Kolumbien: Blutiger Konflikt ohne Ende?

von Stephan Brües

Weitgehend außerhalb des öffentlichen Medieninteresses findet in Kolumbien weiterhin ein höchst komplizierter Bürgerkrieg statt. Seine Wurzeln reichen weit zurück und entluden sich erstmals 1948 in der sog. "Violencia", in der sich Anhänger der liberalen und der konservativen Partei in Städten, aber auch in den Dörfern gegenseitig massakrierten. Bis heute hat Kolumbien die höchste Rate an "normaler" wie politischer Kriminalität: Drogenmafia, Guerillas, eine "Entführungsindustrie", paramilitärische Gruppen, vom Militär und den Reichen gefördert, und Regierungen, die zwischen Friedensbereitschaft und hartem Durchgreifen (also Gewalt gegen Guerilleros und solche, die sie dafür halten) pendeln, aber im Grunde machtlos sind. Über allem schweben die USA, die offiziell einen Drogenkrieg führen, in Wirklichkeit über den Plan Colombia aber ihre geostrategischen und wirtschaftlichen Interessen mit allen Gewaltmitteln durchzusetzen suchen.

Im folgenden sollen die Ursachen des Konfliktes, die verschiedenen internen, wie externen Akteure und die Rolle sozialer Bewegungen näher beleuchtet werden.

Die Basis der Gewalt in Kolumbien ist und bleibt die ungerechte Landverteilung. 5 % der Bevölkerung besitzen 80 % des bebaubaren, fruchtbaren Landes. Zwei Drittel besitzen umgekehrt nur 5 % des Bodens. Trotz verschiedentlich angekündigten Bodenreformen geht die Schere tendenziell auseinander. Ein wichtiger Faktor für die Gewalt gegen die Bauern, die indigenen und afrokolumbianischen Gemeinden ist das Interesse der multinationalen Unternehmen an den Bodenschätzen und der reichen Biodiversität, die das Land besitzt.

Diese Ungerechtigkeit ist auch die Ursache für das Aufkommen der Guerillas in Kolumbien. Die älteste Guerilla-Gruppe, die FARC, hatte zeitweise ein Viertel des Landes unter ihrer Kontrolle. In dieser Zeit hat sie z.T. soziale Verbesserungen in den von ihnen kontrollierten Gebieten eingeführt, andererseits aber - da sie eben ein militaristischer Verband ist - der Bevölkerung auch Zwangsrekrutierte abgepresst. Sie profitiert ebenfalls vom Drogenanbau und ist verantwortlich für schwere Verletzungen des internationalen humanitären Völkerrechtes durch Anschläge auf die Zivilbevölkerung in Dörfern und Städten. Aktuell erregte die FARC Aufsehen durch die Entführung der unabhängigen Präsidentschaftskandidatin Ingrid Betancourt. Angeblich hatten sie auch den inzwischen befreiten Erzbischof Jorge J¡menez entführt.

Eine Ursache des Konfliktes ist das das gesamte politische System überlagernde Wechselspiel der liberalen und konservativen Partei. Während letztere die Partei der Großgrundbesitzer und Unternehmer ist, ist erstere eher die des aufstrebenden Bürgertums. Mit wenigen Ausnahmen hat keine der Parteien ernsthaft eine Veränderung der sozial und wirtschaftlich ungerechten Gesellschaftsstrukturen angestrebt. Eine Ausnahme bildete der linksliberale Volkstribun und Präsidentschaftskandidat der liberalen Partei von 1948, Jorge Eliécer Gaitán, welcher am 9. April 1948 einem Attentat zum Opfer fiel. Damit war ein Hoffnungsträger des Volkes für soziale Reformen ermordet worden und der Startschuss zur brutalen Violencia, einem Bürgerkrieg, der bis 1958 200.000 Menschenleben forderte, gesetzt.

Seitdem wechseln sich die beiden Parteien alle vier Jahren ab, die liberalen Präsidenten geben sich moderater und z.T. gesprächsbereiter, die konservativen unnachgiebiger. Nach Beendigung der "Frente National" wurde der ausschließende Charakter des Zweiparteiensystems auch dadurch erhalten, dass Vertreter alternativer Parteien systematisch verfolgt wurden. So wurden im Laufe weniger Jahre mehr als 3000 gewählte Mitglieder der 1986 gegründeten linken Partei "Union Patriotica" einschließlich ihrem Präsidentschaftskandidaten ermordet.

Neben den Parteien und den Guerillas sind als Akteure im Konflikt die Drogenmafia, die paramilitärischen Gruppen, die Militärs und die USA (und soziale Bewegungen) zu nennen.

Die Drogenmafia zeigt sich nach außen etwas weniger gewalttätig als früher. Nach dem Tod von Pablo Escobar und der Verhaftung mehrerer Drogenbosse erschüttern nicht mehr - wie in den 80er Jahren - Autobomben die Großstädte Medell¡n, Cáli und Bogotá und verursachen eine Unzahl von Toten und Verletzten. Trotzdem bieten die verbliebenen Drogenkartelle auch weiterhin den Jugendlichen in den Armenvierteln Arbeit als Drogenkuriere oder auch Auftragskiller. Und sie geben Kleinbauern, die Coca anpflanzen, z.T. bessere Preise als diese für andere Anbauprodukte erhalten würden. Inzwischen sind alle Kriegsparteien am Drogengeschäft beteiligt. Es gibt viele Hinweise darauf, dass auch Teile des Establishments involviert sind und von den Geschäften profitieren.

