Eine Vergewaltigung im Zweiten Weltkrieg: Die Verarbeitung von Trauma und Scham

Hartnäckiges Schweigen

von Vera Kattermann

"Auf Berlin einstürmende bewaffnete Mongolen" - wenn Hitlers Propagandamaschinerie eines gekonnt beherrschte, dann war es das Bedienen der Klaviatur archaischer Ängste. Die realen Traumata des Zweiten Weltkriegs legierten sich in der Folge mit den nationalsozialistischen Schablonen einer Propaganda des Grauens und wirken aus psychoanalytischem Verständnis bis heute in den kollektiven Schichtungen des Unbewussten fort. Wie können wir Zugang finden zu diesen Facetten der kollektiven Erinnerung und was davon lässt sich entschlüsseln?

Die Neue Arbeitsgemeinschaft für Zeitgeschichte und Sozioanalysen (NAZ e.V.), ein 2007 gegründeter sozialwissenschaftlicher Verein in Berlin, untersucht in einem Projekt zur nationalsozialistischen Zeitgeschichte Erzählungen von Menschen über ihr Erleben der Jahre 1933-1945 mit dem spezifischen Schwerpunkt auf den Perspektiven von Frauen.

Der interdisziplinäre Zugang zum Verständnis ihres Erlebens ergänzt eine kleine und doch auffallende Lücke in der psychohistorischen Forschung: Zwar lässt sich insgesamt weiterhin eine Intensivierung der kollektiven Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg in Deutschland beobachten. Ein Erinnerungstabu jedoch scheint unverbrüchlich fortzubestehen: die Vergewaltigungen von Frauen während und zum Ende des Zweiten Weltkriegs.

Die häufige Vernachlässigung spezifisch weiblicher Untersuchungsperspektiven in der historischen Forschung ist bekannt, auffallend ist sie gerade im Hinblick auf sexuelle Gewalt. Möglicherweise ist es nicht nur die Scham der Frauen, die eine Auseinandersetzung um die massenhaft erlittenen Vergewaltigungen behindert hat, sondern sind es auch Scham- und Schuldgefühle vieler deutscher Männer, die ihrerseits als Wehrmachtssoldaten im Kontext ihrer Feldzüge Frauen vergewaltigten. Eine solche Dopplung der Abwehr könnte die Hartnäckigkeit des Beschweigens im Nachkriegsdeutschland erklären.

Die Verfilmung des zu Kriegsende verfassten anonymen Tagebuches "Anonyma - Eine Frau in Berlin" hat die öffentliche Auseinandersetzung um Gewalt an Frauen im Kontext des Kriegs weiter angeregt. Bislang ist dieses anonyme Tagebuch eines der wenigen Zeugnisse, die detailliert zugänglich machen, wie und in welch vielfältigen Formen sexuelle Gewalt in der Kriegszeit ausgeübt wurde.

Ein anderes Zeugnis ist das Gedicht der Berlinerin Rose H., "Geschichte meiner Vergewaltigung 1945": Es beschreibt eine spezifische Vergewaltigungssituation in einem Berliner Wohnzimmer zu Kriegsende und lässt darin auch die damit verbundenen, emotionalen Folgewirkungen der Frau anklingen.

In vielen TV- oder Kinoproduktionen werden solche Szenarien sexueller Gewalt im Kontext des Zweiten Weltkriegs zumeist nur kurz als hektische Keller- oder Treppenhausübergriffe angedeutet. Das Gedicht von Rose H., zum Zeitpunkt ihrer Vergewaltigung fünfundzwanzigjährig, zeigt hingegen ein "ungewohntes" und mit Widersprüchen behaftetes Erleben der traumatischen Vergewaltigungssituation auf, das sich mit einem psychoanalytischen Verständnis eingehender aufschlüsseln lässt.

