Kommunale Friedenskultur - ein wichtiges Feld der Friedensarbeit

von Bernhard NolzWolfgang Popp
Schwerpunkt
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In Deutschland greift in den letzten Jahren ein Denken in nationalistischen Schablonen um sich, das durch die offizielle Politik gefördert wird und sich aus dunklen Quellen von Stammtisch-Diskursen speist.

Kommunale Friedensarbeit muss reagieren auf solche Erscheinungen des Unfriedens, der Gewalthaltigkeit, des Feindbilddenkens und der Manipulierbarkeit für Kriegsbereitschaft und nationalistische Einstellungen im kommunalen Alltag. Sie kann die Menschen widerständig machen gegen Kriegspropaganda, sie zu mehr Solidarität im kommunalen Alltag bewegen, zu mehr Bereitschaft, Alltags-Konflikte gewaltlos zu lösen. Das heißt aber, eine kommunale Friedenskultur zu entwickeln, die ein menschliches Alltagsverhalten fördert, das von Gewaltfreiheit, Mitmenschlichkeit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit geprägt ist.

Daraus ergeben sich dann die Arbeitsfelder kommunaler Friedensarbeit:
Auseinandersetzung mit Erscheinungen einer neuen Militarisierung, Erinnerungsarbeit, Arbeit gegen Gewalt in der Kommune, Interkulturelle Arbeit, Arbeit an der Umsetzung der lokalen Agenda 21, Arbeit an der Überwindung der Generationenkluft

Die Pädagoginnen und Pädagogen für Frieden (PPF) haben deshalb in Siegen ein erstes "Zentrum für Friedenskultur (ZFK)" eingerichtet, das im Herbst 2000 seine Arbeit aufgenommen hat. Das Besondere an diesem Zentrum ist, dass es mitten im Stadtzentrum, in der Fußgängerzone angesiedelt ist in gewöhnlichen Geschäftsräumen, mit entsprechenden Schaufenstern, in denen mit Plakaten auf bestimmte Friedens-Veranstaltungen hingewiesen wird, und auf einem Monitor laufend Informationen zu friedenspolitisch wichtigen Ereignissen ausgestrahlt werden. Das Zentrum arbeitet vor allem mit Computern und Internet. Es bietet für ältere Bürgerinnen und Bürger ein Senioren-Internet-Cafe an. Darüber hinaus werden im ZFK einzelne Projekte zu Themen der Arbeitsfelder durchgeführt. Dies soll hier an einigen Beispielen veranschaulicht werden.

Auseinandersetzung mit Erscheinungen einer neuen Militarisierung:
Stichwörter zur neuen Militarisierung:
 

  •  das geplante Raketenabwehr-Programm der USA,
     
  •  die Aufstellung von schnellen Eingreiftruppen auf EU-Basis,
     
  •  die Umrüstung der Bundeswehr zu einer neuen beweglichen und überall auf der Welt einsetzbaren schlagkräftigen Armee samt dazu gehörender Anschaffung einer entsprechenden neuen Waffengeneration,
     
  •  die neuen Richtlinien zum Selbstverständnis der NATO und der Bundeswehr,
     
  •  die Aufweichung der Rüstungsexportbestimmungen der Bundesrepublik und die Steigerung von Rüstungsexporten auch in Regionen, in denen sie unmittelbar zum kriegerischen Einsatz verwendet werden.
     

In den kommunalen Alltag geraten solche Erscheinungen vor allem durch die Massenmedien. D.h. die Informiertheit der Bürger und Bürgerinnen ist abhängig von der - manipulativen - Auswahl, Darbietungsweise und Kommentierung der Medien. Bessere und umfangreichere Informationen erhält man oft über das Internet. Kommunale Friedensarbeit kann dies nutzen zu einer medienwirksamen Gegeninformation, indem sie etwa Internet-Nachrichten über Monitor in die kommunale Öffentlichkeit bringt.

Erinnerungsarbeit
Während sich in öffentlichen Diskursen immer mehr die Tendenz durchsetzt, die aktive Erinnerung an die jüngere Geschichte zu verdrängen, zu relativieren oder umzudeuten, setzt Friedensarbeit dem die kritische Aufarbeitung von Krieg und Naziherrschaft, der Nachkriegsentwicklung der beiden deutschen Staaten und der letzten 10 Jahre entgegen.

