Kollateralschaden: Gesundheits- und Umweltkosten eines Krieges gegen den Irak

von IPPNW

Der angedrohte Krieg gegen den Irak wird verheerende kurz-, mittel- und langfristige Konsequenzen für die irakische Bevölkerung, ihre Nachbarn und weit über die Region hinaus haben. Sie alle müssen für den Fall eines Krieges bedacht werden, um sicher zu stellen, dass die Lösung des Problems, das Saddam Hussein darstellt, weniger Schaden anrichtet als das Problem selbst.

In der Studie "Collateral Damage: The Health and Environmental Costs of War on Iraq" hat MEDACT, die britische Sektion der IPPNW, Daten und Fakten über das drohende Desaster zusammengetragen, die hier in Auszügen wiedergegeben werden.

Der Irak vor dem zweiten Golfkrieg
Ein Anteil von zehn Prozent am Erdölvorkommen der Welt verhalf dem Irak in den Jahrzehnten vor dem zweiten Golfkrieg von einem verarmten, ländlichen und unterentwickeltem zu einem relativ wohlhabenden und urbanisierten Land zu werden. Die Modernität seiner Infrastruktur und des öffentlichen Dienstes erreichte im internationalen Vergleich einen mittleren Platz.

Der Irak-Iran-Krieg zwischen 1980 und 1988 kostete wenigstens 100.000 irakische Tote, ließ aber die Infrastruktur des Landes weitgehend intakt. Eine Ausnahme war die südöstliche Region um Basra und die dortigen Ölfelder.

Ein wichtiger Indikator für die Gesundheitsversorgung ist die Säuglingssterblichkeit, die vor dem Zweiten Golfkrieg auf 65 von 1.000 Lebendgeburten sank -die Vergleichszahl für Entwicklungsländer lag bei 76. Doch 1998 war sie auf 103 angestiegen. UN-Statistiken werten die gegenwärtige Sterblichkeit von Kindern unter fünf Jahren als die 37 schlechteste der Welt, was Ländern wie Haiti, Senegal, Jemen und Uganda entspricht. Während der Irak 1990 auf dem UN Entwicklungsindex den fünfzigsten Platz einnahm, lag er im Jahr 2000 auf dem 126. Rang von 174 Ländern.

Der Irak nach dem Zweiten Golfkrieg
Der Gesundheitszustand der irakischen Bevölkerung, trotz eines brutalen Regimes halbwegs gut, litt erheblich an der Zusammenwirkung von Kriegsfolgen und Sanktionen und konnte seine Vorkriegsqualität nicht wieder erreichen. Immerhin hat in den letzten Jahren das "Öl für Lebensmittel" - Programm gerade im Norden des Landes einige Verbesserungen gebracht. Doch generell bleibt der Gesundheitsstandard dürftig und ein dem Szenario des Zweiten Golfkrieges entsprechender Waffengang würde zu einer erheblichen Verschlechterung führen.

Im Golfkrieg starben weniger als 400 alliierte Soldaten und wurden weniger als 500 verwundet, die meisten Opfer waren kurdische und schiitische Freiwillige. Eine verlässliche Quelle schätzt die Zahl der getöteten irakischen Soldaten zwischen 50.000 und 120.000 ein. Unter Hinzuziehung der 3.500 bis 15.000 getöteten Zivilisten starben in direkter Folge des Golfkrieges zwischen 53.500 und 135.000 Menschen. Weitere 20.000 bis 35.000 Zivilisten starben während der folgenden Aufstände oder anderer Nachkriegskonflikte, wie die der Kurden im Norden und der Schiiten im Süden.

Westliche Militärquellen schätzen die Zahl der verwundeten irakischen Soldaten auf 300.000, von denen viele später starben oder unter lebenslangen Behinderungen leiden. Die Ursachen für Sterblichkeit und Krankheitsanfälligkeit aller Kriegsteilnehmer ist ein bleibender Streitpunkt, denn nach wie vor gibt es sehr unterschiedliche Einschätzungen des "Golfkriegssyndroms" oder der Auswirkungen des Einsatzes uranhaltiger Munition. Einige Wissenschaftler nehmen an, dass mehr als 25.000 USA und britische Veteranen davon betroffen sind. Ein Drittel der US-Veteranen leidet zudem unter posttraumatischen Stresssymptomen.

