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Diskussion:
Ist Gentechnologie vertretbar?
vonGene sind Moleküle, in denen Bausteine zu langen Ketten aufgereiht sind. Wie in einer Schrift bestimmt die Reihenfolge der Bausteine die genetische Information. Die Frage, ob und wie man mit Genen umgehen darf, gleicht der Frage, ob und wie man mit Büchern umgehen darf. Die Antwort muß heißen: Es kommt auf den Inhalt an.
Jeder darf ein Buch schreiben, das garantiert ihm das Grundgesetz. Er darf aber nicht zum Mord aufrufen. Ebenso darf jeder mit Genen forschen, auch das ist ein Grundrecht. Er muß aber die nötige Sachkenntnis nachweisen und vor einer Kommission darlegen, daß seine Arbeit erkennbares Risiko für andere darstellt. Wenn die Arbeit ein solches Risiko nicht ausschließen kann, z.B. wenn in der medizinischen Forschung Krankheitserreger verwendet werden, muß ein Labor mit höherem Sicherheitsstandard benutzt werden oder die Arbeit unterbleiben.
Bei Büchern läßt man zunächst alles zu, und schreitet erst ein, wenn das Recht auf Meinungsäußerung mißbraucht ist. Bei Genen sind wir vorsichtiger: Alle Versuche müssen ein Anmelde- und Genehmigungsverfahren durchlaufen, bevor sie begonnen werden.
Für ein Verbot muß bei Büchern oder Schriften der Mißbrauch eindeutig nachgewiesen sein. Es genügt nicht, zu behaupten, man könne heute noch nicht abschätzen, ob eine neue philosophische These später einmal zu einer schädlich Praxis führt. So ist es auch in der Genforschung: Es muß nachgewiesen oder zumindest höchst plausibel gemacht werden, daß von einem gentechnisch veränderten Organismus eine Gefahr ausgeht. Die Leerformel, man wisse nie, was aus naturwissenschaftlichen Arbeiten noch werden könne, reicht nach dem Gentechnik-Gesetz für ein Verbot nicht aus.
Wenn ich Gene mit Büchern und das Recht der Meinungsäußerung mit dem Recht auf Forschung vergleiche, möchte ich das Problem nicht herunterspielen oder verharmlosen. Ich halte beide Vergleiche für zutreffend auch in einem tieferen Sinne. Gegen die Genforschung wird manchmal eingewandt, sie verändere lebende Organismen und deren Nachkommen und sei daher unumkehrbar. So ist das auch mit Büchern: Ein Buch kann eine Revolution auslösen, und einen gedruckten Gedanken kann man ebensowenig wieder ungedacht machen wie man einen freigesetzten Organismus zurückholen kann.
Was verlieren wir, wenn wir auf Gentechnik verzichten? Sicher verliert die biologische Forschung viele Einsichten, die nur mit Gentechnik zu gewinnen sind. Für die Mehrzahl der Menschen mag dies uninteressant sein. Wir sollten aber den Zuwachs an Wissen über die Welt, der von den Wissenschaftlern kollektiv erarbeitet wird, nicht geringachten.
Sicher entgeht uns eine Reihe von Medikamenten, insbesondere von Impfstoffen. Ich gehörte nicht zu denen, die den Nutzen übertreiben wollen. Ein Impfstoff, der künftig verhindert, daß allein in Afrika jährlich 1 Million Menschen an Malaria sterben, wäre aber sehr wünschenswert. Man hofft, ihn durch Gentechnik zu erhalten.
Was riskieren wir, wenn wir Gentechnik zulassen? Mehr als 90% der Versuche gehören in die Sicherheitsstufe 1. Bei ihnen ist kein Risiko erkennbar. In den höheren Sicherheitsstufen gehen wir z.B. mit Krankenheitserregern in der medizinischen Forschung um. Sie könnten durch die gentechnischen Veränderungen gefährlicher werden als ihre Vorläufer. Das heißt aber nicht, daß sie gefährlicher würden, als die gefährlichsten heute bekannten Krankheitserreger. Auch mit den gefährlichsten Krankheitserregern wird seit mehr als 100 Jahren im Labor umgegangen. Unfälle sind vorgekommen, aber sie bleiben begrenzt. Schlimmeres erwarte ich auch von der Gentechnologie nicht.
Riskieren wir unerwünschte soziale Folgen? Von vielen Möglichkeiten greife ich zwei Beispiele heraus: Vorgeburtliche Diagnostik wird es in vielen Fällen ermöglichen, Erbkrankheiten schon vor der Geburt zu sehen. Dann kann nach der heutigen Rechtsprechung die Frau entscheiden, ob sie die Schwangerschaft abbrechen möchte. Dieses Recht wird ihr häufig bestritten: Frauen seien gar nicht in der Lage, gesellschaftlichen Einflüssen zu widerstehen. Das halte ich für falsch. Den Anspruch von Gruppen, Selbstbestimmung einzuschränken und über andere zu entscheiden, sollten wir sehr sorgfältig prüfen. In aller Regel müssen wir ihn dann ablehnen. Wir sollten uns aber für eine Gesetzgebung einsetzen, die verhindert, daß irgend jemand Frauen zu einer vorgeburtlichen Untersuchung oder gar zu einer Abtreibung zwingen kann. Diese Entscheidung sollte ausschließlich von der Frau getroffen werden.
Es ist denkbar, in einzelnen Fällen die Anlage zu einer Krankheit festzustellen, bevor diese zum Ausbruch gekommen ist. Vielleicht wird sie nie zum Ausbruch kommen (weil die Wahrscheinlichkeit dafür gering ist oder weil auch bei hoher Wahrscheinlichkeit der Anlageträger vorher sterben kann). Wir sollten alles daran setzen, daß die Entscheidung darüber, ob jemand so etwas wissen will oder nicht, auch hier ausschließlich von ihm selbst getroffen wird. Niemand soll eine solche Untersuchung verlangen dürfen.
Zusammenfassung:
Die Gentechnik ist in allen Lebensbereichen anwendbar. Sie ist so vielfältig wie das Leben selbst. Diese Technik zu bejahen oder abzulehnen, wäre zu einfach. Wenn die Debatte um die Gentechnik uns dazu bringt, den Einzelfall sorgfältiger zu prüfen, dann wäre dies ein großer Gewinn.