Lösungsvorschläge aus der Sicht der Friedensforschung

von Jochen Hippler

Mein Eindruck ist, daß im Moment die Möglichkeit, Frieden zu schaffen, in der Konfliktregion, schwieriger ist, als es vielleicht vor zehn oder vor fünf Jahren gewesen ist, und daß das bestimmte Ursachen hat. Zuerst kann man  natürlich feststellen, daß es zwei denkbare Möglichkeiten gäbe, aus dem gegenwärtigen Zustand herauszukommen, und tatsächlich so etwas wie ein geändertes Zusammenleben, ein friedliches Zusammenleben der verschiedenen ethnischen und nationalen Gruppen der Region, also Kurden und der jeweiligen "Gastnation", zustande zu kriegen.

Die erste Lösung ist natürlich die, den kurdischen Widerstand zu brechen und die Kurden zwangszuassimilieren. Das ist das alte Konzept, was von den drei Regierungen oder mehr als drei Regierungen der Region verfolgt worden ist, was auch von der iranischen und irakischen Regierung mit gewissen Modifikationen, die Politik war ja nicht ganz identisch, verfolgt worden ist. Mein Eindruck ist zumindest für die Türkei, daß dieses Konzept gescheitert ist und nicht funktioniert, daß es vielleicht vor zehn oder  fünf Jahren noch so eine Möglichkeit gegeben hätte, eine Zwangspazifizierung, eine Assimilierungspolitik zu betreiben, aber ich sehe, erstmal auf so einer praktischen Ebene, die Möglichkeit ist heute relativ gering, Das ist eine Politik, die immer noch im Kern die Politik der türkischen Regierung zu sein scheint und von allen NATO-Mitgliedsländern unterstützt wird, einschließlich der Bundesregierung.

Die zweite Möglichkeit scheint mir darin zu bestehen, das kurdische Selbstbestimmungsrecht zu akzeptieren, was ein bißchen komplizierter ist als es jetzt klingt, denn das Recht auf Selbstbestimmung bedeutet ja nicht automatisch, daß das Recht auf eine Art wahrgenommen wird, unbedingt einen einzelnen Staat zu gründen, oder beispielsweise drei Staaten zu gründen, nämlich einen kurdisch-irakischen, einen kurdisch-iranischen und einen kurdisch-türkischen Staat, wo dann nicht klar wäre, was für Beziehungen diese zueinander unterhalten würden. Natürlich würde das Recht auf Selbstbestimmung auch bedeuten, daß sich die Kurden oder die Kurden in der Türkei oder in allen drei Ländern für eine Form des Zusammenlebens mit den Nachbarnationalitäten entscheiden würden, was eben nicht automatisch staatliche Unabhängigkeit bedeutet. Die konzeptionelle Alternative ist tatsächlich die Respektierung der Unabhängigkeit des kurdischen Volkes in der Hoffnung, daß die kurdischen Führungen dann klug genug wären, nicht zu hoch zu pokern und diese Form von nationaler Selbstbestimmung nicht durch ein Überreizen dieses Rechtes gleich wieder aufs Spiel zu setzen und eine neue Phase kriegerischer Auseinandersetzung zwischen Kurden und den jeweiligen anderen Nationen und zwischen den drei oder vier Ländern der Region wieder aufs Spiel zu setzen.

