Der SFB 700 will Lösungen anbieten für den weltweiten Zugriff auf die Menschen – und trifft auf Widerstand vor der eigenen Haustüre

Interventionsforschung

von Mechthild Exo

Der Sonderforschungsbereich 700 an der FU Berlin beschäftigt sich mit Governance, also neuen Formen der Regierbarkeit, die multiple Akteure – NROs, kommerzielle Unternehmen, Söldner u.a. - einbezieht, unter Bedingungen begrenzter Staatlichkeit, die sie in 2/3 der Welt ausgemacht haben. Diese Forschung ist gekennzeichnet durch die Ausblendung von Kontroversen und den handelnden Menschen, die nicht bereits an der Stabilisierung der Herrschaftsverhältnisse und der lückenlosen Regierbarkeit der Welt mitwirken. Deshalb haben AktivistInnen, die sich gegen den SFB 700 erhoben haben, einen Kern der Forschungsarbeit getroffen, die Funktionen zum Erhalt von Ordnung herstellbar machen will.

Söldnerintellektuelle „entbettet“
Eine kleine, mit Symbolik arbeitende antimilitaristische Aktion am politikwissenschaftlichen Otto-Suhr-Institut (OSI) der FU Berlin[i] wurde als massiver Angriff aufgenommen. „[D]as Bild eines Anschlags im Schlafzimmer“[ii] wurde hineininterpretiert in die Puppe des „embedded scientist“, die in tarnfarbenen, Federn lassende Kissen und Decken gebettet im Eingangsbereich des OSI postiert wurde. Seitdem wird in den Räumen der FU und bis weit rein in Fachkreise der Internationalen Beziehungen und auf Internet-Foren aggressiv gestritten.

Vor allem vier Bereiche der Arbeit der SFB-ForscherInnen stehen derzeit in der Kritik: Die Auswertung von historischen Erfahrungen unter dem Blickwinkel des „Colonial Governance“[iii], die Zuarbeit für Interventionskriege, die Afghanistan-Studie im Auftrag des Verteidigungsministeriums sowie die Entwicklung von Strategien und Sozialtechniken für „unregierbare Räume“ auch in den Metropolen. Diese Kritik wird im folgenden kurz dargestellt.

Colonial Governance
Bei der Aufarbeitung von Kolonialerfahrungen, die als historische Räume begrenzter Staatlichkeit einbezogen werden, findet eine Identifikation mit der Macht und dem modernisierungsstrategischen Forschungsparadigma statt – lautet die Kritik. Die unter „Colonial Governance“ veröffentlichten Texte[iv] analysieren koloniale Herrschaftsverhältnisse unter Einbeziehung einer Vielzahl von Akteuren - und schaffen es doch, dabei die antikolonialen Kämpfe außen vor zu halten. Es geht um Wissen über Steuerung, das für die aktuelle Anwendbarkeit brauchbar ist. Aufstände, Eigensinnigkeit und Kämpfe um Befreiung werden nur als Störung dessen erwähnt, was als koloniales Governance ausgewertet wird. Sie werden zu Beeinträchtigungen umgewertet. Stattdessen findet eine Orientierung auf die lokalen Eliten hin statt, die als Garanten „informeller“ Governanceleistungen eingebunden wurden.[v]

In ihren Analysen des semi-kolonialen China betont  Mechthild Leutner die flexible Erfassung handelnder Akteure und politischer Prozesse, denn ein Abrücken von klassischen Staatsvorstellungen sei nötig.[vi] Soweit so gut. Doch bleibt sie allein im Blickwinkel der herrschaftlichen Steuerung verhangen. Auf nicht-staatlicher Ebene werden von ihr ein angeblich „relativ breites Spektrum von Akteuren integriert, wobei insbesondere korporative Akteure eine große Rolle spielen: Neben der lokalen Elite, die (...) Händler und Kaufleute einschloss, (...) die Dorfvorsteher und die Clan- und Bruderschaftsoberhäupter“.[vii] Mit dem Wissen über koloniale Herrschaftsformen beabsichtigt sie „Anregungen für die weitere Konzeptualisierung von Governance“[viii] in heutigen Räumen begrenzter Staatlichkeit zu geben. Die Überwindung kolonialer Herrschaft und anti-koloniale Kämpfe kommen bei ihr ebenso wenig vor wie in Ursula Lehmkuhls Studien über das koloniale Amerika.[ix] Entsprechend wird auch nicht die Frage gestellt, wie in den gegenwärtigen Kämpfen um soziale Rechte und Gerechtigkeit, gegen Fremdbestimmung und die Auswirkungen kapitalistischer Globalisierung ein anderes Verständnis von Politik entwickelt wird, das nicht auf die Steuerung zur Stabilisierung des Bestehenden abzielt. Es findet keine kritische Reflexion heutiger Wissensproduktion und der eigenen Rolle in der Erhaltung der Macht- und Herrschaftsverhältnisse statt.

