Feministische Außenpolitik und Iran

Möglichkeiten und Grenzen am Beispiel Iran

von Wencke Dreiss
Schwerpunkt
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Am 16. September 2022 beginnen lautstarke Proteste im Iran. Grund dafür ist der Tod der 22-jährigen Kurdin Jina Mahsa Amini. Aufgrund des nicht korrekten Tragens ihres Hijabs wird sie von der iranischen „Sittenpolizei“, die die vorgeschriebene Kleiderordnung im Iran überwacht, festgenommen. Nach der Festnahme am 13. September stirbt sie drei Tage später in Polizeigewahrsam.

Einen natürlichen Tod, wie es das Mullah-Regime darstellen will, bestreiten die Menschen im Iran, denn sie wissen von den Brutalitäten und der menschenverachtenden Unterdrückung des Regimes. Ab diesem Zeitpunkt gehen die Menschen auf die Straßen und kämpfen mit dem kurdischen Spruch „Jin, Jiyan, Azadî“, auf Farsi „Zan, Zendegi, Azadi“ - für „Frau, Leben, Freiheit“. Die angestaute Wut, die sich jahrzehntelang in der Zivilgesellschaft des Iran angestaut hat, bricht sich Bahn.

Geschichtlicher Hintergrund
Die Lage im Iran bezüglich der Unterwanderung von Menschenrechten war nicht immer so prekär, hat aber eine längere Geschichte. Das Jahr 1979 markiert die Revolution gegen den immer autoritärer werdenden Monarchen Schah Mohammad Reza Pahlevi. Diese gelang durch regelmäßige Massendemonstrationen über verschiedene Bevölkerungsgruppen hinweg und einem Aufbegehren gegen die Unterdrückung, auch wenn diese Proteste immer wieder gewaltsam niedergeschlagen wurden. Nachdem der Schah vertrieben werden konnte, kehrte Ruhollah Khomeini aus dem Exil in den Iran zurück und gründete die Islamische Republik Iran. Niemand dachte, dass es nach dem Schah-Regime noch schlimmer werden würde. Jedoch erwachten die Menschen in einer anderen Welt. Die Scharia war nun oberstes Gesetz, sodass Frauen von einem auf den anderen Tag weniger Rechte hatten und ihrem Mann unterworfen waren. Auch die Verschleierung der Frau gehörte von da an zum alltäglichen Bild. Die Islamische Republik zeichnete sich als immer brutaler werdendes Regime ab, welches Menschen bis heute unterdrückt und Gewalt gegen Regimekritiker*innen anwendet.

Feministischer Anspruch der Proteste
Die Proteste sind auf unterschiedliche Weise von einem feministischen Anspruch geprägt. Zunächst ist dAuslöser der Proteste der Tod einer jungen Frau. Die Protestbewegung wird angetrieben von Frauen und marginalisierten Gruppen, die ganz besonders unter dem repressiven System leiden. Außerdem zeichnet sich ein neues Ausmaß der Proteste ab, denn sie ziehen sich durch alle Bevölkerungsschichten, alle Ethnien, Altersgruppen und Geschlechter. Die Solidarität im Land ist riesig und bekommt auch global viel Zuspruch, sodass sogar von einer feministischen Revolution berichtet wird. Die Auflehnung gegen den totalitären Machtapparat ist enorm und der Wunsch nach einem demokratischen Iran riesig. Es sind Feminist*innen und Aktivist*innen, wie Sepideh Qolian und Narges Mohammadi, die an der Spitze der Proteste stehen und für Sicherheit und Menschenrechte eintreten. Sie wissen, welche Rechte ihnen genommen werden und setzen sogar ihr Leben aufs Spiel, um Freiheit zu erlangen. Es ist das Wissen der Menschen, welche fundamentalen Rechte ihnen zustehen, das diese Bewegung antreibt. So schreibt auch die iranische Journalistin Gilda Sahebi: „Aber die einzige Naivität liegt darin zu glauben, dass Menschen sich an die Verletzung ihrer Rechte gewöhnen würden.“

