Euro-Tour '89

Kriegsdienstverweigerer auf dem Weg nach Europa

von Klaus Naderer

Vom 28.4. bis zum 16.5. 89 waren zwischen 20 und 30 Kriegsdienstverweiger/innen aus sieben europäischen Ländern mit dem Fahrrad unterwegs nach Straßburg. Diese grenzübergreifende Demonstration der Kriegsdienstverweige¬rer, die von Bonn durch die Niederlande, Belgien, Luxemburg und Frankreich führte, sollte in der Öffentlichkeit größeres Verständnis für die Ziele der Verweigerer wecken. Die Euro-Tour '89 soll hier zum Anlaß genommen werden, über Chancen und Grenzen der Kriegsdienstverweigerung im· europäischen Maßstab
Einige Überlegungen anzustellen.

Im Mittelpunkt der Euro-Tour '89 stand die Aufklärung über die fortwährenden Benachteiligungen und Strafmaßnahmen, denen Verweigerer in allen europäischen Staaten ausgesetzt sind; Daneben wurden Möglichkeiten und Schwierigkeiten eines verstärkten Zusammenwirkens der Bewegungen der Kriegsdienstverweigerer in den Staaten der europäischen Gemeinschaft sichtbar.
Kriegsdienstverweigerer sind in den Mitgliedsstaaten der EG mit stark divergierenden rechtlichen und politischen Realitäten konfrontiert. Die nationalen Gesetzgebungen sind noch deutlich gekennzeichnet von den historischen Voraussetzungen, die zu ihrer Durchsetzung führten. In der Bundesrepublik leiteten sie sich bekanntlich aus den schrecklichen Erfahrungen des 2. Weltkrieges her. In Frankreich gab der Algerienkrieg den entscheidenden Anstoß zu einer Festschreibung des Rechts auf Kriegsdienstverweigerung. Während die Bundesrepublik bereits auf mehrere  Generationen von Kriegsdienstverweigerern zurückblicken kann, sind in den jungen Demokratien Spanien und Portugal erst in den letzten Jahren (1984 bzw. 1985) rechtliche Bestimmungen zum Schutz der Kriegsdienstverweigerer geschaffen worden.
Neben den gravierend unterschiedlichen Bedingungen für die Verweigerer der einzelnen Länder - die in erster Linie das Anerkennungsverfahren, die Dauer des Ersatzdienstes und den Tätigkeitsbereich im Zivildienst betreffen - dürfte die "Tradition" der Verweigerung in den einzelnen Staaten den stärksten Einfluß auf die zahlenmäßige Größenordnung der Verweigerer ha¬ben. In Spanien, Belgien und Frankreich liegt der Anteil der Kriegsdienstverweigerer eines wehrpflichtigen Jahrganges im Schnitt bei zwei bis drei Prozent. Nur in Portugal - dem einzigen europäischen Land, wo der Zivil¬dienst die Dauer des Wehrdienstes nicht überschreitet - und in der Bundesrepublik liegt die Zahl der Verwei¬gerer erheblich darüber. Gegenwärtig verweigern in den EG-Staaten jährlich weit über 100.000 Wehrpflichtige den Kriegsdienst.
Überall sammeln sich mit den KDV'ern Multiplikatoren für das weitere Ansteigen der KDV-Zahlen. Dabei kommt hinzu, daß als Motiv zur Verweigerung zunehmend die globale Kriegsgefahr eine Rolle spielt. Deshalb lassen sich an den Zahlen die mit der individuellen Verweigerung verbundenen, tiefgreifenden gesellschaftlichen Wandlungen nur unzureichend festmachen. Die Gewissensentscheidung jedes einzelnen ist

  • eine faktische Absage an militärische Sicherheitspolitik
  • unvereinbar mit heute noch herrschenden Politikmustern.

Darin steckt der Trend zur grenzüber¬schreitenden Gemeinsamkeit aller Kriegsdienstverweigerer, die die nationalen Besonderheiten nivelliert. Die Kriegsdienstverweigerung wird zunehmend zu einer massiven Herausforderung für die (noch) herrschende Politik in Ost und West. Dies straft die immer wie¬der laut werdende Behauptung einer scheinbar unpolitischen Kriegsdienstverweigerung Lügen. Außerhalb der EG sind in Polen und Ungarn gesetzliche Bestimmungen ge¬schaffen worden, die die Wahrnehmung.des Rechts auf Kriegsdienstverweigerung nicht länger de Verfolgung und Diskriminierung durch staatlich Organe aussetzen. Andere sozialistische Staaten werden in Zukunft, wenn die Zeichen nicht trügen, folgen.
In der EG wird gegenwärtig unter der Federführung des sozialistischen Europa-Abgeordneten Rüdiger Hitzigrath neuerlich ein Versuch unternommen, wenigstens einen rechtlicher Mindeststandard für die Kriegsdienstverweigerer in den EG-Mitgliedsstaaten anzustreben. Voraussichtlich, wir, das Europäische Parlament noch in dieser Legislaturperiode einen "Be¬richt" zur Kriegsdienstverweigerung verabschieden (den Petitionsauschuß hat der Bericht bereits passiert), der den Mitgliedsstaaten die Einhaltung bzw. Einführung bestimmter Essentials der KDV-Gesetzgebung empfiehlt. Gegenüber der Entschließung zur. Kriegsdienstverweigerung des Europäischen Parlaments vom 7.2.1983 werden deutliche Abstriche gemacht - vor allem die Frage der Dauer des Zivildienstes (in Frankreich z.B. ist der Zivildienst gegenüber dem Militär-dienst immer noch doppelt (!) so lang) - wird weitgehend offengelassen. Die Verfasser des Berichts erhoffen sich dadurch bei den anderen drängenden Forderungen (Abschaffung der Gewissensprüfungen, Recht auf Verweigerung vor, während und nach dem Militärdienst) endlich eine größere Resonanz aus den Mitgliedsstaaten. Wohl aus ähnlichen Überlegungen heraus verfolgt vor allem die sozialistische Fraktion des EG-Parlaments verstärkt Initiativen, die vorrangig Probleme aus dem Bereich des Zivildienstes (Stichwort: "Zivildienst als grenzübergreifender Friedensdienst") betreffen. Tatsache ist, daß die Regierungen der Mitgliedsstaaten und die EG-Kommission bislang auf der Basis der Entschließung von 1983 nichts unternommen haben. Ob die Hoffnung berechtigt ist, aufgrund der abgeschwächten neuen Entschließung wenigstens Mitgliedsstaaten, die bisher gar keine oder eine höchst ungenügende KDV-Ge¬setzgebung kennen (Beispiel: Griechenland), an das (unzureichende) Niveau der Gesetzgebung der übrigen EG-Staaten heranzuführen, muß die Zukunft zeigen.
Eines ist klar: Auf absehbare Zeit wird die Auseinandersetzung um die KDV-Gesetzgebung im nationalen Maßstab ausgetragen werden. Grenzüber¬schreitend dagegen wird die Bewegung der Kriegsdienstverweigerer wachsen, und es wird darauf ankommen, sich wechselseitig solidarisch bei den ge¬meinsamen Anliegen zu unterstützen. Dazu gehört die Forderung nach Beseitigung aller Ungerechtigkeiten, denen Verweigerer ausgesetzt sind: also gerade auch die längere Dienst¬zeit. Die Euro-Tour kann in diesem Prozeß nur ein erster Schritt sein.

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Klaus Naderer ist Mitarbeiter des Bonner Büros der DFG-VK