Interventionsforschung als Politikpartner
Wie bei den historischen Analysen werden auch gegenwärtige Kontroversen um die Sicht auf die Weltpolitik und deren Steuerung nicht sichtbar gemacht. Die Berechtigung von militärischen Interventionen durch die mächtigen Staaten in ehemalige Kolonialgebiete, die als Failed States bezeichnet und als Sicherheitsrisiko wahrgenommen werden, wird vorausgesetzt. „Mit erstaunlicher Selbstverständlichkeit – wir könnten auch sagen mit skrupelloser Dreistigkeit – kürzt der SFB 700 den Weg der Debatte über die Berechtigung globaler, militärischer Interventionspolitik ab. Der SFB fängt seine Studien just beim 'Wie' der Interventionsausführung an. Ganz so als gehörte die kriegerische (und nicht 'nur' die finanzielle) Teilnahme an solchen Kriegen nicht erst seit dem Jugoslawienkrieg 1999 ganz selbstverständlich zum politischen Alltag der BRD – alternativlos.“[x] Ausgeblendet werden sowohl akademische Debatten als auch gesellschaftliche Widersprüche, die unter anderem von der Friedens- und globalisierungskritischen Bewegung, von linken und linksradikalen AktivistInnen, AnarchistInnen und Autonomen auf die Straße getragen werden.

Das Erkenntnisinteresse im SFB 700 zielt auf die Anwendbarkeit in der Regierungspolitik.  Larz Brozus betont die Bedeutung der Forschung für die praktische Politik, zur Legitimierung politischer Strategien und für die Verlässlichkeit und Beständigkeit des internationalen Engagements.[xi] Der Teilbereich zu „weicher Steuerung“ strebt an, dass die Forschung „ein für begrenzte Staatlichkeit taugliches und empirisch anschlussfähiges Steuerungsverständnis erbringt“.[xii] Angesichts solcher Aussagen wundert es weniger, wenn Thomas Risse im Februar 2008 bei der medienwirksamen Präsentation der SFB-Afghanistan-Studie mit den Ergebnissen exakt jeden Schwenk gegenwärtiger Afghanistan-Politik der Bundesregierung bestätigen und stützen kann.[xiii] Ein besonderes Augenmerk der Proteste gegen den SFB 700 fand die Enthüllung, dass Jan Koehler als Ausführender der Studie „parallel“ einen Auftrag „nur für den Dienstgebrauch“ des Verteidigungsministerium zur Optimierung von Akzeptanzstrategien des Bundeswehreinsatzes in Afghanistan bearbeitet hat.[xiv] Der eindeutig militärstrategische Auftrag wurde sich zu eigen gemacht. Das Untersuchungsdesign beruht auf einer Gegenüberstellung der afghanischen Gemeinden nach militärischen Sicherheitskriterien in „problematische“ und „unproblematische“, eingeteilt unter Mithilfe von Bundeswehrexperten. Die „militärische Notwendigkeit“ der Akzeptanzerhaltung für die internationale Präsenz bei der Bevölkerung durch zivil-militärische Zusammenarbeit ist der Grund für den Auftrag zu dieser Studie.[xv]