Die Zerstörung der irakischen Infrastruktur wirkte sich auf die bereits hoch mechanisierte und von elektrischer Energieversorgung abhängige Gesellschaft verheerend aus. Dokumente des Militärischen Geheimdienstes der USA belegen, das es ein überlegter Entschluss war, Elektrizität und Trinkwasser erzeugende Anlagen zu zerstören und später Chlor und Medizin auf die Embargoliste der UN zu setzen.

Die Umweltfolgen des Golfkrieges waren bis dahin ohne Vergleich: Neben der Zerstörung chemischer, biologischer und möglicher Nuklearanlagen und der Freisetzung ihrer Giftstoffe bis in die menschliche Nahrungskette wurden 650 von 1.330 Erdölquellen zerstört. Ihr Brand führte noch in einigen hundert Kilometern Entfernung zu Atemproblemen und Krebsgefahr. Andere Ölquellen gaben zwischen vier und acht Millionen "barrel" Öl (das Fass zu 158 Litern) in die See ab und 35 bis 150 Millionen "barrel" verteilten sich über fast 60 Prozent von Kuwait. Der Krieg zerstörte über riesige Flächen das empfindliche Wüsten-Ökosystem und Landminen töteten noch auf Jahre Mensch und Tier.

Während des Golfkrieges flohen bis zu 1,8 Millionen Kurden und Schiiten an die iranische und türkische Grenze. Von diesen starben innerhalb eines Monats laut UN-Angaben bis zu 30.000 durch Landminen, Unterversorgung und Epidemien. Gerade unter diesen Flüchtlingen finden sich sehr oft posttraumatische Dauerbelastungen, die oftmals zu Lebensunfähigkeit und chronischen Krankheitsbildern führen.

Die Zerstörung der Ölindustrie im Krieg und die späteren Sanktionen reduzierten das irakische Bruttoinlandsprodukt um das 270-fache von 66 Milliarden US$ auf 245 Millionen US$ im Jahre 1992. Dieser massive Rückgang führte zu ausbleibenden Investitionen beim Wiederaufbau und dazu, dass die irakische Industrie überwiegend importabhängig ist.

Geschätzte 110.000 irakische Zivilisten starben 1991 an den gesundheitlichen Folgen des Golfkrieges, was die Gesamtzahl der in direkter Folge des Krieges Gestorbenen auf 205.000 brachte. Bis zum Einsetzen des "Öl für Lebensmittelprogramm" 1997 blieb die Lebensmittelversorgung äußerst problematisch. Die Ration eines irakischen Zivilisten lag für diese Jahre bei 700 bis 1.000 Kalorien am Tag. Immer noch sind etwa 750.000 Menschen im Land vertrieben und um die 9.000 Wohnhäuser wurden im Krieg zerstört. Die Kriegsversehrten waren in den folgenden Jahren größeren Gesundheitsrisiken ausgesetzt. Viele Zivilisten erlitten kurzfristige posttraumatische Stressphasen und eine Minderheit litt unter langfristigen psychischen Störungen, was manchmal zu früherem Tod durch Herzleiden oder Immunsystemdefekte führte.

Eine Harvard-Studie schätzt, dass die Kinder- und Säuglingssterblichkeit sich im Zeitraum von Januar bis August 1991 und im Vergleich zu den sechs Jahren zuvor verdreifachte. Das bedeutet ein Mehr an 47.000 gestorbenen Kindern unter fünf Jahren. Tausende von Kindern wurden durch Landminen und andere kriegsbezogene Unfälle versehrt. Viele Kriegerwitwen wurden zu alleinigen Ernährerinnen ihrer Familien und geschätzte 60 Prozent von diesen litten unter psychologischen Problemen mit physischen Ausdrucksformen wie Gewichtsverlust und Problemen beim Stillen.

