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Krieg nach dem Ende der Ost-West-Konfrontation
vonGerade zehn Monate ist es her, daß die Staatschefs der KSZE-Mitgliedsstaaten auf dem Pariser Gipfel ein neues Zeitalter der Demokratie, des Friedens und der Einheit proklamierten. So unzweifelhaft richtig dies als C h a n c e ist, so deutlich zeigt die reale Entwicklung seitdem aber auch, daß Frieden und Zusammenarbeit nicht automatisch vorgezeichnet sind. Noch bevor Bush seine Unterschrift unter die Pariser Charta setzte, hatte er den Befehl gegeben, eine Offensivoperation gegen den Irak vorzubereiten, den Golfkrieg. Und seit diesem Sommer wissen wir, daß auch mitten in Europa ein blutiger Bürgerkrieg möglich ist.
Beide Kriege haben, so grundverschieden sie ansonsten sind, eines gemeinsam: Sie sind auch Folge der Beendigung der Ost-West-Konfrontation und - was Jugoslawien betrifft - des Totalzusammenbruchs des Realsozialismus.
In Osteuropa und den sowjetischen Republiken brechen jetzt eine Menge Probleme auf, die Jahrzehnte lang unterdrückt und verdrängt worden waren, vor allem ethnische Spannungen, verschlimmert durch das wirtschaftliche, soziale, ökologische und moralische Desaster, das das alte System hinterlassen hat. 76 ethnische Konfliktherde, bei denen es in den vergangenen drei Jahren Todesopfer gegeben hat, listete die Zeitung Moscow News allein für die Sowjetunion kürzlich auf. So gesehen, wirkt der Bürgerkrieg in Jugoslawien als Vorbote.
Der Golfkrieg ist in doppelter Hinsicht das Ergebnis einer Ent-Disziplinierung nach dem Ende der Ost-West-Konfrontation. Zu Zeiten der Blockkonfrontation war man zu einer gewissen Konflikt-disziplin gezwungen, denn jeder Konflikt, der in vitale Interessenssphären der anderen Supermacht eingriff, barg das Risiko einer unmittelbaren Konfrontation und damit die Gefahr nuklearer Eskalation. Gewiß waren (Stellvertreter-) Kriege - auch große - möglich, aber ein Nahost-Krieg mit amerikanischer Beteiligung oder gar ein Krieg in Europa, das war so gut wie ausgeschlossen. Diese Bremsen funktionieren jetzt nicht mehr. Zu Zeiten der Konfrontation hätte die Supermacht Sowjetunion ihren Klienten Saddam erfolgreich daran gehindert, mit Kuwait einen Staat der westlichen Interessenssphäre zu annektieren, jetzt war sie dazu nicht mehr in der Lage. Und die USA hätten nie derart militärisch-offensiv auf einen solchen Vorfall reagieren können, wie sie es diesmal taten. Erst das Ende der Ost-West-Konfrontation, der Zusammenbruch des östlichen Blocks und seiner Wirkungsmöglichkeiten u n d die amerikanisch-sowjetische Nähe machten den Golfkrieg möglich.
Dies alles sei nicht deshalb gesagt, um wehmütige Reminiszenzen an die Zeiten der Blockkonfrontation heraufzubeschwören, wie es mancherorten gelegentlich anklingt. Aber a l l e Folgen der Beendigung der Blockkonfrontation zu untersuchen, neben den ausführlich beschriebenen positiven auch die anderen, ist wichtig für das Begreifen der Chancen der heutigen Situation und erst recht für das der Gefahren. Zur Entspannungspolitik gab es wirklich keine Alternative, das hat Franz-Josef Strauß zehn Jahre nach den Ostverträgen mit dem Milliardenkredit deutlich gemacht - wofür er jetzt posthum Prügel bezieht. Jetzt aber gibt es wieder Alternativen oder wenigstens die Illusion, an solche zu glauben, wenn man nur kurz genug denkt: Für die herrschende politische Meinung in Europa ist die militärische Reaktion auf Bedrohungen und Risiken am Rande und innerhalb von Europa wieder zu einer sinnvollen, ja bisweilen moralisch gebotenen Alternative geworden. Eines der schlimmsten Ergebnisse des Golfkrieges ist sein geistiger fall-out, der Glaube, daß Krieg wieder führbar und ein adäquates Mittel der Politik sein kann.
