werden. Aus den oben be­schriebenen Gründen sind schnelle und authentische Informationen gerade in dieser Zeit von größter Bedeutung.

Schlußbemerkung
Bei unseren Gesprächen ist uns deutlich geworden, daß eine genaue Kenntnis der Situation und der Bedingungen, unter denen diese schwierige Arbeit stattfin­det, notwendig ist, um zu helfen. Dies trifft ganz besonders auf den Geldtrans­fer zu. Wer hier nähere Informationen braucht, möge sich an den BSV wenden.

Die Jugoslawische Friedensbewegung braucht jetzt unsere Hilfe! Wir entschei­den mit, ob Benn eines Tages zur Waffe greift, weil er es nicht mehr aushält, oder ob er mit unserer Hilfe und Solidarität den gewaltfreien Weg weiter gehen kann.

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Kurt Südmersen ist Mitarbeiter des Bundes für Soziale Verteidigung (BSV)