Das irakische Gesundheitssystem, zuvor von der WHO als sehr gut eingestuft, konnte mit den Folgen des Krieges nicht fertig werden. Das Gesundheitsministerium wurde durch Bomben getroffen, Kommunikationsanlagen zerstört und die Transportfähigkeit notwendiger medizinischer Mittel auf 10 Prozent reduziert. Die medizinische Grundversorgung und präventive Programme endeten abrupt, es gab keine vorgeburtliche Versorgung mehr und die fehlenden Immunisierungsprogramme führten zum Wiedererstarken vermeidbarer Krankheiten. Es gab nur noch eine minimale Ausstattung um psychisch oder physisch Leidende zu versorgen oder langfristig zu therapieren.

Längerfristige Folgen des Golfkrieges
Den Wiederaufbau des Irak behinderte nach dem Krieg die Politik Saddam Husseins, der UN und der Alliierten. Besonders die Sanktionen auf Grundlage der UN-Resolution 661 trafen das Land schwer. Die Versorgungslage entspannte sich erst mit der Einführung des "Öl für Lebensmittel"-Programms im Jahre 1997. Nun wurden täglich und pro Kopf für 18 US $ Lebensmittel und Medizin verteilt. Auch wenn das Programm eine humanitäre Katastrophe verhindert hat, gilt es als ein vergleichsweise wenig effektives Hilfsprogramm und leidet aktuell an einer erheblichen Unterfinanzierung.

Die Folgen der Sanktionen vereinigen sich mit den Folgen einer dürftigen Versorgungspolitik des irakischen Regimes bei Energie, Wasser, Lebensmitteln, medizinischer Versorgung und Ausbildung. Die UN nimmt an, dass in den späten 90er Jahren 55 Prozent der irakischen Bevölkerung in Armut und 20 Prozent in extremer Armut leben. Von den Sanktionen sind besonders schwangere und stillende Mütter, Kinder unter fünf, ältere Menschen und chronisch Kranke betroffen. Für die 12 Sanktionsjahre wird die Zahl der verstorbenen Kinder unter fünf Jahren zwischen 344.000 und 525.000 geschätzt - eine Zahl, die die Gesamtopferzahl aller Beteiligten während des Krieges weit überschreitet.

Nicht nur die Zukunft der überlebenden Kinder ist unter den existierenden Bedingungen düster. Gerade auch allein erziehende Mütter oder Witwen leiden erheblich unter dem Fehlen eines sozialen Netzes. Obwohl sich im Norden des Landes einige soziale Indikatoren verbessert haben, bleiben enorme psychische und physische Auswirkungen für diese Gruppen erhalten.

Ein neuer Golfkrieg?
Das Ziel eines "Systemwechsels" im Irak wird einen intensiven und destruktiven Krieg nach sich ziehen. Zudem droht der Einsatz neu entwickelter tödlicherer Waffensysteme oder sogar von Atomwaffen.

Die Strategie der USA - ob alleine, mit Großbritannien oder weiteren Alliierten durchgeführt - wird aus vier Hauptkomponenten bestehen, die nicht notwendigerweise nacheinander durchgeführt werden müssen. Die optimale Zeit für einen Krieg wäre der Winter mit einem Abschluss vor dem brennenden irakischen Sommer. Die gegenwärtigen diplomatischen Manöver bedeuten, dass es unwahrscheinlich ist, das er Krieg vor dem kommenden Jahr beginnt.

Luftangriffe - Es werden anhaltende und zerstörende Angriffe auf alle Hauptversorgungseinrichtungen des Regimes in Bagdad und anderen Städten geflogen. Neben der verwendeten Präzisions- und intelligenten Munition wird flächenwirksame Munition für "weiche Ziele" erhebliche Opfer und Zerstörung erzeugen.

Die Folgen laut Studie:
"Sofortopfer, Tote und Verletzte, Kombattanten und Zivilisten, einschließlich Opfer neuer Waffen wie den "bunker busters". Freisetzung von chemischen, biologischen und möglicherweise radioaktiven Giftstoffen durch die Bombardierung irakischer Waffenproduktionsstätten, wenn die Vorwürfe sich bewahrheiten sollten. Eine immense Gesundheitssystemkrise entsteht durch die massive Zerstörung der Infrastruktur - Trinkwassermangel, Nahrungsmitteln und Energieversorgung, Mangel an medizinischen Versorgungsgütern und Behandlungsmöglichkeiten. Seuchen könnten zu mehr Toten führen als der Zahl, die durch den Konflikt direkt erzeugt wurden."