Am 29. Mai 91 wertete Präsident Bush in einer Rede vor der U.S. Luftwaffenakademie in Colorado Springs den Golfkrieg aus: Neben einer zehnzeiligen Angekündigung einer neuen Rüstungsexport-Kontrollinitiative eine seitenlange Schwärmerei über die überragende Rolle der Luftwaffe und die Vorzüge von Stealth und Raketenabwehr. Der Golfkrieg hat dem Trend zu einem neuen High-Tech-Rüsten mächtigen Schub verliehen: Kleinere, hochflexible Truppen, strategischer Lufttransport, (Forts. S. 35)
elektronische 'Force Multiplier', das sind jetzt die Stichworte, die die Branche bewegen. Und die NATO-Verteidigungsminister haben schon einmal vorsorglich darauf hingewiesen, daß mit sinkenden Rüstungslasten in absehbarer Zeit nicht zu rechnen sei, High Tech kostet eben Geld. Auf ihrer Frühjahrstagung hat die NATO beschlossen, eine sog. Rapid Reaction Force einzurichten, eine schnelle Eingreiftruppe. Offiziell sagt noch niemand laut, daß sie für out-of-area-Einsätze konzipiert werden soll, aber wofür denn sonst? Die Reaktion der Europäer auf diesen amerikanisch-britischen Vorstoß war keineswegs Ablehnung, sondern allenfalls ein untergründiges Gemurmel, ob man solche Truppe nicht lieber unter einem EG/WEU-Schild laufen lassen sollte.
Und die Koalitionsmehrheit hat mit dem Haushalt 1991 den Verteidigungsminister beauftragt, Optionen für ein europäisches militärisches Langstreckentransportflugzeug zu prüfen.
Eine solche Politik kann nur zu einer weiteren Militarisierung des Nord-Süd-Konflikts führen. Alle Versuche, Rüstungsexporte zu begrenzen, werden daran nichts ändern, zumal sich trotz aller hehren Proklamationen seit dem Golfkrieg ein neuer, noch größerer Waffenstrom in die Nahost-Region ergießt.
Und wie sollte eine militärische Intervention in Jugoslawien, an die der eine oder andere Politiker schon öffentlich denkt, dort positiv wirken? Wo sollten die Pufferzonen zwischen den kämpfenden Parteien eigentlich liegen, von denen manche sprechen, wo Serben und Kroaten dort in weitgehend miteinander verschachtelten Siedlungsgebieten leben? Wohlgemerkt, nicht von Blauhelm-Aktionen ist hier die Rede, die können sinnvoll sein, setzen aber einen Waffenstillstand voraus und die Zustimmung aller streitenden Parteien. Ein militärisches Eingreifen aber führt zwangsläufig zu noch mehr Krieg und selbst wenn es gelänge, die Bundesarmee zu entwaffnen - auf welcher Rechtsgrundlage eigentlich? - zu einem fortgesetzten Guerillakrieg, einem Nordirland in Potenz.
Der Friedensbewegung wird gelegentlich Hilflosigkeit gegenüber dem Bürgerkrieg in Jugoslawien vorgeworfen. Aber wer ist denn nicht hilflos in einer Situation, in der man außer politischer Streitschlichtung, der Nichtanerkennung gewaltsam verschobener Grenzen und wirtschaftlichen Sanktionen (die gibt es noch nicht einmal) schlechterdings nicht helfen kann?
Jede außenpolitische Frage und insbesondere die nach einer rationalen Friedenspolitik stellt sich jetzt unter völlig neuen Bedingungen. Gewohnt, in bipolaren Mustern zu denken, wie wir es waren, werden wir noch lange brauchen, um das in allen Auswirkungen zu verstehen. Die Konfliktkonstellationen werden sich rasch ändern und es wird nur schwer, wenn überhaupt, möglich sein, Gut und Böse auseinanderzuhalten. Richtig bleibt, daß der Einsatz militärischer Gewalt im Zeitalter von Massenvernichtungswaffen kein Mittel der Politik mehr sein kann und darf.