Alljährlich begeht die Friedensbewegung in Siegen den 16.12. als Erinnerungstag der Zerstörung der Stadt 1944. Die Begehung des 16.12. hat eine Tradition, die die Friedenskultur in unserer Stadt prägt. Wir haben uns in den letzten Jahren darauf konzentriert, Ausstellungen im Rathaus zu zeigen. Damit kommen wir in einem längeren Zeitraum (ca. 3 Wochen) an Besucher des Rathauses heran, die sich sonst um das Thema nicht kümmern würden. Dies gilt auch für Schulklassen oder Jugendlichengruppen.

Arbeit gegen Gewalt in der Stadt
Das Ansteigen von Gewaltakten meist gegen Ausländer hat im letzten Sommer eine politische Hektik in der Suche nach schnellen Lösungen ausgelöst.

Das ZFK entwickelt demgegenüber ein längerfristiges Projekt: "Gegen rechte Gewalt in der Stadt - Gewaltpräventionen mit Internetunterstützung." Es soll Jugendlichen ermöglichen, vorhandene Gewalteinstellungen abzubauen bzw. will ihre Bereitschaft zum bewussten Verzicht auf Gewalt fördern, sie befähigen, eine gewaltfreie, konstruktive Konfliktbearbeitung in ihr Alltagshandeln zu integrieren. Eingesetzt werden Formen der Recherche im Internet, aber auch aktivierende Formen des darstellenden Spiels oder des Forumtheaters.

In einem anderen Projekt: "Gegen Rassismus und Nationalismus - ein Lernprogramm für türkische Mitbürgerinnen und Mitbürger" wird mit türkisch sprechenden Jugendlichen und jungen Menschen ein Lernprogramm erarbeitet, das Alternativen zu Gewalt, Nationalismus und Rassismus ermöglicht. Arbeitsgrundlage sind türkische und deutsche Medien (Zeitungen, Zeitschriften, Internet-Seiten). Durch handlungsorientierte Bearbeitungsformen, z.B. Soziodrama, Zeitungstheater, soll Medienkompetenz in Deutsch und Türkisch entwickelt werden. Die Ergebnisse sollen zweisprachig im Internet veröffentlicht werden.

Seit Juli 2001 läuft das Projekt: "Friedliche Konfliktbearbeitung als Grundlage konstruktiver BürgerInnen-Beteiligung", das aus Landesmitteln gefördert wird. Es geht um die Stärkung der Verantwortung "von unten", die Sensibilisierung der an kommunaler Politik interessierten BürgerInnen für bestimmte Konfliktfelder und für die Möglichkeiten der Konfliktprävention und zur konstruktiven Konfliktbeilegung. Dazu werden ein Büro für BürgerInnen-Beteiligung als Informations- und Bildungszentrum und Treffpunkt, ein Internet-Diskussionsforum und ein Internet-Cafe eingerichtet. Es sollen Formen der Bürgerbeteiligung erprobt werden wie Runde Tische, Zukunftswerkstätten.

Interkulturelle Arbeit
Das ZFK bietet ein Projekt: "Interkulturelle soziale Arbeit als Friedensarbeit" an. Interkulturelle Arbeit setzt sich mit den verschiedenen Kulturen auseinander, die durch MigrantInnen, Flüchtlinge, Asylsuchende und andere ausländischen MitbürgerInnen im Alltagsleben unserer Stadt in verschiedenster Weise sichtbar sind. Bei interkultureller Friedensarbeit geht es dabei darum, sich auf andere Kulturen und ihre Besonderheiten einzulassen, mit ausländischen Mitbürgern und Mitbürgerinnen eine intensive Kommunikation aufzunehmen und Gewaltpotenziale frühzeitig zu erkennen und mit friedlichen Mitteln zu lösen.

