Kritischer Rundumschlag zum Thema Bundeswehr

von Kim Esche

"Am Hindukusch und anderswo" heißt eine Neuerscheinung zu Geschichte, Gegenwart und Zukunft der deutschen Streitkräfte, die im 50. Jahr nach Bundeswehrgründung 15 Beiträge zu Aspekten der Militärpolitik versammelt.

Der Band gliedert sich in drei Kapitel:
Im Schwerpunkt "Selbstkonzepte" listet Jakob Knab gewohnt akribisch auf, wo die Bundeswehr-Traditionspflege sich nicht nur heimlich, sondern unverschämt offen auf die Wehrmacht bezieht, speziell in Benennungen von Kasernen und Straßen. Die politische Interpretation dazu liefert der Aufsatz "Leugnen, Verschweigen, Umdeuten" einer Göttinger Gruppe, die fordert, sich nicht "auf einzelne besonders skandalöse Elemente der Traditionspflege (zu) beschränken", sondern das "Gesamtensemble in den Blick" zu nehmen. Kritik, so die Verfasser, endet nicht mit erfolgter Kasernenumbenennung, sondern muss solche Reaktionen der Bundeswehr als Modernisierungsstrategie erkennen. Andere Beiträge analysieren Militär, Staat und Nation sowie die Innere Führung.

Das umfangreichste Kapitel "Modernisierungskonzepte" beginnt mit einem polemischen, aber gut recherchierten Beitrag von Stefan Gose (einst ami). Er zeigt, welche Summen ins Militär fließen, ohne dem vermeintlich stagnierenden "Einzelplan 14" je offiziell einverleibt worden zu sein. Sein Satz "Intransparenz hat Methode" eignet sich auch als Motto des Beitrags von Christopher Steinmetz (BITS), der im einzelnen zeigt, wie Bundeswehr und Rüstungsindustrie "Hand in Hand ins Schlaraffenland" wandern. Ähnliche Liebe zum Detail findet sich in Detlev Beutners Vergleich der deutschen Militärjustiz - die es in der BRD offiziell nicht mehr gibt - mit der Wehrdisziplinarordnung der Bundeswehr. Beutner, selbst Totalverweigerer, ergänzt den menschenrechtlichen Aspekt, den der historisch interessante, politisch eher milde Aufsatz von Ulrich Finckh über die Geschichte der KDV vermissen lässt. Beutner weist u.a. nach, wie das BMVg gezielt dafür sorgt, dass es gegenüber Totalverweigerern regelmäßig zu Doppelbestrafungen kommt. Das Recht auf KDV aus Gewissensgründen gilt eben nur eingeschränkt. Martin Singe schreibt kenntnisreich und ebenfalls juristisch akzentuiert über die Verfolgung von Friedensbewegten in der Geschichte der BRD.

Der Schwerpunkt "Einsatzkonzepte" schaut in die Zukunft, zunächst mit einem eher waffentechnischen Beitrag von Lühr Henken und einer Interpretation des EU-Verfassungsvertrags von Gerald Oberansmayr. Letztere bleibt trotz des vorläufigen Nichtzustandekommens des Vertrags von ihrer politischen Stoßrichtung her gültig, zeigt aber einen grundsätzlichen Mangel der Kritik an der EU-Außenpolitik: Fixiert auf den Verfassungsvertrag laufen sich Argumente tot, während die Militarisierung der EU auch ohne Vertrag läuft. Überraschend flach ist der Beitrag von Andreas Zumach zu Deutschlands Bemühen um einen Platz im UN-Sicherheitsrat; von dem langjährigen taz-Korrespondenten in Genf hätte man gern mehr über politische Hintergründe erfahren. Was man hier an Genauigkeit vermisst, macht jedoch der Abschlussbeitrag des Bandes bei weitem wett: Philipp Boos, Jurist und Geschäftsführer der IALANA, beschreibt darin korrekt, dennoch für juristische Laien verständlich, dass die Umwandlung der Bundeswehr in eine Interventionsarmee auf dem Weg des Verfassungsbruchs geschieht.

Fazit: Der Band berührt Fragen, die bei der stillen und lauten Befeierung der nun 50jährigen Bundeswehr zu kurz kommen und allesamt substanziell sind. Anders als in der ebenfalls lesenswerten "kritischen Geschichte" der Bundeswehr von Detlef Bald wird grundsätzliche Kritik nicht vermieden. Beinahe alle Beiträge des Bandes sind gut zu lesen und politisch klar. Dabei sind es die vermeintlich trockenen juristischen und ökonomischen Themen, die besonders fesseln. Etwas Vergleichbares ist derzeit auf dem Buchmarkt nicht zu haben.

Am Hindukusch und anderswo. Die Bundeswehr - Von der Wiederbewaffnung in den Krieg

Hg.: Arbeitsstelle Frieden und Abrüstung, Red.: Ulrike Gramann, Ralf Siemens, Michael Behrendt, PapyRossa Verlag Köln 2005, 207 Seiten, 13,90

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