Journalisten recherchieren „wie man Frieden macht“

von Michael Gleich

Als der Tamile Singham 1995 Berlin verließ, um nach Sri Lanka zurückzukehren, hatte er stets ein Bild vor Augen: „Eine Farm, eine friedliche Oase auf dem Lande, wo es keine Rolle spielt, ob du Singhalese oder Tamile bist.“ Der ehemalige Asylbewerber wollte helfen, seine vom Bürgerkrieg verwüstete Heimat wieder aufzubauen. Seine Haltung dazu:  einzelner Mensch kann sehr wohl etwas bewirken, wenn er Mut, Kreativität und einen starken Willen besitzt. Er fing an, Häuser für Kriegswitwen und -waisen zu bauen. Erst zehn, dann 65, danach ganze Dörfer für hunderte Familien. Außerdem gründete er eine Schule für Gehörlose, ein Straßenkinderprojekt und eine Ökofarm. SEED nannte Singham seine Organisation, und die Saat seiner Vision ging auf. Unter Entwicklungsexperten gilt die Methode, wie die multi-ethnische Gruppe nicht nur Häuser baut, sondern deren BewohnerInnen auch in Sachen Heimarbeit, Gesundheit und Ernährung berät, als vorbildlich. Deshalb werden deren Projekte mittlerweile von großen internationalen Geldgebern gefördert.

Charismatische Friedensmacher wie Singham aufzuspüren und einem breiten Publikum vorzustellen, das ist das Ziel des Medienprojekts Peace Counts. Ende 2002 gestartet, haben die Reporter und Fotografen dieses Netzwerkes schon mehr als 160.000 Kilometer auf der ganzen Welt zurückgelegt, um Menschen und deren Friedensprojekte zu porträtieren. Im Mittelpunkt der Text-, Bild- und Hörfunkreportagen stehen nicht etwa bekannte Politiker und Diplomaten. Vielmehr geht es um „heimliche Helden“: Ärztinnen, Gewerkschafter, Entwicklungshelferinnen, Sportler, Menschenrechtlerinnen, Priester, Hausfrauen oder sogar Ex-Terroristen in Nordirland, die heute mit Jugendlichen an friedlichen Konfliktlösungen arbeiten. Wir konzentrieren uns auf Initiativen der Zivilgesellschaft“. Die ‚Neuen Kriege’ brechen im Herzen der jeweiligen Gesellschaften aus, deshalb müssen von dort auch die Konfliktlösungen kommen.

Die Reporterteams von Peace Counts bereisten 35 Konfliktregionen, unter anderem iAfghanistan, Bosnien, Philippinen, Mazedonien, Ruanda, Uganda, Kolumbien und Südafrika. Wichtigstes Auswahlkriterium bei der Suche nach Vorbildern war „gut gemacht“ im Gegensatz zu „gut gemeint“. Hilfreich war dabei die Beratung durch renommierte Friedens- und Konfliktforscher/innen. Im Laufe der Jahre entstand eine eindrucksvolle Sammlung sozialer Erfindungen in Sachen Frieden.

Der Erfolg eines Medienprojekts bemisst sich zunächst einmal nach der Größe des Publikums. Peace Counts setzt, um möglichst viele Menschen zu erreichen, auf Multimedialität: Zeitungen und Zeitschriften, Internet, Live-Veranstaltungen mit FriedensstifterInnen, CD-Roms, Hörfunk und Ausstellungen. Offensichtlich gibt es nicht nur einen Markt für apokalyptische Berichte und Alarmismus. Die Menschen möchten auch wissen, wie es weitergeht: Wer arbeitet an Lösungen? Wie sehen Wege in den Frieden aus? Wie kann er gesichert werden? Allein die Print-Veröffentlichungen von Peace Counts haben rund 35 Millionen LeserInnen erreicht, in Qualitätsmedien wie Frankfurter Rundschau, NZZ, Le Figaro, Süddeutsche Zeitung, El Pais, Stern und Focus.

Mit dem WDR, größte Rundfunkanstalt in Europa, wurden drei Staffeln von 30-Minuten-Features produziert: Insgesamt gingen 18 Folgen unter dem Titel „Frieden zählt“ über den Äther. Auf den Peace Counts Foren können Menschen direkt mit den Friedensstifterinnen diskutieren; sie kamen dafür eigens aus Sri Lanka, Südafrika, Kolumbien etc. nach Deutschland. Die Veranstaltungen zeigen: Der Funke springt über. Menschen lassen sich von Mut, Charisma und Tatkraft dieser FriedensmacherInnen anstecken: Sie fühlen sich ermutigt, sich selbst zu engagieren.

Als Peace Counts anfing, war das Echo in den Redaktionen verhalten bis ablehnend. „Krieg ist spannend – Frieden ist doch langweilig!“ lautete der Tenor immer wieder. Medienleute geben sich gerne zynisch, mit Sprüchen wie „Blut und Tote steigern die Quote“. Wie können in diesem Klima Berichte vom Frieden mit den spektakuläreren Stories konkurrieren?  Nur indem sie besonders interessante ProtagonistInnen vorstellen und in einem spannenden Umfeld porträtieren, mit Texten und Bildern in möglichst hoher Qualität.

Vor zwei Jahren hat Peace Counts begonnen, das gesammelte Wissen über die Methoden von FriedensmacherInnen auch in Konfliktregionen zur Diskussion zu stellen. Eine Ausstellung mit großformatigen Bildern und erklärenden Texten reiste unter anderem nach Sri Lanka, Philippinen, Mazedonien, Kaliningrad, Indien und Elfenbeinküste. Begleitend wurden vom Institut für Friedenspädagogik Tübingen Seminare für LehrerInnen und von der Agentur Zeitenspiegel Workshops für JournalistInnen veranstaltet. In Ländern, wo die Presse üblicherweise nur offizielle Verlautbarungen wiederkäut, wurde der Ansatz des „konstruktiven Journalismus“ von den Medienschaffenden begeistert aufgenommen. Ende Mai 2009 gab es für das Programm, „Peace Counts on Tour“ höchste Ehren: Es wurde mit dem renommierten Peter Becker Preis ausgezeichnet. Begründung der Jury an der Universität Marburg: Peace Counts verknüpfe „Erkenntnisse aus der Friedens- und Konfliktforschung mit moderner Friedenspädagogik und konstruktivem Journalismus“.

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Michael Gleich ist Publizist und Initiator von Peace Counts.