Eine der Schwierigkeiten des zweiten Weges scheint mir darin zu bestehen, daß wir nicht über die Kurden als ethnische, als nationale Kategorie reden, als wären sie an sich eine handlungsfähige Einheit, sondern es gibt politisch organisierte Kräfte, etwa die türkische Regierung, etwa das türkische Militär, etwa bestimmte Parteien, und auch in Kurdistan gibt es ja nicht den Kurden als solchen oder die Kurden als solche, sondern politisch organisierte, kurdische Kräfte, oder eben politisch nicht organisierte unterschwellige Strömungen. Eins der Probleme, ist natürlich die Tatsache, daß sich im Verlauf des Konfliktes in den letzten die Alternative immer weiter künstlich zugespitzt hat - zu einem Konflikt zwischen der türkischen Regierung und dem türkischen Militär einerseits und der PKK andererseits. Das Interesse, den Konflikt auf diese beiden Pole zuzuspitzen, teilt sich natürlich wieder die türkische Regierung mit der PKK, die türkische Regierung kann bequemerweise argumentieren, daß die PKK nicht akzeptabel sei, daß sie eine terroristische Politik betreiben würde und darum der kurdische Unabhängigkeitskampf natürlich nicht erträglich und nicht akzeptabel sei und man deshalb gegen die Kurden vorgehen müsse, während umgekehrt natürlich die PKK argumentiert, daß die Repression der türkischen Regierung und des türkischen Militärs auch sehr blutige, auch sehr gewaltsame, auch terroristische, das nennt man dann natürlich nicht so, Maßnahmen rechtfertigen würde, und daß die PKK die einzige wirkliche Alternative zur türkischen Repression sei. Und diese Alternative zwischen türkischer Repression und PKK ist natürlich erstens eine Scheinalternative, es gibt natürlich sowohl konzeptionell als auch praktisch noch andere politische Kräfte sowohl in der Türkei als auch in Kurdistan, aber diese Zuspitzung des Konfliktes auf die beiden Konfliktparteien, auf die beiden sagen wir mal brutalsten Konfliktparteien auf beiden Seiten, diese Zuspitzung macht natürlich die Frage der Unabhängigkeit bzw. des kurdischen Selbstbestimmungsrechtes problematischer als es sonst wäre. Die Voraussetzung für eine politische Lösung würde ich darin sehen, diese Konfliktalternative aufzuweichen und daran zu arbeiten, daß politische Kräfte sowohl innerhalb der Türkei unterstützt werden, die nicht bereit sind, diese Alternative so zuzuspitzen, die nicht alles auf die Karte militärische Repression setzen, die Kräfte gibt es ja, daß es gleichzeitig möglich sein muß, mit dem kurdischen Recht auf Selbstbestimmung zu sympathisieren, sich solidarisch zu verhalten, ohne automatisch sich von der PKK vereinnahmen zu lassen.

Das nächste ist dann die Frage, wie es im internationalen Kontext aussieht. Die NATO Staaten einschließlich der Bundesrepublik, aber auch der USA, werden natürlich das Selbstbestimmungsrecht der Kurden nicht akzeptieren, weil eben die Alternative der kurdischen Selbstbestimmung wahrgenommen wird als ein radikaler .Staat, der gegen westliche Interessen gerichtet sei. Ich glaube daß zur Zeit durchaus das Interesse der westlichen Außenpolitik besteht, Kurden zu instrumentalisieren, etwa um Druck gegen Saddam Hussein und Druck gegen die irakische Regierung auszuüben, da hat man da auch sehr kurdenfreundliche Äußerungen gehört von amerikanischen, von deutschen, auch britischen und französischen Politikern, während wenn es darum geht, die gleichen Rechte der Kurden in einem NATO-Land zu unterstützen, plötzlich betretenes Schweigen herrscht.

Wenn man den Krieg in Kurdistan definiert nicht als einen politischen Konflikt zwischen zwei Nationen, zwischen zwei Ethnien, zwischen einem Staat und einer nicht gleichberechtigten Ethnie, sondern als einen terroristischen Aufstand irgendeiner Gruppe und diese Definition hat ja jetzt das Bundesinnenministerium praktisch auch amtlich übernommen, dann sind natürlich Waffenlieferungen und der Einsatz deutscher Waffen gegen die PKK legal. Wenn die PKK keine Befreiungsbewegung einer nationalen Minderheit ist, sondern eine terroristische Truppe, dann ist auch im Rahmen der deutsch-türkischen Absprachen der Einsatz von Waffen völlig legal. Man muß die Wahrnehmung dieses Konflikts eben tatsächlich trennen, daß es auch innerhalb eines nationalen Befreiungskampfes terroristische Aktionen geben kann, wie es offensichtlich der Fall ist, von beiden Seiten, aber daß dieser unerfreuliche Tatbestand nicht bedeutet, daß es deswegen keine nationalen Befreiungskämpfe geben würde.

