zu "Wir verstehen Euch nicht", Donika Gervalla, LDK, FF 3/99, S. 23

Leserin-Brief

von Ute Hinkeldein
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In Friedenszeiten bin ich Sozialarbeiterin, arbeite mit linken Jugendlichen und "Skins". Deshalb stehe ich in einer Konfrontation, bin sozusagen "Feindin" andersdenkender, vor allem rechter Jugendlicher. Wenn wir Aktionen haben, wird "die alte fette Sau" ganz unverhohlen bedroht, fliegen Ziegelsteine ins Bürofenster. Das Motto heißt: "Auge um Auge, Zahn um Zahn". Kann ein solcher Hass und Gewaltweg ein Weg ins Europa des 21. Jahrhunderts sein? Etwa auf Völkerebene?

Niemand wird den Kosova-Albanern den Leidensweg abstreiten. Aber kann den Kosovaren Gerechtigkeit und Schutz widerfahren, wenn serbischen Müttern und Kindern das Haus über dem Dach weggebombt wird, wenn Babys in Belgrad den Bombensplittertod finden?

Kann es Gerechtigkeit geben, wenn geflüchtete Albaner, die in Deutschland Unterschlupf fanden, mit Hilfe von Druck, Erpressung und zum Teil kriminellen Handlangern ihrem Volk in Albanien helfen wollen? Ich kenne ganz konkret einen Fall in Erfurt, eine junge Frau, die um tausende von Mark erpresst wird, der man die Wohnung verwüstet und mit Tod droht, wenn sie nicht Gelder an einen Albaner zahlt.

Zu unserer Mahnwache kamen Albaner, die haben einer Kollegin von mir das Transparent weggeworfen. Sie...???? hingeschmissen und dann gerufen "Tod den Serben" mit der berühmten Handbewegung am Hals.

Ich denke, Gerechtigkeit, Schutz und Hilfe kann man so nicht herbeizwingen. Jeder hat großen Respekt vor dem Kosovavolk. Massenmord und Vergewaltigung traumatisiert ein Volk. Kann dem mit Bomben ernsthaft humanitär etwas entgegengesetzt werden?
 

Bomben sind, zumal Splitterbomben, geächtete Waffen, ihr Einsatz sind ebenso Kriegsverbrechen, wie die am Kosovavolk begangenen. Kann die Gewaltspirale im Kosova beendet werden durch die "Lizenz zum Töten" von Serbien durch die NATO?

Sprache ist verräterisch, wer heute von Militäreinsätzen spricht, redet von Friedenstruppen, Friedensbomben, Friedenstellerminen usw. Wer von Menschen der Friedensbewegung spricht, redet von aggressiven Friedensschützern, militanten Pazifisten, vom faulen Frieden und gar von Friedhofsfrieden.

Im Grunde ist die Sache doch so, dass, wer weiter auf Hass, Gewalt und Eskalation setzt, den Frieden diffamieren muss. Die Guten sind die, die den bösen Nachbarn töten, und die Bösen sind die, die auf die ungleich schwierigere und auch sehr viel schwieriger zu machende Friedenslösung setzen. Brecht sagte einmal: "Der Frieden ist das Einfache, das so schwer zu machen ist."

Und was den "Anti-Nato-Reflex" betrifft, denke ich, Gesetze werden von Menschen gemacht, auch Bündnisse werden von ihnen geschlossen. Sie sind nicht statisch, sondern bedürfen der aktuellen Überarbeitung, auch die des NATO-Bündnisses. Aus meiner Sicht hat dieser Bombenkrieg, der völkerrechtswidrig losgeschlagen wurde, die internationalen Ordnungsgremien, wie UNO, OSZE usw., kalt entmachtet und auf internationaler Ebene das Faustrecht hergestellt.

