Fridays for Future

Kein Frieden ohne Klimaschutz oder kein Klimaschutz ohne Frieden?

von Samuel Nellessen

20. September 2019. Ein heißer Sommertag. 1,4 Millionen Menschen. Über 270.000 in Berlin. So viele Menschen waren an diesem Tag unter dem Motto „#AlleFürsKlima“ auf deutschen Straßen, um gegen die große Koalition, ihr mickriges Klimapäckchen und für effektiven und sozial gerechten Klimaschutz zu streiken. Weltweit waren es über 4 Millionen Menschen, eine Woche später 7,6 Millionen Menschen. Damit ist „Fridays for Future“, anfangs von der jungen Schwedin Greta Thunberg als Schüler*innenbewegung gestartet, mittlerweile der wahrscheinlich größte politische Player, wenn es um effektiven Klimaschutz geht.

 

Viele Friedensaktivist*innen haben das Gefühl, dass das Thema des Weltfriedens, der Abrüstung und der internationalen Verständigung in der Klimadebatte zu kurz kommt. Vor allem, wenn man in dubiosen Internetforen auf das Thema stößt, reichen die Aussagen über die Verbindung von Frieden mit Klimaschutz von interessanten inhaltlichen Debatten bis hin zu Morddrohungen an Greta Thunberg. Ob man dabei noch von Menschen sprechen kann, die sich für „Frieden“ einsetzen, ist fraglich. Trotzdem, das Thema ist längst in der Friedensbewegung angekommen und regt den Diskurs, und damit natürlich auch die Frontenbildung, an.

 

Bevor ich jedoch zu dieser Frontenbildung mit meiner persönlichen Meinung beitrage, würde ich gerne bei dem Wichtigsten anfangen: den Fakten.

In einer umfangreichen Studie (1) stellte Neta Crawford, Professorin an der Boston University, den Einfluss von Kriegen sowie des Militärs auf das Klima dar. Nach ihren Schätzungen verbraucht das US-amerikanische Militär ca. 340 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr. Dabei ist nicht nur der CO2-Ausstoß durch den enormen Ölverbrauch mit einberechnet, sondern auch der CO2-Ausstoß durch die Militärproduktion.

Zur Erinnerung: Um eine Tonne CO2 aufzunehmen, muss eine Buche ungefähr 80 Jahre wachsen. (2)

Dabei sind natürlich nicht mal die CO2-Emissionen von anderen Militärnationen mit einberechnet. Doch warum wird hier nur von Schätzungen gesprochen und nicht von klaren Fakten?

In den bisherigen völkerrechtlich verbindlichen Klimaschutzabkommen hatten die teilnehmenden Staaten immer die Möglichkeit, ihre Emissionen bei Militäreinsätzen auszuklammern. Im Kyoto-Protokoll 1992 wurden Emissionen von Militäreinsätzen gezielt ausgenommen; seit dem Pariser Klimaabkommen 2015 haben Staaten die Möglichkeit, bestimmte Emissionen als vertraulich oder geheim zu markieren. (3) Gleichzeitig werden Emissionen im Rahmen von UN-mandatierten Einsätzen der Staatengemeinschaft zugerechnet, und können so nicht einzelnen Staaten zugeordnet werden. So wird, wahrscheinlich mehr oder weniger bewusst, verhindert, dass die Einwirkung vom Militär auf das Klima berechnet werden kann.

Fakt ist daher also auch, dass es enorm schwer ist, alle Umwelt-/Klimaeinflüsse des weltweiten Militärs umfassend zu beschreiben, zumal einige Faktoren schlichtweg unberechenbar sind.

 

„Failed states“

Wenn man nun die andere Seite der Medaille betrachtet, den Einfluss von Klimafolgen auf den globalen sowie lokalen Frieden, wird es zunächst etwas komplizierter. Nicht, dass Kriege und Konflikte an sich schon in ihren sozialen Aspekten genug Komplexität hätten, kommen bei der Einbeziehung von Klimafolgen weitere interessante Aspekte hinzu. So muss man zunächst bei der Betrachtung zwischen sog. „failed states“ und normalen Staaten unterscheiden. „Failed states“ sind Staaten, die ihre grundlegenden Funktionen und Grundbedürfnisse ihrer Bürger*innen nicht mehr garantieren können. Der Think Tank „Fund for Peace“ veröffentlicht dazu seit 2005 den „Fragile States Index“, in dem die Länder dieser Welt unter verschiedenen Indikatoren, die einen „failed state“ ausmachen, untersucht und gelistet werden. Dazu zählen zum Beispiel Massenarbeitslosigkeit, Überbevölkerung, Korruption oder auch Umweltverschmutzung.

Die Auswirkungen des Klimawandels werden in ihrem Einfluss auf lokale natürliche Ressourcen deutlich. Dadurch sind wir auch betroffen, egal wie verschwenderisch wir mit den uns natürlich gegebenen Ressourcen umgehen. Natürliche Ressourcen bilden unsere Lebensgrundlage, ob nun durch Nahrung und Wasser oder durch Medizin und Energie. Eine soziale Gemeinschaft hat nun zwei Möglichkeiten, diesem Stress auf die natürlichen Ressourcen, sowie dem Stress auf unseren Status quo zu entgegnen. In „failed states“, also Staaten, in denen das Zusammenleben bereits kompliziert und gereizt ist, verursacht ein solcher Stress meist Unruhen, Gewalt, Krieg oder auch Migration. Ein mögliches Szenario:

Wir schreiben das Jahr 2050 und über 200 Millionen „Klimaflüchtlinge“ sind auf dem Weg, retten sich über das Mittelmeer, in gemäßigtere Klimazonen. Dazu zählen vor allem das nördliche Europa mit Skandinavien und der Antarktis. Die Weltgemeinschaft hat zu spät auf die Warnungen der Klimawissenschaftler*innen reagiert und muss nun die Konsequenzen ausbaden. Um den eigenen Wohlstand zu garantieren, werden Kriege um natürliche Ressourcen geführt, Grenzen verschärft und Menschenrechte verletzt. Als Konsequenz dieser Kriege steigen die Strom- und Ölpreise – die persönlichen Rechte der Bürger werden als Opfer des Krieges eingeschränkt.