(…)

Ich würde jetzt nur den Schluß daraus ziehen, und das ist dann eine friedenspolitische Förderung, die Türkei aus der NATO zu entfernen, wenn sie nicht bestimmte Grundkriterien der Geltung der Menschenrechte akzeptiert, wenn sie nicht bestimmte Grundforderungen des Umgangs mit nationalen Minderheiten akzeptiert. Ich würde vorschlagen, zumindest auf der rhetorischen Ebene, das etwas hohle Gerede über die Wertgemeinschaft NATO mal ernst zu nehmen und die NATO am geltenden Völkerrecht, an geltenden Menschenrechten zu messen und dann die Forderung zu formulieren, ein Staat, der solche Verbrechen begeht wie das türkische Militär sie repräsentiert, kann dann halt nicht Mitglied der NATO sein, und dann hat man auch einen sehr schönen Ansatzpunkt, um konstruktive Gespräche mit den Herrschaften in Ankara zu führen.

Das heißt zu versuchen, massiven Einfluß auf die Regierung in der Türkei zu nehmen und Druck auszuüben, daß man die Menschen- und Bürgerrechte von Türken und Kurden gleichmäßig in der Türkei erzwingt. Das kann man schlecht als die Förderung von Separatismus verurteilen in der Türkei, weil es ja auch die Menschenrechte der türkischen Volksgruppe unterstützen würde, insofern, das fände ich eine Sache, die wieder hilfreich wäre, um Atemluft, um Manövrierspielraum, auch um den Druck aus dem Konflikt in der Südosttürkei herauszunehmen, wenn man tatsächlich das Recht von Versammlungsfreiheit, von Redefreiheit, das Recht, nicht gefoltert zu werden, das Recht, Dörfer nicht abgebrannt zu kriegen, das Recht, Gewerkschaften, Parteien zu organisieren, seine eigene Sprache und Kultur zu sprechen, wenn man dieses Recht gleichmäßig auf Türken und Kurden in der Türkei anwenden würde, hätte man natürlich tatsächlich viele Elemente der Konfliktverschärfung der letzten Jahre gemildert, man hätte wahrscheinlich eine politische Klimaveränderung zustande gebracht, die Gespräche zu einer umfassenderen politischen Lösung etwa der Frage von Selbstbestimmungsrecht von Türken und Kurden erleichtert, und man hätte es auf eine Art getan, die dramatisch unradikal ist. Braver und gemäßigter kann man eigentlich nicht argumentieren, und da würde ich von Herrn Kinkel und von anderen Mitgliedern der Bundesregierung erwarten, daß sie tatsächlich auch mal massiver vorstellig werden und daß sie tatsächlich diesen Punkt, den ich nicht für kompromißfähig halten würde, und zwar nicht nur im Fall der Türkei, sondern auch in anderen Ländern, einschließlich europäischer Länder, diesen Punkt würde ich tatsächlich mal mit gewisser Massivität vortragen wollen, um dann zu sehen, ob dadurch eine Dynamik in Gang kommt, die tatsächlich Spielräume eröffnet für auch politische Lösungen, die weitergehend sind. Wenn die Türkei meint, Kurden sind auch türkische Staatsbürger, dann soll man sie auch mit den gleichen Rechten ausstatten, und dann sollte man türkischen und kurdischen Staatsbürgern eben tatsächlich die Menschenrechte nicht verweigern, die man ihnen tatsächlich verweigert. Das scheint mir ein relativ harmloser Vorschlag zu sein, nur wenn man ihn machen wurde, wäre er natürlich hochgradig subversiv, und das ist ja das Attraktive an diesem Vorschlag. Danke schön.

(Stark gekürzte Fassung der Tonband-Mitschrift des Redebeitrages von Jochen Hippler auf dem Kurdistan-Hearing am 7.12.93 in Bonn)

Ausgabe

Rubrik

Schwerpunkt
Jochen Hippler, Institut für Entwicklung und Frieden, Universität Duisburg-Essen. E-Mail: kontakt (at) forumzfd (Punkt) de Website: www.friedenbrauchtfachleute.de