Das Gedicht ruft auch in uns als Leserinnen und Lesern intensive Gefühle hervor: Überraschung, Entsetzen, Unglaube, Lachen, Beschämung - ein irritierendes Gemisch an Reaktionen, die anzeigen, wie verwirrend und verstörend wohl auch die Dichterin die Vergewaltigungssituation erlebte. Das Gedicht weist fast durchgängig dieses Merkmal einer Montage von eigentlich Widersprüchlichem auf.

Durch die Melange aus saloppem Slang und ironisch eingesetzter, gestelzter Sprache wird assoziativ das Gefühl einer unbeschwerten, heilen bürgerlichen Welt wachgerufen. Wir denken an Szenen aus Wilhelm Buschs Klassikern, die ähnlich widersprüchlich humorvoll von kruder Gewalt erzählen, wie etwa mit dem "explosiven Attentat" von Max und Moritz auf Lehrer Lämpel. Auch das Gedicht von Rose H. induziert in lyrischer Leichtigkeit eine Art Heiterkeitstrance, die einlullt und zugleich das empfundene Unbehagen und die Verwirrung vertieft.

Die Wahl der Reimform per se ist ein ästhetischer ebenso wie psychologischer Kunstgriff: Sie schafft einen dichterischen Abstand und die festgelegte Reimfolge bildet ein haltendes und begrenzendes Korsett für die Darstellung der traumatischen Erfahrung. Rose H. hat damit eine ganz eigene Form gefunden, das Dilemma zu lösen, wie sich traumatisches Erleben überhaupt mitteilen lässt.

Angst und Schrecken der jungen Frau werden zwar durchaus angesprochen, wirken jedoch karikaturenhaft eingefroren: "Wir sah'n entsetzt uns an, verstohlen, Es war'n bewaffnete Mongolen!" oder "Wir, wie Hühner auf der Stange, vor ihnen zitterten so bange!". Hier zeigt sich konkret, wie die Reimform ermöglicht, dem Schrecklichen den Schrecken zu nehmen und es stattdessen in vertraute Wort- und Bildschablonen zu überführen. Und es zeigt sich auch: Die sexuelle Gewalt wurde eben nicht nur gleichsam animalisch von "bewaffneten Mongolen" im Kellerdurchgang ausgeübt, so wie es von der NS-Propaganda als Bedrohung beschworen und zum Teil bis heute medial weiterkolportiert wurde - sie fand auch den Weg in die gutbürgerlichen Wohnzimmer.

Mit diesem Überraschungseffekt spielt auch das Gedicht: Einhergehend mit der Verlagerung in einen bürgerlichen Klaviersalon wird die Vergewaltigung in eine Verführungssituation umgedeutet: "Ich ging mit ihm in aller Ruh / zu dem erahnten Rendezvous". Das Winken mit der Pistole deutet an, wie stark in dieser Situation eigentlich das Empfinden von Ohnmacht und Hilflosigkeit gewesen sein muss.

In der ironischen Darstellung als Rendezvous wird diese Ohnmacht jedoch ausgeklammert und in ein Verhältnis der Wechselseitigkeit gewendet, in dem prinzipiell beide um das Gefallen des anderen ringen. Zu unserer Überraschung stellt die Vergewaltigte abschließend fest: "Nur, was empfunden hab ich nicht!" Hier beschämt sie den Vergewaltiger als versagenden Freier, der nicht vermochte, sie sexuell anzusprechen oder gar zu befriedigen - eine für die Vergewaltigung eher absurd anmutende Idee, da die Empfindungslosigkeit sogar eher als erleichternd erlebt werden könnte.

Die traumatische Ohnmacht ist hierdurch aber gekonnt aus dem Erleben getilgt und die Scham dem Täter zurückgegeben: Die Dichterin beschreibt in ihren Versen auch seine "Vergewaltigungsblamage". Aus der Vergewaltigten, über die gewaltsam verfügt wurde, ist eine ‚Demoiselle’ geworden, die sich über das sexuelle Unvermögen ihres Freiers mokiert. Er erscheint hier lächerlich, ähnlich wie auch der Vergewaltiger der Nachbarin, der sich inmitten scheppernder Kochtöpfe die Hosen zuknöpft. Dies ist eine wesentliche Wendung der Interpretation, die das Gedicht vornimmt und die das Trauma der Beschämung zu mildern hilft: Versagen und Beschämung werden nachträglich an den Täter zurückgegeben.