Arbeit an der Umsetzung der lokalen Agenda 21
Das ZFK hat ein längerfristiges Programm aufgelegt: "Agenda 21 live. Ein Projekt zur Nachhaltigkeit und Gewaltfreiheit". Es soll die Teilnehmenden für die Zielsetzungen der Agenda 21 sensibilisieren und sie befähigen, eine gewaltfreie, konstruktive Konfliktbearbeitung in das Alltagshandeln zu integrieren. Sie sollen erfahren können, dass Nachhaltigkeit im Sinne von Zukunftsfähigkeit am besten auf der Grundlage von Gewaltfreiheit verwirklicht werden kann. Arbeitsraum für die Agenda 21-Arbeit ist der ZFK-Internet-Club, dem Jugendliche und Erwachsene beitreten können. Hier können sie im Internet zielgerichtet Informationen zu verschiedenen Agenda-Themenbereichen sammeln und unter sozialen und friedensfördernden Gesichtpunkten auswerten.

Das ZFK-Projekt "Türkisch-deutsche Zusammenarbeit zur Agenda 21" bietet Türkei-Interessierten eine besondere Form der interkulturellen Zusammenarbeit an: Sie können zu Sonderkonditionen einen Urlaub in der Türkei verbringen, wo sie im Kultur-Zentrum eines Reisebüros untergebracht werden und die Gelegenheit haben, mit türkischen Gruppen des Agenda 21-Prozesses Erfahrungen auszutauschen. Zugleich erhalten sie Einblicke in die Kultur und die Friedensarbeit in der Türkei.

Generationen übergreifende Aktivitäten
Ein besonderes Phänomen für die Entstehung von Konflikten und gewalthaltigen Situationen im kommunalen Alltag ist die zunehmende Fremdheit und vorurteilbehaftete Gegnerschaft zwischen den Generationen. Die jüngere Generation fühlt sich von den Älteren nicht angenommen und neigt deshalb zur Verachtung aller älteren Menschen und zu aggressivem Verhalten ihnen gegenüber, die Älteren sehen in den Jüngeren nur egoistische, arbeits- und verantwortungsscheue Tunichtgute. Dies ist ein weitgehend vernachlässigtes Arbeitsfeld für kommunale Friedensarbeit. Das ZFK versucht durch einige dauerhafte Programme eine friedlichere Atmosphäre zwischen den Generationen zu schaffen:

Im ZFK-Internet-Club begegnen Jugendliche Erwachsenen in verschiedenen Lebensaltern, aus unterschiedlichen Bürgerinitiativen kommen, etwa aus Initiativen, die sich in der örtlichen Friedensbewegung engagieren, die gegen Ausländerfeindlichkeit und Neofaschismus aktiv sind, die sich um Flüchtlinge und Asylbewerber kümmern, und viele andere.

Dem ZFK-Programm: "Jung und Alt im Internet" liegen folgende Überlegungen zugrunde: Jüngere Menschen bewegen sich häufig sehr sicher am Computer und im Internet, während ältere Menschen häufig Angst vor dem Umgang mit dem Computer haben. Das Programm: Junge Menschen, die souverän mit dem Computer und seinen Programmen umgehen können, werden pädagogisch geschult, um ältere Menschen in den Umgang mit dem Computer einzuführen. Dabei sitzen die Alten am Computer, bestimmen das Arbeitstempo und die Arbeitswege. Die Jungen sitzen im Hintergrund und helfen ihnen. Der Effekt: die älteren Menschen verlieren ihre Angst vor dem Computer und finden einen Zugang zum Wissen der Jüngeren, die Jüngeren fühlen sich ernst genommen, sie können produktiv mit ihren Computer-Fähigkeiten umgehen.

Kontakt: Zentrum für Friedenskultur (ZFK), Kölner Str. 11, 57072 Siegen, Tel: 0271-2382521, E-Mail: info [at] zfk-siegen [dot] de, Internet: www.zfk-siegen.de

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Bernhard Nolz ist Lehrer i. R., Sprecher der Pädagoginnen und Pädagogen für den Frieden, Aachener Friedenspreisträger.
Prof. em. Dr. Wolfgang Popp, Literaturwissenschaftler im Ruhestand, vertritt das Forschungs- und Lehrgebiet Friedenserziehung an der Universität Siegen.