Der Griff nach dem Öl - Bodentruppen werden die Region um Basra und den Südosten besetzen, um das System von der Erdölversorgung abzuschneiden. Schwere Bombardierungen und erbitterte Kämpfe sind zu erwarten.

Die Folgen laut Studie:
"Enorme Sterblichkeits- und Krankheitsraten unter Kämpfenden und Zivilisten. Die mögliche Sabotage von Erdölquellen kann die Umwelt vergiften und die Gesundheit angreifen. Die Eingeschränkte Einfuhr von Lebensmitteln und Medizin führt zu Unterernährung und verhütbaren Krankheiten und Epidemien."

Die Sicherung des Nordens - Die USA und/oder die Alliierten werden die Kontrolle der kurdischen Nordregion mit ihren Ölfeldern anstreben. Strukturelle Vorbereitung zur Landung bzw. Invasion werden im Norden bereits getroffen. Sowohl im Norden (wie dann auch im Süden) des Irak müssen massive Bombardierungen die Interventionstruppen sichern. Das wird zu hohen Verlusten unter der Zivilbevölkerung führen. Auch wenn die USA sich der Unterstützung der kurdischen Führungen im Norden versichern, droht dort ein Bürgerkrieg oder türkische Einmischung.

Die Folgen laut Studie:
"Enorme Sterblichkeits- und Krankheitsraten unter Kämpfenden und Zivilisten, abhängig davon, ob das Regime den Norden zurückerobern will und ob es bereit ist chemische und biologische Waffen einzusetzen. Interne Konflikte, unter Umständen durch türkische und iranische Interessen verschlimmert, könnte unter den anarchischen Umständen zwischen rivalisierenden Gruppen mit einer traurigen Geschichte fehlender Kooperation oder in Gebieten in denen terroristische Gruppen bereits aktiv sind ausbrechen. Die Sabotage der nördlichen Erdölfelder würde Gesundheits- und Umweltfolgen nach sich ziehen."

Die Schlacht um Bagdad - Der Marsch auf Bagdad mit dem Ziel der Zerstörung des politischen Systems wird unter Einsatz von Präzisionsmunition, Teppichbombardierungen und flächendeckender Munition nicht nur die Republikanische Garde sondern gerade auch die irakische Bevölkerung grausamen Angriffen aussetzen. Das irakische System selbst hat verschiedene Möglichkeiten das Ende des Krieges hinauszuzögern und durch den Einsatz chemischer und biologischer Waffen oder den Einsatz paramilitärischer Kommandos in benachbarten Ländern zu Chaos und einer höchstmöglichen Opferzahl beizutragen. Umso länger der Krieg währt, um so unübersichtlicher werden die Szenarien.

Die Folgen laut Studie:
"Militärische Verluste auf beiden Seiten: 2.000 bis 50.000 irakische Tote, zwischen 100 und 5.000 US- oder alliierte Tote und das drei bis vierfache dieser Annahme an Verwundeten. Verluste unter der irakischen Zivilbevölkerung könnten in Bagdad bei 10.000 liegen."

Saddams letzter Widerstand - Die Sabotage der Erdölfelder führt zu weitläufiger Umweltzerstörung und -belastung und zu langfristigen Gesundheitsfolgen durch die freigesetzten Giftstoffe.

Die Folgen laut Studie:
"Der Einsatz chemischer und biologischer Waffen in und außerhalb des Irak könnte die Opferzahlen der USA wie auch der irakischen Kämpfenden und der Zivilbevölkerung um 10 bis 20 Prozent erhöhen. Vom Irak ausgehende terroristische Akte in den Golfstaaten oder in den an der militärischen Koalition beteiligten Ländern könnten von einer Handvoll bis zu einigen tausend an Opfern kosten."

