Der superdicke Blumenstrauß

Halten Friedenswochen, was sie ver­sprechen?

von Wilfried Warneck

Jedes Frühjahr neu stellt sich der "Arbeitskreis Wetzlarer Friedenswo­che" die Frage: "Machen wir wieder eine Friedenswoche?" Ein ebenso höflicher wie Überflüssiger Ritus: ja, natürlich machen wir wieder eine. Warum? Weil es sonst nach Rückzug aussehen könnte? Nein - weil es nichts Vergleichbares gibt, obwohl schon seit etwa zwanzig Jahren hier­zulande Friedenswochen stattfinden.

Auch 1990 also Wetzlarer Friedenswo­che - zum ersten Mal seit Jahren ohne den Knüller der Theateraufführung, was sogleich zu einem tiefen Einbruch in der Gesamtbilanz der Teilnehmerzahlen fährt. Sonst das Übliche Kaleidoskop der Veranstaltungsformen: Diskussionen und Vorträge, Musik Autorenlesung, Gottesdienste, ein großer Fest-, Kultur- und Diskussionsabend mit dem breiten Spektrum der "heimischen Ausländer", Ausstellungen und Gottesdienste, davon einer an Ort und Stelle, also am Atom­sprengkopflager nicht weit außerhalb der Stadt, in schönster Landschaft, trotz scheußlichen Wetters gut besucht.

Wie leben so hochgerüstete Gesell­schaften wie die mitteleuropäischen ei­gentlich ohne den Ost-West-Konflikt? Mu· da rasch ein Ersatz-Feindbild her? Das war eine der Fragen, die zum roten Faden durch die Veranstaltungsreihe wurden. Der Psychologe behauptete die Fähigkeit von Einzelnen und Gruppen, von ihrer Feindbildsucht "clean" zu werden; der Seelsorger betonte die Ver­antwortung der Einzelnen, aber im hei­lenden Zusammenhang von Gruppe und Gemeinde; die Soldaten waren unterein­ander extrem unterschiedlicher Ansicht. Die andere Frage: Ist es nicht an der Zeit, eine völlig neuartige Lebenskultur einzuüben? Gewaltfreies Training, Gruppenarbeit in Konfliktbewältigung, politischer: "Friedensdienst contra Atomtest", sehr politisch schließlich, aber in unserem Fall mit starkem philo­sophischem Polster: "Bundesrepublik ohne Armee?!" Fast durchweg der Trend weg von den Prominenten, dafür die intensive Befragung mehr oder we­niger im Wohnzimmer- oder Kneipen­milieu, ein wenig formloser vielleicht als früher, aber um keinen Deut weniger engagiert. Die frischen Nachrichten aus dem Golfkonflikt werden eingegeben; es wird von den Freundinnen und Freunden erzählt, die als Mahnwache, als Gruppe des Fastens und Betens und gegebenenfalls als Austauschgeiseln nach Bagdad gefahren sind. Nicht alle Veranstaltungen sind brillant, aber in keiner wird geschlafen. 

 

Warum Friedenswoche? Es gilt nach wie vor:

  1. Einen Abend lang Argumente austau­schen fährt nicht weit - aber eine ganze bunte Folge verschiedenartig­ster Veranstaltung, da kommt man in die Sache hinein, lernt Leute kennen und erhält Fingerzeige zum prakti­schen Mittun.
  2. Die Thematik ist so komplex gewor­den, da· es wichtig ist, sie von ver­schiedenen Seiten zu beleuchten und Fachleute unterschiedlicher Richtung zu Wort kommen zu lassen.
  3. Nicht alle können Referaten und Dis­kussion folgen; da ist es gut, wenn es auch etwas zu sehen gibt, etwas zum Miterleben und Mitmachen. Die Mi­schung der Veranstaltungsformen ist wesentlich.
  4. Auch das Denken, Reden und Ma­chen stößt an Grenzen; eine Zeit zu haben, wo wir miteinander feiern, uns der Freundschaft und der gewon­nenen Erfahrungen vergewissern, ist gut - mache niemand so etwas als Selbstbeschäftigung der Gleichge­sinnten schlecht, solange es in Wahr­heit kein Selbstzweck ist, sondern immer wieder in die neue Praxis fährt.

Welche Struktur hat uns bisher gedient (und wird es wohl weiterhin tun)?

  1. Die Wetzlarer Friedenswoche ist ein offenes Forum der Information, des Dialogs und der Aktion.
  2. Jeder Träger einer Veranstaltung ist für seine Veranstaltung voll und in jeder Hinsicht selbst verantwortlich - es sei denn, der gesamte Arbeitskreis beschließe eine Ausnahme (z.B. große Theateraufführung als Ge­meinschaftsinitiative).
  3. In die gemeinsame Verantwortung des Arbeitskreises fallen:
    1. Grobplanung, Festlegung wichtiger Akzente, zeitlicher Rahmen;
    2. Koordination der Termine, Beratung über Räume usw.;
    3. Werbung in Medien, durch Prospekte und Plakate;
    4. Einwerbung und Verwaltung der für die Werbung erforderlichen Mittel;
    5. Auswertung.

Damit können sich auch zunächst sehr vorsichtige Institutionen und Verbände anfreunden. Schon diese Erfahrung der Zusammenarbeit als solche ist ein wich­tiges Kapital, das der einzelnen Gruppe bei manchen konkreten Vorhaben zu­gutegekommen ist. - Ich denke, es ist noch nicht aller Tage Abend mit unserer Friedenswoche. Es ist eine beträchtliche Anstrengung, jedes Jahr diesen Super­strauß zusammenzukriegen. Manche haben sich mancherlei Alternativen aus­gedacht - herausgekommen ist immer: die nächste Friedenswoche.

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Wilfried Warneck ist Mitmitglied der Wetzlarer Friedensbewegung und lebt in der Nähe von Wetzlar