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Im Gefängnis aus Gewissensgründen
vonYonatan Ben-Efrat lebt mit seiner Familie im jüdischen Teil von Jerusalem. Er ist ein kluger, eher stiller und nachdenklicher junger Mann. Kurz nach seinem 18. Geburtstag erhielt er seine Einberufung zum Militärdienst. Für ihn begann damit die härteste Zeit seines bisherigen Lebens. In Israel gibt es kein Recht auf Wehr- oder Kriegsdienstverweigerung. Der dreijährige Militärdienst ist Pflicht für alle, auch für Mädchen.
Yonatan wurde zu einer kämpfenden Einheit einberufen. Das heißt, er muß seinen Dienst in den besetzten Gebieten, Gaza oder Westjordanland, ableisten. Dienst in den besetzten Gebieten ist Kriegsdienst, Dienst in einem einseitigen, schmutzigen Krieg gegen Frauen und Kinder.
Es bedeutet,, ständig als Zeuge die Menschenrechtsverletzungen des israelischen Militärs mitanzusehen oder selbst daran beteiligt zu sein. Es bedeutet, palästinensische Familien aus ihren Häusern zu jagen, Häuser von Palästinensern unter fadenscheinigen Begründungen einzureißen. Es bedeutet auch, immer wieder schießen zu müssen auf diese Halbwüchsigen, die verzweifelt versuchen, sich aufzulehnen gegen das Unrecht, das ihnen ständig angetan wird.
Da die ursprünglich gewaltfreie Intifada mich zum Erfolg führte, greifen immer mehr Palästinenser erneut zur Gewalt. Radikale islamische Gruppen wie 'Hamas' haben Zulauf. sie schrecken auch vor Mord nicht zurück.
Yonatan wusste, daß er in die Spirale aus Gewalt und Unrecht hineingezogen würde, bliebe er bei seiner Einheit. Aber es war ihm auch klar, würde er sich weigern, würden sie ihn wahrscheinlich ins Gefängnis stecken. Und ein israelisches Militärgefängnis ist kein Ort, an dem den Menschenrechten allzu große Bedeutung zugemessen wird.
Die Entscheidung, vor der er stand, ist nicht zu vergleichen mit der Entscheidung in Deutschland zwischen Bundeswehr und Zivildienst. Israel ist ein Land im Krieg. Es ist eine Entscheidung für oder gegen eine bewusste Verletzung geltenden Rechts, für oder gegen die Politik der israelischen Regierung, für oder gegen die Menschenrechte, mit allen damit verbundenen Konsequenzen.
Vier Monate - so lange dauert die Grundausbildung - blieb Yonatan bei der Truppe. Vier Monate lang kämpfte er mit sich selbst: Sollte er den Schritt tun und den Dienst verweigern? Würde er stark genug sein, das durchzustehen?
Eine Haftstrafe würde für seine Berufsausbildung, für sein späteres Leben in Israel schwerwiegenden Nachteil bringen. Er wäre gezeichnet als Feigling und Drückeberger. Viele Türen würden für ihn verschlossen bleiben.
Nach 4 Monaten stand seine Entscheidung fest. Er teilte seinen Vorgesetzten mit, daß er nicht bereit sei, in den besetzten Gebieten seinen Militärdienst abzuleisten und bat um Versetzung in eine nicht kämpfende Einheit.
Das Militär ließ ihn schmoren. Nach eineinhalb Wochen hielt er es nicht mehr aus. Er verließ die Truppe ohne Erlaubnis und ging nach Hause. Er rief den Oberkommandierenden seiner Einheit an und erklärte, so lange nicht zur Truppe zurückzukehren, bis eine Entscheidung über seinen Antrag getroffen sei.
Zwei weitere Wochen rührte sich nichts. Schließlich ging er selbst zum Hauptquartier und verlangte den Oberkommandierenden zu sprechen. Er übergab ein Schreiben, in dem er seine Beweggründe darstellte.
Am nächsten Tag bereits wurde er zur Anhörung vor ein Militärtribunal geladen. Die Anhörung war eher eine Verurteilung. Die Offiziere machten ihm klar, auf Soldaten wie ihn lege das Militär sowieso keinen Wert und verurteilten ihn zu 56 Tagen Haft in einem Militärgefängnis in der Nähe von Haifa. Normal sind 28 oder auch nur 14 Tage. Eine Begründung für die hohe Strafe wurde ihn nicht gegeben.
Am 13. September trat Yonatan seine Strafe an. Ich schreibe diesen Bericht Ende Oktober. Bald wird er aus dem Gefängnis entlassen. Wie wird es weitergehen? - Es gibt drei Möglichkeiten:
- Er wird zu einer anderen kämpfenden Einheit versetzt und muß erneut eine Entscheidung treffen: Nachgeben, resignieren oder zurück ins Gefängnis.
- Die zweite Möglichkeit wäre, daß das Militär ihn zu einer nicht kämpfenden Einheit versetzt.
- Die dritte ist die unehrenhafte Entlassung aus dem Militär mit allen negativen Folgen für sein späteres Leben.
Seit Beginn der Intifada, 1987, haben ca. 300 israelische Soldaten, meist Reservisten, den Dienst in den besetzten Gebieten verweigert. 14 Wehrpflichtige wurden zu Gefängnisstrafen verurteilt.
"Die meisten 18jährigen", so Roni Ben-Efrat, Yonatans Mutter, "sind im Grunde noch nicht erwachsen. Sie sind psychisch noch nicht so gefestigt, daß sie sich den Mut und die Kraft zutrauen, sich allein gegen das allmächtige Militär zu stellen. Aber viele werden durch den brutalen Dienst in den besetzten Gebieten psychisch so geschädigt, daß sie nie wirklich damit fertig werden. Die Zahl der Selbstmorde unter den 18jährigen ist hoch."
Es ist ein schrecklicher Tribut, den der Staat Israel von seiner Jugend verlangt. Er zerstört seine eigenen Kinder. Wenn wir als Deutsche eine historische Verantwortung haben, dann dürfen wir nicht schweigend mitansehen, wie die Nachkommen der Überlebenden des Holocaust auf diese Weise in einem sinnlosen Krieg verheizt werden.