In den Protesten spiegelt sich auch der intersektionale Anspruch wider. Jina Mahsa Amini war sunnitische Kurdin und gehörte somit zu den meist verfolgten und diskriminierten Bevölkerungsgruppen im Iran. Kurd*innen gehören überwiegend dem sunnitischen Zweig des Islam an und erfahren aufgrund ihrer Minderheit viel Diskriminierung im Iran. Die vorgegebene Staatsreligion im Iran ist nämlich der schiitische Glaube. Die Unterdrückung aufgrund von Geschlecht und Religionszugehörigkeit macht die intersektionale und mehrfache Diskriminierung deutlich.

Iran-Politik
Am Beispiel des Iran zeigt sich, dass die bisherige Iran-Politik immer nur Bezug auf das Nuklearabkommen nahm. Außenpolitische Verhandlungen stützten sich dabei auf einen militärischen Sicherheitsbegriff, der die Menschenrechtsverletzungen im Land immer ausklammerte. Ziel war es, den Iran als Nuklearmacht einzudämmen, sodass die staatliche Sicherheit geschützt wird. Es ist jedoch längst überfällig, die Verträge mit dem herrschenden diktatorischen System im Iran, die sowieso nicht eingehalten wurden, zu hinterfragen und nicht weiterzuverfolgen. Feministische Außenpolitik sollte nicht die Machthaber*innen unterstützen, welche den Menschen Leid zufügen, sondern jene unterstützen, die für Menschenrechte und Freiheit kämpfen. Den Menschen im Iran muss eine Stimme gegeben werden, sodass die Bedürfnisse der einzelnen Betroffenen sichtbar gemacht werden können. In den Blick genommen werden sollten dazu vor allem langfristige Analysen, die geschlechtsspezifische Parameter beinhalten. Zwar steht das transformative Potential einer Feministischen Außenpolitik außer Frage, jedoch macht die Realität die Herausforderungen in der Umsetzung deutlich.

Das Problem liegt darin, dass Feministische Außenpolitik häufig von Gesellschaften ausgerufen wird, die in ihrem Inneren patriarchale Strukturen aufweisen. Hierzu zählt beispielsweise auch Deutschland. Eine Feministische Außenpolitik nach außen zu verkörpern, aber im eigenen Inneren strukturelle Machtungleichheiten zu reproduzieren, wird dem transformativen Anspruch der Feministischen Außenpolitik nicht gerecht und macht sie wenig glaubhaft. Es erklärt auch, wieso viele Iraner*innen enttäuscht sind und das zögerliche und zu späte Eingreifen von Seiten anderer Staaten kritisieren. Die Hoffnung und Erwartungen, vor allem an die neu ausgerufene Feministische Außenpolitik Deutschlands, waren sehr groß und zeigen nun in der Umsetzung ihre Grenzen auf.

Dennoch sollten gerade die Proteste im Iran als Gelegenheit genutzt werden, um das Konzept der Feministischen Außenpolitik in der Praxis auf den Prüfstand zu stellen und sie in ihrem Potential zu untersuchen. Staaten, die das Konzept noch sehr neu ausgerufenen haben, können anhand der Proteste das Konzept erproben, es erweitern und ausarbeiten. In Zukunft wird sich dann zeigen, welche Richtung der Iran einschlägt und welchen Teil Feministische Außenpolitik dazu beiträgt.

Zum Weiterlesen
Sahebi, Gilda (2023): „Unser Schwert ist Liebe“. Die feministische Revolte im Iran. S. Fischer Verlag
https://www.wilpf.de/feministische-aussenpolitik-ein-ambivalentes-projekt/

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Sie studiert Sozialwissenschaften mit dem Schwerpunkt Integration und Migration an der katholischen Hochschule in Mainz. In ihrer Bachelorarbeit hat sie sich mit dem Konzept Feministischer Außenpolitik auseinandergesetzt. Von April bis Juni 2023 absolvierte sie ein Praktikum beim Netzwerk Friedenskooperative.