Die atomare Gefahr - Bei einem Atomwaffenangriff auf Kuwait und Israel, oder einer nuklearen Antwort der USA, Großbritanniens oder Israels - oder sogar deren Erstschlag, drohen erhebliche Konsequenzen für Gesundheit und Umwelt.

Die Folgen laut Studie:
"Auch wenn aufgrund der großen Anzahl an Variablen eine genaue Folgenabschätzung schwierig ist, drohen doch enorme kurz und langfristige Folgen für die psychische und körperliche Gesundheit der Menschen und für die Umwelt. Eine Spaltbombe von der Größe der Hiroshima-Bombe (13 Kilotonnen) auf Bagdad könnte zwischen 66.000 und 360.000 Menschen töten. Eine moderne thermonukleare Bombe könnte zwischen 306.000 und bis zu 3.608.000 Menschen töten. Diese Schätzungen beinhalten nicht die langfristigen Todesfälle und andere Effekte."

Was danach kommt - Die direkten und indirekten Folgen des Zweiten Golfkrieges belegen, dass nach dem Ende des Konfliktes das leiden der Menschen noch nicht zu ende ist.

Die Folgen laut Studie:
"Möglicher Bürgerkrieg, langfristige Friedenssicherung, Hungerkatastrophen und Epidemien, Millionen von Flüchtlingen und Vertriebenen, Folgen für die Gesundheit von Kindern und deren Entwicklung, die bis in die kommende Generation zu spüren sein wird und kommenden Wiederaufbau behindert, wirtschaftlicher Zusammenbruch im Zusammengehen mit der Krise im weltweiten Agrarsektor und beim produzierenden Gewerbe durch die Reduzierung des Handels und steigende Ölpreise mit besonders zerstörenden Folgen in den Entwicklungsländern, Destabilisierung und möglicher Regimewechsel in Nachbarländern. Die mögliche Bedeutung für die Gesundheit und die Umwelt ist enorm und unmöglich zu Quantifizieren. Fünf führende Hilfsorganisationen aus Großbritannien, die im Irak arbeiten, warnen vor der zu erwartenden humanitären Katastrophe."

Schlussfolgerungen
Die geistige und körperliche Gesundheit und das Wohlergehen des irakischen Volkes sind durch die Auswirkungen des Krieges 1990/91 schwerwiegend geschädigt worden. Sie wurden zusätzlich in mehrfacher Weise durch die indirekten Auswirkungen des Konflikts geschwächt, hervorgerufen durch die Folgen des wirtschaftlichen Zusammenbruchs und die ausgedehnte Zerstörung der Infrastruktur und die Schäden an Versorgungsbetrieben und Einrichtungen, wie z. B. der Lebensmittel- und Energieversorgung und des Gesundheitswesens. Diese haben eine Schlüsselwirkung für Krankheitsstand und Sterblichkeit.

Im darauf folgenden Jahrzehnt führten die fortdauernden Sanktionen gegen Irak zu weiteren dramatischen Schädigungen an Gesundheit und Wohlergehen und zu einer Beschleunigung des sozialen Niedergangs. Die Flugverbotszonen ermöglichten im Norden eine schnellere Erholung, aber die Luftschläge der USA und Großbritanniens schädigten die Gesundheit und die Umwelt. ÖL FÜR LEBENSMITTEL (ÖfL), der Welt größtes Hilfsprogramm, verhinderte eine humanitäre Katastrophe. Die Gesundheits- und sozialen Indikatoren begannen sich gegen Ende 1997 in ganz Irak, besonders aber im autonomen kurdischen Gebiet zu verbessern. Jedoch hat ÖfL den Zustand der Krise institutionalisiert. Es hat schwerwiegende Verletzungen des Rechts auf Nahrung, Bildung, Arbeit oder Gesundheit nicht verhindert - alles Faktoren, die sich auf die Gesundheit auswirken - und jetzt gibt es Fehlbeträge in der Finanzierung. Während sich die Wirtschaft in den letzten drei Jahren hochgerappelt hat, bleibt unklar, wie weit sich die Folgen der Erholung über die eine Million Angehörigen der Elite hinaus auswirken, die die Stütze des Regimes darstellen.