Hauptverantwortliche der unzähligen Menschenrechtsverletzungen sind die paramilitärischen Gruppen. Diese werden zum einen von Großgrundbesitzern und Unternehmern angeheuert, um missliebige Gewerkschafter und Menschenrechtsverteidiger zu ermorden und für ihre Rechte kämpfende Kleinbauern zu vertreiben. So gibt es inzwischen mehr als 2 Mio. Inlandvertriebene in Kolumbien. Zum anderen machen sie aber auch die Drecksarbeit für die kolumbianische Armee, von denen sie dann auch die Waffen erhalten. In diesem Zusammenhang sei auch erwähnt, dass der BP-Konzern die 16. Armeebrigade - eine Antiguerilla-Einheit - mit 5 Mio. US-$ finanziert hat.

Was die Finanzierung der kolumbianischen Armee sowie des Geheimdienstes und der Polizei angeht, so sind die USA die größten Geldgeber. Im Rahmen des Plan Colombia erhält die kolumbianische Regierung in den nächsten 5 Jahren insgesamt fast 5 Milliarden US-$ für die Nationale Sicherheit (also Streitkräfte, Polizei, Anti-Drogenbataillone, Helikopter, Justiz) von den USA, aber auch anderen westlichen Staaten.

Kritiker sehen im Plan Colombia, welcher offiziell ein "Plan für Frieden, Wohlstand und Stärkung des Staates" ist, eine Form der US-Intervention im Kampf gegen Drogen und die Guerilla.

Hauptargument dabei ist, dass der Plan in den ersten der insgesamt auf 6 Jahre angelegten Planung den Einsatz in der Provinz Putumayor vorsieht, jene Provinz, in der sich die Basen der Guerilla konzentrieren. Der Antidrogenkampf wird vorwiegend dadurch geführt, dass die Coca-Felder der Kleinbauern mit Chemikalien besprüht werden.

Nur 0,7 % der Ausgaben im Plan Colombia dient den sozialen Bewegungen und damit der Thematisierung der Konfliktursachen. Womit ich bei den sozialen Bewegungen wäre:

In Kolumbien gibt es traditionell eine große Anzahl sozialer Bewegungen. Zu nennen wäre z.B. die Menschenrechtsorganisation CREDHOS, das Bündnis von vielen Frauenorganisationen "Mujeres contra la Guerra" und eine Allianz von Menschenrechts- und sozialen Gruppen wie die Asamblea Permanente por la Paz, aber auch Friedensgruppen wie der Verband der Kriegsdienstverweigerer und die sog. Friedensdörfer.

In den Gebieten, in denen die Guerilla FARC und die paramilitärischen Gruppen sich bekämpfen, versuchen einzelne Gemeinden ihre Instrumentalisierung durch die beiden Gruppen zu verhindern und sich zu entmilitarisierten Zonen zu erklären. Einige waren dabei erfolgreich, andere bezahlten ihr Friedensengagement mit Überfällen durch die Guerilla oder die paramilitärischen Gruppen.

So wurden in dem "Friedensdorf" San José Apartado in den letzten vier Jahren 85 Bewohner hauptsächlich von Paramilitärs ermordet. Trotz aller Repression ist diese Bewegung der Friedensdörfer und autonomen Gemeinden ohne Einbindung in eine der gewaltbereiten Gruppen im Lande die einzige Chance für eine positive Zukunft in Kolumbien. Und dies auch gerade angesichts dessen, dass ein Friedensdialog nach der Wahl des konservativ-reaktionären Präsidenten Alvaro Uribe in weite Ferne rückt.

Die Regierung betreibt in Namen der Antiterrorismuskampagne mit Hilfe einflussreicher Medien eine Polarisierungs- und Militarisierungspolitik. Mit Ausnahmegesetzgebung und Dekreten, die der Präsident erlässt, werden demokratische Rechte außer Kraft gesetzt. Damit wird die jetzt schon bald 100%igen Straffreiheit bei Menschenrechtsverletzungen weiter abgesichert. Menschenrechtsaktivisten und soziale Organisationen, welche die Verantwortung des Staates aufzeigen, vor allem die Kooperation von staatlichen Sicherheitskräften und Paramilitärs, werden als Guerilla-Helfer diffamiert und sind extremer Verfolgung ausgesetzt.

Die Friedens- und Menschenrechtsbewegung in Kolumbien fordert eine politische Lösung des Konflikts unter Einschluss der ernsten sozialen Probleme und Beachtung der Menschenrechte.

Die Unterstützung der Friedensbewegung in Kolumbien ist gerade jetzt extrem wichtig. Die Überlegungen, die nächste WRI-Ratstagung in Medell¡n stattfinden zu lassen, ist da ein Signal von hohem symbolischen Wert.

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Krisen und Kriege
Stephan Brües ist freier Journalist/Texter und Co-Vorsitzender des Bunds für Soziale Verteidigung.