Diese Auswirkungen sowie Züge vom vorhin beschriebenen Szenario kann man bereits heute in einigen lokalen Konflikten beobachten. Ein Beispiel dafür ist beispielsweise der seit 2003 andauernde Dafour-Konflikt. Einige Expert*innen gehen davon aus, dass der Klimawandel und seine Folgen eine große Rolle als Ursache dieses Konfliktes spielen. So bekräftigte der UNO-Generalsekretär Ban Ki-moon 2007 genau das. Wie eingangs bereits beschrieben, ist es jedoch schwer, einzelne Konflikte auf eine einzelne Ursache zurückzuführen, da Konflikte meist multikausaler Natur sind und viele Probleme aufgreifen.

 

Beispiel „normaler“ Staaten: Japan

In normalen Staaten, mit Rechtssystem, welches trotz Krise und Katastrophe gesichert ist, kann man jedoch das Gegenteil von Aufruhr und Konflikten beobachten. Dort stärken Katastrophen und die Erholung von ihren Folgen das Zusammenleben der lokalen Gemeinschaft und führen zu einer stärkeren Verbundenheit zueinander.

So führte beispielsweise das nukleare Desaster 2011 in Fukushima zu einem drastischen Absturz des Grundlaststroms. Der Grund dafür ist, dass die Menschen in Japan, um einem nationalen Stromausfall zu entgehen, persönliche Opfer auf sich genommen haben und sich aktiv dazu entschieden haben, ihre Klimaanlage auszuschalten und stattdessen die brodelnde Hitze zu ertragen. Ohne, dass irgendjemand sehen konnte, dass sie gerade etwas Gutes für die Allgemeinheit tun, ohne, dass sie irgendeine Belohnung dafür erhalten, entschieden sich viele Japaner*innen willentlich dazu, auf den Komfort einer Klimaanlage zu verzichten.

Wenn aber der Ausgang der Krise nicht durch eine geregelte Exekutive oder ein funktionierendes, nicht-korruptes, Rechtssystem gesichert werden kann, führen die Folgen einer Katastrophe oft zu gegenseitigem Misstrauen und im Endeffekt zu radikalem Protektionismus.

Als Fazit kann man ziehen: Die Folgen des Klimawandels sind nicht als Brandstifter bei Konflikten zu verstehen, sondern viel eher als Brandbeschleuniger.

Und das Paradoxe dabei: Die sog. failed states sind meist genau die Staaten, die am wenigsten CO2 Emissionen pro Kopf ausstoßen und am meisten an den Auswirkungen des Klimawandels leiden. „Klimagerechtigkeit“?

 

Klimagerechtigkeit

Genau diesen Begriff greifen Fridays for Future, Parents for Future, Extinction Rebellion, Ende Gelände sowie andere „Klimagerechtigkeitsbewegungen“ auf und prägen ihn. Schließlich wirken sich nicht nur die Folgen des Klimawandels negativ auf Konflikte aus. Konsequente Klimamaßnahmen müssen langfristig angedacht werden und auf einem breiten, gesellschaftlichen Konsens fußen, damit sie langfristig erhalten bleiben – und dem entgegen stehen natürlich gesellschaftliche Konflikte sowie Polarisierung, wie wir sie jetzt schon sehen. Genauso wie andere Maßnahmen können auch Maßnahmen für effektiven und sozial gerechten Klimaschutz Konflikte schüren.

Den Entschluss, dass wir jetzt handeln müssen, dass wir jetzt gemeinsam diese Probleme angehen müssen, haben bereits über drei Millionen Streikende allein in Deutschland gezogen.

Deshalb: Lasst uns gemeinsam eine positive Vision der Zukunft zeichnen, statt einer Horrorvorstellung. Eine soziale Zukunft, in der keine Menschen zwecks Profit und Konsum auf der Strecke gelassen werden, eine glückliche Zukunft, in der sharing = caring ist und das oberste Ziel der Gesellschaft nicht der Konsum ist, sondern das Miteinander. Eine Gesellschaft, die es schafft, sich um ihre Umwelt zu kümmern und Konflikte zu vermeiden.

„Wer, wenn nicht wir!“, so oder so ähnlich lautet das Mantra der Klimagerechtigkeitsbewegung. Und es stimmt, wir haben jetzt die Möglichkeit, „die Welt zu retten“ und eine bessere Zukunft zu schaffen – wer, wenn nicht du? Falls dir das noch nicht reicht, oder du Menschen kennst, die noch nicht überzeugt sind, frag sie „Wie hoch muss deine Gehaltserhöhung sein, wenn du im Gegenzug die Zukunft deiner Kinder zerstörst?“.

 

Anmerkungen

1 Neta C. Crawford, Pentagon Fuel Use, Climate Change, and the Costs of War

2 https://www.tagesschau.de/multimedia/bilder/grafik-co2-101~_origin-47ca8...

3 https://fragdenstaat.de/anfrage/militar-und-kyoto-protokoll/

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Samuel Nellessen ist 18 Jahre alt und seit Februar 2019 bei Fridays for Future und politisch aktiv. Mitorganisator und pressesprechende Person zum großen Klimastreik am 20. September in Düsseldorf. Ursprünglich aus Viersen, arbeitet jetzt für die Stopp Air Base Ramstein Kampagne und für Together for Future in Berlin.