Es kann nicht stark genug betont werden, dass sogar das Szenario eines "besten Falls" eines begrenzten Krieges mit kurzer Dauer - vielleicht dem von 1991 vergleichbar - weitaus schlimmere Folgen für das irakische Volk haben und zu Beginn dreimal so viele Tote haben würde, wie am 11. September starben. Abgesehen von der Elite, die durch Reichtum und Privilegien geschützt ist, waren die meisten Überlebenden 1990 geistig und körperlich gesünder. Sie sind jetzt weit weniger in der Lage, weiteren Angriffen auf ihre Gesundheit zu trotzen, was exponentielles Wachstum bei möglichen Schäden bedeutet.

Der Golfkrieg hat auch ausgedehnte Umweltschäden für die Nachbarländer verursacht. Das Gleiche gilt für die Gesundheit und das Wohlergehen nicht nur der alliierten Soldaten, sondern auch der ZivilistInnen der Nachbarländer und der Entwicklungsländer, die von den negativen Auswirkungen auf den Handel getroffen wurden. Schätzungen über die möglichen Schäden eines neuen Krieges für die Weltwirtschaft und damit indirekt für Gesundheit und Wohlergehen von weiteren Millionen von Menschen sind spekulativ, aber nichtsdestoweniger schwerwiegend, weil schwer abzuschätzen.

Einige AutorInnen argumentieren, dass die fortdauernden negativen Gesundheitsauswirkungen des jetzigen Regimes den kurzzeitigen Auswirkungen eines Krieges gegen gerechnet werden müssten. Die brutale Diktatur Saddam Husseins schädigt die Gesundheit zweifellos in vielerlei Hinsicht, von direkten Handlungen wie Folter und Hinrichtungen bis hin zu schlechterer Gesundheit und dem seelischen und körperlichen Verfall, der mit einem Leben in Angst zusammenhängt. Dass das Regime die VN-Resolutionen nicht erfüllt und dadurch eine Reduzierung der Sanktionen behindert und dass es die Durchführung von ÖfL erschwert, indem es die Ölproduktion manipuliert und den Ölpreisen nicht zustimmt, bringt ihm auch weitere schwerwiegende Gesundheitsprobleme ins Land. Es scheint jedoch, dass die langsame, aber spürbare Verbesserung der Gesundheit seit 1998 sich unter den gegenwärtigen Umständen fortsetzen könnte. Man kann nicht beweisen, dass Nichtstun notwendigerweise die Gesundheit schädigt; es könnte sogar zu ihrer Verbesserung beitragen.

Außerdem - und das ist ganz wichtig: Wenn wir darüber reden, welche Berge von Toten und Zerstörungen ein Krieg sowohl direkt als auch indirekt in Irak und dem Rest der Welt wahrscheinlich verursachen würde, treten wir nicht dafür ein nichts zu tun. Auch befassen wir uns nicht mit der Frage nach der Schuld. Wir argumentieren, dass bei Überlegungen, wie diesem gefährlichen Regime beizukommen ist und in Richtung auf Demokratie und soziale Gerechtigkeit für alle gearbeitet werden kann, die wirklichen Kosten des Kriegs kalkuliert und breit diskutiert werden müssen. Wenn der Krieg etwa schlimmere Probleme verursacht als diejenigen, die er lösen will, dann ist er unter allen Umständen unklug, und andere Optionen müssen untersucht werden.

Die vielen Optionen zwischen "Nichtstun" und Krieg-gegen-den-Irak-Führen sind keineswegs ausgeschöpft (Elworthy und Rogers 2002; Forrow et al. 1998; Garfield 1999, Jabar 2002). Da dies ein Tatsachenbericht von GesundheitsexpertInnen ist, ist es nicht angemessen, die Optionen abzuwägen und sich hier für ein bestimmtes Vorgehen auszusprechen, aber wir empfehlen sie für die weitere Beschäftigung mit dem Thema. Jedenfalls muss man eine so komplexe und heikle Situation aus verschiedenen Richtungen angehen, die sich wechselseitig verstärken und ergänzen.

Kontakt: IPPNW, Körtestr. 10, 10967 Berlin. Tel.: 030-698 074-0, Fax: 693 81 66
 

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