Die Zielsetzung eines solchen Auftrags ergänzt sich gut mit der Legitimationsargumentation (nicht nur) von Bernd Ladwig (SFB 700). „Streitkräfte mögen erforderlich sein, um ein Feld für politische Rekonstruktionsprozesse äußerlich zu sichern.“[xvi] Ladwig befürwortet „gerechte Kriege“ und auf Dauer angelegte liberale (neokoloniale) Protektorate aufgrund der Pflicht zur Durchsetzung von Menschenrechten durch Staatsaufbau - unter der Bedingung „sensiblen Regierens“, das Gefühle der Demütigung, die unter Fremdbestimmung entstehen, beachtet (!). Sein Festhalten am Idealtyp der Staatlichkeit mag ihn in Konflikt bringen mit anderen SFB 700-ForscherInnen. Doch seine vehemente, moralische Argumentation für die Notwendigkeit externer, auch militärischer Eingriffe und die begleitende Hierarchisierung von Staaten in berechtigtere, dem Staatsideal „verwirklichter Moralität“ näher stehende, und „illegitime“ rekonstruierungsbedürftige, unterstützen hervorragend die Forschung für (neo-)liberale Interventions- und Governancepolitik. „Mit den Grundfunktionen von Staatlichkeit steht ein zivilisatorisches und menschenrechtliches Minimum auf dem Spiel. Das legt externe Eingriffe und Aufbauhilfen nahe.“[xvii] „Zum Eingreifen autorisiert sind alle Akteure, die zum Staatsaufbau in der Lage und zur unbedingten Selbstbindung an Grundnormen des Völkerrechts bereit sind.“[xviii] Zum letztgenannten Aspekt erläutert Ladwig, dass die UN-Charta den menschenrechtlichen Ansprüchen im Völkerrecht nicht gerecht wird und deshalb auch ohne UN-Sicherheitsratsbeschluss militärische Interventionen – selbstverständlich nur in dringenden Fällen – möglich sein müssen. Einmischung ist bei Ladwig eine Frage der Pflicht, die mit dauerhaften Protektoratsaufgaben verbunden ist. „Normativ wie tatsächlich ist die Annahme irrig, man könne Ruinen von Staatlichkeit nach einem militärischen Eingriff zur Rettung von Menschenleben rasch wieder verlassen.“[xix]

Sozialmanagement
Über die Aufgabenstellung des SFB 700 sagt schon dessen Titel „Regieren ohne Staat? Governance in Räumen begrenzter Staatlichkeit“ recht deutlich etwas aus: Regierbarkeit muss herstellt werden, auch dort wo begrenzte Staatlichkeit noch Hindernisse stellt. „Begrenzte Staatlichkeit“ ist nach dem Verständnis des SFB auch in den Pariser Vorstädten, in weiten Teilen Süditaliens und in Berlin-Neukölln vorzufinden.[xx] D. h. es geht nicht nur im globalen Süden, sondern auch hier um die Durchdringung von Räumen, deren soziale Gefüge und Handlungsweisen nicht (mehr) verstanden und nicht kontrolliert werden können. Die ethnologischen Forschungsansätze des SFB 700 sollen Einblick in die tieferen sozialen Netzwerke geben, um Partner für Partizipationsprojekte identifizieren und Konzepte der „weichen“ Steuerung durch Anreiz-, Diskurs- und Selbststeuerung entwickeln zu können. „[U]m die Verweigerungshaltung und die selbstorganisierten sozialen Netzwerke zu bekämpfen, müssen diese erst erkannt und ausgespäht werden. Hier ist die Parallele zu den Forschungsfeldern des SFB 700 (...) deutlich. Die neuen Regierungsformen zielen genau darauf, diese 'nonkonformen Netzwerke' zu erforschen und dann zu sortieren: Unterwerfung und 'Gewöhnung' an die gegenwärtigen Produktions- und Arbeitsprozesse, oder Repression bis hin zu Abschiebung und Knast.“[xxi]

Trotz der angeblichen Integration auch „kritischer Ansätze“ sind beim  SFB keine Arbeiten zu finden, die beispielsweise die Berechtigung ausgerechnet der ehemaligen Kolonialstaaten und Wirtschaftsmächte zur gegenwärtigen militärisch eingreifenden Steuerung im Rest der Welt hinterfragen. Das wäre  auch unvereinbar mit ihrer Ausrichtung auf Politikberatung, die sich unter anderem in der Beteiligung der Regierungsberatungsinstitution Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) ausdrückt.

Der Beitrag wurde dem IMI-Magazin - April 2009 entnommen http://www.imi-online.de/download/ME-SFB-2-09.pdf und von der Autorin gekürzt.

