Diskussion:

Ist Gentechnologie vertretbar?

von Peter Starlinger

Gene sind Moleküle, in denen Bausteine zu langen Ketten aufgereiht sind. Wie in einer Schrift bestimmt die Reihenfolge der Bausteine die geneti­sche Information. Die Frage, ob und wie man mit Genen umgehen darf, gleicht der Frage, ob und wie man mit Büchern umgehen darf. Die Ant­wort muß heißen: Es kommt auf den Inhalt an.

Jeder darf ein Buch schreiben, das ga­rantiert ihm das Grundgesetz. Er darf aber nicht zum Mord aufrufen. Ebenso darf jeder mit Genen forschen, auch das ist ein Grundrecht. Er muß aber die nötige Sachkenntnis nachweisen und vor einer Kommission darlegen, daß seine Arbeit erkennbares Risiko für andere darstellt. Wenn die Arbeit ein solches Risiko nicht ausschließen kann, z.B. wenn in der medizinischen Forschung Krankheitserreger verwen­det werden, muß ein Labor mit höhe­rem Sicherheitsstandard benutzt wer­den oder die Arbeit unterbleiben.

Bei Büchern läßt man zunächst alles zu, und schreitet erst ein, wenn das Recht auf Meinungsäußerung miß­braucht ist. Bei Genen sind wir vor­sichtiger: Alle Versuche müssen ein Anmelde- und Genehmigungsverfah­ren durchlaufen, bevor sie begonnen werden.

Für ein Verbot muß bei Büchern oder Schriften der Mißbrauch eindeutig nachgewiesen sein. Es genügt nicht, zu behaupten, man könne heute noch nicht abschätzen, ob eine neue philo­sophische These später einmal zu ei­ner schädlich Praxis führt. So ist es auch in der Genforschung: Es muß nachgewiesen oder zumindest höchst plausibel gemacht werden, daß von ei­nem gentechnisch veränderten Orga­nismus eine Gefahr ausgeht. Die Leerformel, man wisse nie, was aus naturwissenschaftlichen Arbeiten noch werden könne, reicht nach dem Gen­technik-Gesetz für ein Verbot nicht aus.

Wenn ich Gene mit Büchern und das Recht der Meinungsäußerung mit dem Recht auf Forschung vergleiche, möchte ich das Problem nicht herun­terspielen oder verharmlosen. Ich halte beide Vergleiche für zutreffend auch in einem tieferen Sinne. Gegen die Genforschung wird manchmal ein­gewandt, sie verändere lebende Orga­nismen und deren Nachkommen und sei daher unumkehrbar. So ist das auch mit Büchern: Ein Buch kann eine Revolution auslösen, und einen ge­druckten Gedanken kann man eben­sowenig wieder ungedacht machen wie man einen freigesetzten Organis­mus zurückholen kann.

 

Was verlieren wir, wenn wir auf Gen­technik verzichten? Sicher verliert die biologische Forschung viele Einsich­ten, die nur mit Gentechnik zu gewin­nen sind. Für die Mehrzahl der Men­schen mag dies uninteressant sein. Wir sollten aber den Zuwachs an Wissen über die Welt, der von den Wissen­schaftlern kollektiv erarbeitet wird, nicht geringachten.

Sicher entgeht uns eine Reihe von Medikamenten, insbesondere von Impfstoffen. Ich gehörte nicht zu denen, die den Nutzen übertreiben wollen. Ein Impfstoff, der künftig ver­hindert, daß allein in Afrika jährlich 1 Million Menschen an Malaria sterben, wäre aber sehr wünschenswert. Man hofft, ihn durch Gentechnik zu erhal­ten.

 

Was riskieren wir, wenn wir Gentech­nik zulassen? Mehr als 90% der Ver­suche gehören in die Sicherheitsstufe 1. Bei ihnen ist kein Risiko erkennbar. In den höheren Sicherheitsstufen ge­hen wir z.B. mit Krankenheitserregern in der medizinischen Forschung um. Sie könnten durch die gentechnischen Veränderungen gefährlicher werden als ihre Vorläufer. Das heißt aber nicht, daß sie gefährlicher würden, als die gefährlichsten heute bekannten Krankheitserreger. Auch mit den ge­fährlichsten Krankheitserregern wird seit mehr als 100 Jahren im Labor um­gegangen. Unfälle sind vorgekommen, aber sie bleiben begrenzt. Schlim­meres erwarte ich auch von der Gen­technologie nicht.

Riskieren wir unerwünschte soziale Folgen? Von vielen Möglichkeiten greife ich zwei Beispiele heraus: Vor­geburtliche Diagnostik wird es in vielen Fällen ermöglichen, Erbkrankheiten schon vor der Geburt zu sehen. Dann kann nach der heutigen Rechtsprechung die Frau entscheiden, ob sie die Schwangerschaft abbrechen möchte. Dieses Recht wird ihr häufig bestritten: Frauen seien gar nicht in der Lage, gesellschaftlichen Einflüssen zu widerstehen. Das halte ich für falsch. Den Anspruch von Gruppen, Selbstbestimmung einzuschränken und über andere zu entscheiden, sollten wir sehr sorgfältig prüfen. In aller Regel müssen wir ihn dann ablehnen. Wir sollten uns aber für eine Gesetzgebung einsetzen, die verhindert, daß irgend jemand Frauen zu einer vorgeburtli­chen Untersuchung oder gar zu einer Abtreibung zwingen kann. Diese Ent­scheidung sollte ausschließlich von der Frau getroffen werden.

Es ist denkbar, in einzelnen Fällen die Anlage zu einer Krankheit festzustel­len, bevor diese zum Ausbruch ge­kommen ist. Vielleicht wird sie nie zum Ausbruch kommen (weil die Wahrscheinlichkeit dafür gering ist oder weil auch bei hoher Wahrschein­lichkeit der Anlageträger vorher ster­ben kann). Wir sollten alles daran set­zen, daß die Entscheidung darüber, ob jemand so etwas wissen will oder nicht, auch hier ausschließlich von ihm selbst getroffen wird. Niemand soll eine sol­che Untersuchung verlangen dürfen.

Zusammenfassung:

Die Gentechnik ist in allen Lebensbe­reichen anwendbar. Sie ist so vielfältig wie das Leben selbst. Diese Technik zu bejahen oder abzulehnen, wäre zu einfach. Wenn die Debatte um die Gentechnik uns dazu bringt, den Ein­zelfall sorgfältiger zu prüfen, dann wäre dies ein großer Ge­winn.

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Peter Starlinger ist Mitglied der Naturwissenschafler-Initiative und lebt in Köln