Dennoch bleibt die Scham der Erzählerin sehr spürbar und wird im Gedicht intensiv bearbeitet, absurderweise aber ausschließlich in Bezug auf ihr Klaviervorspiel: „Ich schlich von dannen fast betrübt / Hätte ich doch mehr geübt / Denn die Blamage am Klavier / Niemals verzeihe ich die mir!“. Hier empfinde ich als Leserin die situative Verdrehung besonders stark: die Überlagerung einer sexuellen Vergewaltigung durch eine Zwangssituation, in der es um Unterwerfung und kulturelle Ästhetik geht. Nicht nur die sexuelle Würde dieser jungen Frau wird angegriffen, sondern auch ihre bürgerlichen Werte und Fertigkeiten. Diese Demütigung macht die Vorgeführte jedoch nicht trotzig oder wütend, sondern sie erlebt sie als die eigentliche und bleibende Erniedrigung.

Die Intensität, mit der die Dichterin diese Umdeutung der Vergewaltigungssituation erlebt, erklärt sich vielleicht indirekt aus dem Kontext: Eingeführt ist gleich zu Beginn die Mama, die fortan durchgängig durch die Wir-Form präsent bleibt. So geht es letztlich vielleicht nicht nur um die Beschämung vor dem Offizier selbst, sondern vor allem auch vor den Ohren der Mama. Die Fatalität der Vergewaltigung liegt dann vor allem auch darin, dass die Mutter Zeugin war und als Zeugin im Leben der Frau präsent bleiben wird. Die bleibende Scham über die gewaltsam erzwungene sexuelle Intimität vor der Mutter kann unsere Irritation über die überstark betonte Beschämung durch das mangelhafte Klavierspiel verständlich machen. Dass es letztlich eine Bagatelle ist, die als bleibende Beschämung überdauert, ist aber auch der humoristische Triumph des Gedichts: dass das stümpernde Klavierspiel als so furchtbar empfunden wird, ist zum Lachen, scheinbar wirklich amüsant. Die Dichterin kann durch den Kunstgriff der Verschiebung der Scham ihre Heiterkeit begründen. Damit hat sie das sexuelle Trauma mittels des Gedichts gleichsam weggelacht.

Rose H. sagt heute zu ihrem Gedicht: "Die Russenvergewaltigung war wirklich komisch! Es ist doch gut, dass ich drüber lachen kann, und es war gut für meinen Charakter, dass ich das alles vergessen habe seelisch." Das Gedicht war für sie offenbar ein hilfreicher Weg, das zerstörerische traumatische Potenzial zu bannen.

In ihrer Reimfertigkeit hat sie zudem doch noch das gekonnte Beherrschen von bürgerlichen Kulturtechniken bewiesen. Uns als Leserinnen und Lesern hat sie gezeigt, dass sexuelle Gewalt gerade auch durch den Kontext, in dem sie ausgeübt wird, zersetzend wirken kann, und wie wichtig es ist, individuelle Wege zu finden, die traumatische Erfahrung zu verarbeiten.

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Vera Kattermann, Jahrgang 1967, arbeitet als Psychoanalytikerin in Berlin. Ihr Interessenschwerpunkt sind die psychischen Folgewirkungen totalitärer Systeme und kollektive Vergangenheitsbearbeitung. 2007 erschien ihr Buch "Kollektive Vergangenheitsbearbeitung in Südafrika. Ein psychoanalytischer Verständnisversuch der Wahrheits- und Versöhnungskommission". Gießen, Psychosozial-Verlag, 36 Euro.