 

Anmerkungen
[i]  http://de.indymedia.org/2008/11/232400.shtml und http://de.indymedia.org/2008/11/231649.shtml.

[ii]  Marcel Heberlein: Im Schützengraben. Studierende üben heftige Kritik am SFB 700 und seiner Forschung – die WissenschafterInnen fühlen sich unfair behandelt. OSI-Zeitung. Studierendenzeitung des Otto-Suhr-Instituts. 7. Ausgabe, Febr. 2009: 1.

[iii] Thomas Risse/ Ursula Lehmkuhl (Hrsg.): Regieren ohne Staat? Governance in Räumen begrenzter Staatlichkeit. 2007.

[iv] Risse/Lehmkuhl 2007.

[v]  Detlef Hartmann: Für eine postmoderne Erneuerung des antikolonialen Kampfes. In: Failing Sciences, Embedded Stakeholders. Wider den SFB 700. http://fachschaftsinitiativen.files.wordpress.com/2009/01/embedded-stake... 11.

[vi] Mechthild Leutner: Kooperationsnetze und Akteure im semi-kolonialen China, 1860-1911. In: Risse/Lehmkuhl 2007: 172-173.

[vii]             ebd.: 161.

[viii]            ebd.: 157.

[ix] Ursula Lehmkuhl: Regieren im kolonialen Amerika. Colonial Governance und koloniale Gouvernementalité in französischen nd englischen Siedlungskolonien. In: Risse/Lehmkuhl 2007: 111-133. Zur Kritik: Detlef Hartmann: Für eine postmoderne Erneuerung des antikolonialen Kampfes. In: Failing Sciences, Embedded Stakeholders. Wider den SFB 700, 2009.

[x]  Zitrofa Ochi/ Nivis Derva: Wider die Waffen der Realitätsschmiede SFB 700. In: Failing Sciences, Embedded Stakeholders. Wider den SFB 700: 15.

[xi] ebd.: 386-387.

[xii]          Projektantrag SFB 700 Teilprojekt A2 - Weiche Steuerung: Sozialwissenschaftliche Machttheorien und das Regieren in Räumen begrenzter Staatlichkeit. http://www.sfb-governance.de/teilprojekte/projektbereich_a/a2/langfassun....

[xiii]            vgl. Studierenden-Forum FuWatch, http://fuwatch.wordpress.com/2008/04/25/sfb-governance-in-der-kritik/.

[xiv]            Zur Auseinandersetzung mit der Afghanistan-Studie: Ralf Hutter: Im Afghanistan-Einsatz für Uni und Militär. In: Out of Dahlem. Januar 2009, Nr. 8; Ralf Hutter: SFB 700 – Ein Tiefpunkt ist erreicht. http://fachschaftsinitiativen.wordpress.com Beitrag vom 24.01.2009; Detlef Hartmann: Die systemische Aggressivität des Clusters SFB 700. In: Out of Dahlem. Januar 2009, Nr. 8; Die geheime Afghanistan Studie von Zürcher/Köhler wurde im Kommentar-Anhang zu einem Indymedia-Feature veröffentlicht: http://de.indymedia.org/2008/11/231649.shtml.

[xv]             Jan Koehler und Christoph Zürcher: Quick Impact Projects in Nordost-Afghanistan. Eine Studie im Auftrag des BMVg, 2007, http://de.indymedia.org/2008/11/231649.shtml.

[xvi]            Bernd Ladwig: Gebotene Fremdbestimmung? Normative Überlegungen zum Umgang mit zerfallen(d)er Staatlichkeit. In: Thomas Risse/ Ursula Lehmkuhl (Hrsg.): Regieren ohne Staat? Governance in Räumen begrenzter Staatlichkeit. 2007: 359.

[xvii]            ebd.: 354.

[xviii]           ebd.: 362.

[xix]            ebd.: 371.

[xx]             Risse/Lehmkuhl 2007: 17.

[xxi]            Steen Thorsson: No Go Areas in Berlin. Anmerkungen zu Governance in Räumen begrenzter Staatlichkeit in den Metropolen. In: Failing Sciences, Embedded Stakeholders. Wider den SFB 700. 2009: 36.

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Mechthild Exo ist wissenschaftliche Mitarbeiterin von MdB Ingrid Höger (Fraktion Die Linke).