Helsinki BürgerInnenversammlung

Nationalismus und Rassismus - und keine zivilen Lösungen?

von Christine Schweitzer
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Kein Interesse an einem Europa von unten? Diese Frage mußte sich stellen, wer sich die westeuropäischen Delegationen zur Helsinki-BürgerInnenversammlung (Helsinki Citizens' Assembly - HCA) ansah, deren zweite Generalversammlung vom 26. bis 29. März stattfand. Nicht nur kamen über sechzig Prozent der immerhin siebenhundert TeilnehmerInnen aus Osteuropa, sondern die aus einigen Ländern, so auch aus der Bundesrepublik angereisten Gruppen schienen eher zufällig zusammengewürfelt als "repräsentativ" für die sog. "zivile Gesellschaft" ihrer Länder zu sein. VertreterInnen aus der Friedens-und Ökologiebewegung glänzten in der deutschen Delegation mit wenigen Ausnahmen bestenfalls durch ihre Abwesenheit.

Das Motto der Versammlung lautete: "Neue Mauern in Europa. Nationalismus und Rassismus - zivile Lösungen". Um die zusammenfassende Bewertung vorwegzunehmen: Die Versammlung hielt nicht, was der Titel versprochen hatte. Beim Thema Nationalismus waren die Positionen schon vorher zu gut bekannt: Den Anti-NationalistInnen, die sich in ihrer wortgewaltigen Mehrheit seit mehr als einem Jahr darauf beschränken, verständnislos die Köpfe über längst totgeglaubte nationalistische Strömungen angesichts der "europäischen" Einigung zu schütteln, standen als andere Seite diejenigen gegenüber, die aus genau solchen Bewegungen kommen. So wurde zum Beispiel die Wahl von Bratislawa als Konferenzort der zweiten Generalversammlung der Helsinki-BürgerInnenversammlung schon vor dem Treffen zum Politikum. Bratislawa ist die Hauptstadt der Slowakei und wurde gewählt, weil die erste Versammlung in Prag, also im tschechischen Teil der CSFR stattgefunden hatte und man auf beide Sektionen dieses Staates Rücksicht nehmen muß. Auch verhinderte die slowakische Sektion unter Unterstützung vieler VertreterInnen aus neuen Staaten und Minderheitenregionen im Vorfeld, daß der Titel der Konferenz "Neue Mauern in Europa - Nationalismus und Rassismus" hieß, weil er Nationalismus mit Rassismus gleichsetze. (Was von denen, die den Vorschlag gemacht hatten, wohl auch beabsichtigt war.) Auf der Konferenz selber ging es dann sehr gemäßigt zu; "leben und leben lassen" schien die Devise zu heißen und man lauschte den teilweise recht unvereinbaren Stellungnahmen mit großer Geduld. Zum Eklat kam es dann allerdings in der Kommission "Nationalismus", als entgegen einer gerade zuvor getroffenen Vereinbarung nicht jeweils eine Person aus beiden Tendenzen zu zukünftigen Ko-KoordinatorInnen benannt wurde, sondern es der alten Koordinatorin Sonja Licht gelang, zwei "Anti-Nationalisten" auf die Stühle zu hieven.

Mag es der HCA gelungen sein, einen zivilen Umgang mit dem Thema Nationalismus zu finden, so verhielt es sich mit dem zweiten Thema, Rassismus, leider anders. Zum einen spielte es kaum eine Rolle. Die meisten Diskussionen zentrierten sich um andere Themen, Rassismus wurde allein mit ein oder zwei Plenumsbeiträgen und einem spontan organisierten und schlecht besuchten Workshop abgehandelt. Man hörte sich teilweise erschütternde Berichte von Opfern rassistischer Übergriffe, etwa des vietnamesisch-tschechischen Mathematikers Uyen Phan Hun an, ohne zu einer wirklich allgemeinen Thematisierung dieses Problems zu finden. Zu großen Teilen wurde die Diskussion von bestimmten - westeuropäischen - Gruppen bestimmt, die ihre Aktionsmodelle (Großdemonstrationen in erster Linie) als Allheilmittel anempfohlen und kein Gespür für unter-schiedliche gesellschaftliche Gegebenheiten entwickelten.

Die Helsinki-BürgerInnenversammlung arbeitet in sechs Kommissionen: Frieden und Demilitarisierung, Nationalismus und konföderative Strukturen, Menschenrechte, Zivile Gesellschaft, Frauen, Ökologie und Ökonomie. Es stellte sich heraus, daß es keiner Kommission gelungen war, ihre Arbeit zwischen den Generalversammlungen aufrechtzuerhalten. Was es gegeben hatte, waren einzelne Projekte, wie zum Beispiel die Friedenskarawane durch das ehemalige Jugoslawien.

Die Kommission "Frieden und Demilitarisierung" behandelte u.a. das gewaltfreie Eingreifen in kriegsähnliche Situationen, die Situation in Irak-Kuwait-Kurdistan-Türkei und die Frage neuer Atommächte. Solche Workshops stellten wohl den Höhepunkt der dreitägigen Veranstaltung dar. Sie waren der einzige Ort, an dem konstruktive Diskussionen stattfanden und konkrete Vereinbarungen zur Weiterarbeit getroffen werden konnten. Aus der Friedenskommission entstanden u.a. eine Arbeitsgruppe, die ein neues Memorandum zur KSZE entwickeln will und ein Projekt, einen "Pool" von MediatorInnen (VermittlerInnen) für Konflikte auszubilden, die dere HCA im Bedarfsfalle zur Verfügung stehen.

Positiv zu vermerken ist, daß die Unzufriedenheit über die Strukturen der HCA inzwischen so weit verbreitet ist, daß sie auch vom Präsidium bzw. von dessen innerem Kreis, der aus wenigen Perso-nen besteht, die tatsächlich die Politik der HCA steuern, nicht mehr übersehen werden konnte. Es wurde beschlossen, eine Analyse der Strukturen vorzunehmen, die dann in einer Reform münden soll.

Helsinki BürgerInnenversammlung, Panska 7, Praha, CSFR. Deutsche Sektion: c/o Dieter Esche, Mindener Str. 7, 1000 Berlin 33.

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Christine Schweitzer ist Co-Geschäftsführerin beim Bund für Soziale Verteidigung und Redakteurin des Friedensforums.