Innerhalb von amnesty international, dem ich angehöre, beschäftigen wir uns mit der Frage: "Ist die USA ein Hort der Menschenrechte?" Jeder, der sich mit den innenpolitischen Problemen der USA auseinandersetzt, wird spüren, dass die Staaten zunehmend ein Ort des Faustrechtes werden. Das ist mit Verlaub keine demokratische Lebensform. Auch in den anderen NATO-Staaten muss die Demokratie wieder gestärkt werden. Es gab und gibt Aspekte, die ständig auf eine Aushöhlung demokratischer Lebensformen abzielen, dazu gehören auf jeden Fall "wilde Kriege". Wenn es dahin kommt, dass künftig jedes Land losschlägt, um Rechte einzuklagen, versinkt Europa im Chaos. Und natürlich gibt es in dieser Welt viele Konfliktherde, ich denke hier an Kurden, Basken, Pakistani, Ethnien in Berg Karabach, Ethnien und Völker in Afrika, indigene Völker in Amerika, usw.

Und da ist für mich auch die Frage, warum die USA ausschließlich nur dem Kosovavolk mit Bomben helfen wollte.

Seit der "Befreiung" vom Grab Jesu Christi, in den mittelalterlichen Kreuzzügen, werden Kriege ausschließlich um Macht, Geld und Einflusssphären geführt, deshalb glaube ich persönlich nicht die "Humanitätsbegründung" des Bombenkrieges und auch der Verlauf der Ereignisse hat das längst wiederlegt, schließlich wurden auch Kosova-Albaner mit Kollateralschäden getroffen. Geschichte nur auf bestimmte Fakten abzuklopfen ist einseitig und vor Schwarz-Weißmalerei kann ich nur warnen.
 

In der Frankfurter Rundschau haben sich seitenlang jüdische Holocaustopfer zu Wort gemeldet, die dringend darum gebeten haben, die Einmaligkeit des Mordens in Ausschwitz nicht zu verwässern und künftighin alle Morde mit Ausschwitz in Zusammenhang zu bringen. Damit würde das Leiden des jüdischen Volkes entwertet.

Die Leichen, Morde, Vergewaltigungen an den Kosovaalbanern sind schwerwiegend und müssen völkerrechtlich verurteilt werden, wie auch Herr Milosevic auf die Anklagebank gehört, aber sie sollten nicht mit dem 6 Millionen-Völkermord der Juden in Verbindung gebracht werden. Bei aller Kritik an Milosevic, auch er ist kein Hitler. Mit der Schuld des Faschismus muss das deutsche Volk leben und sich mit seiner Vergangenheit auseinandersetzen.

Dazu gehört auch der Einsatz der deutschen Wehrmacht 1941 in Serbien. Belgrad wurde 1941 von der deutschen Luftwaffe bombardiert, sowie die Orte Kragujevac und Kraljevo. In den letzten beiden Orten wurden im Oktober 1941 4055 Menschen, darunter ganze Schulklassen, ermordet. Es war eine "Sühnemaßnahme", wonach für jeden gefallenen Wehrmachtssoldaten 100 Serben und für jeden Verwundeten 50 Serben sterben mussten. Insgesamt fielen während des 2. Weltkrieges 1,7 Millionen der damals 16 Millionen Jugoslawen der deutschen Wehrmacht zum Opfer. Glauben Sie, dass Geschichte, insbesondere deutsche Geschichte, damit aufgearbeitet werden kann, dass deutsche Bundeswehr nun wieder Bombeneinsätze über Serbien fliegt?

Wurde denn einer einzigen vertriebenen Kosovafrau dadurch geholfen, dass in Belgrad eine Mutter von tödlichen Bombensplittern getroffen wurde?

Um es gleich zu sagen, ich bin nicht links, ich bin ev. Christin, aber ich bin auch der Meinung, dass wir dringend die Spirale von Hass und Gewalt durchbrechen müssen. Nur Gespräche, Verständnis für die Haltung des Nachbarn, Zu-Hören-Können und Vertragsvereinbarungen bringen uns im Konfliktfall weiter. Nun bin ich nicht so naiv zu glauben, dass dies in diesem Konfliktfall sofort greift. Die Hassgräben sind so tief, dass Vorarbeit durch die UNO, dass durch die Völkergemeinschaft Hilfe und Unterstützung geleistet werden müssen. Aber den Frieden wollen, müssen die Konfliktbeteiligten, die Kosovaren und die Serben, und davon schien mir der Brief von Donika Gervalla noch meilenweit entfernt.

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Ute Hinkeldein ist Sprecherin der Thüringer Friedenskoordination.