Die kleinen Atommächte

Natürlich spielen wir weiter mit

von Otfried Nassauer

Auch die kleineren Atommächte lassen nicht erkennen, dass sie ihre Nuklearpotentiale in den kommenden Jahrzehnten stark reduzieren oder gar aufgeben wollen.                    

China besitzt bislang nur ein recht kleines Nuklearpotential mit 200-250 Sprengköpfen, an dessen Modernisierung langsam, aber beharrlich und kontinuierlich gearbeitet wird. Dieses Potential hat traditionell die Funktion einer Minimalabschreckung. Derzeit ersetzt China schrittweise alte Mittel- und Langstreckenraketen mit Flüssigtreibstoffantrieb durch neue mit Feststoffantrieb und baut ein seegestütztes und damit gut geschütztes Nuklearwaffenpotential an Bord von U-Booten auf. Über den Sprengkopfbau Chinas ist nur wenig bekannt. Gerüchte und Vorhersagen, dass China wie andere Nuklearmächte künftig auf einzeln lenkbare Mehrfachsprengköpfe setzen werde, gibt es schon lange, aber bislang sind solche Waffen in China nicht eingeführt worden.

Frankreich verfügt heute noch über knapp 300 atomare Sprengköpfe, mit denen zum einen Langstreckenraketen auf vier U-Booten und zum anderen Marschflugkörper an Bord von Flugzeugen der Typen Rafale F3 und Mirage 2000N bestückt sind. Das französische Nuklearpotential läuft derzeit auf das Ende eines Modernisierungszyklus zu, der bereits in den 1990er Jahren begann. Bis 2018 sollen alle vier U-Boote der Triomphant-Klasse mit neuen Raketen ausgestattet werden. Zwei Boote wurden bereits auf neue Raketen des Typs M51.1. umgerüstet, die anderen beiden sollen eine verbesserte Version, die M51.2 erhalten, die auch neue Atomsprengköpfe vom Typ TNO trägt.

Großbritannien verfügt inzwischen über das wohl kleinste Atomwaffenpotential im Kreis der klassischen Atommächte. Es verfügt über etwa 225 Sprengköpfe, von denen etwa 160 auf vier U-Booten mit seegestützten Trident-D5-Langstreckenraketen stationiert sind, die man von den USA geleast hat. Teils sind diese Raketen mit einem, teils mit mehreren Sprengköpfen ausgestattet. Die U-Boote und auch die Sprengköpfe der Atomwaffen werden in den nächsten 10-20 Jahren das Ende ihrer technischen Lebensdauer erreichen. Deshalb wurde etliche Jahre lang heftig gestritten, ob vier modernere U-Boote entwickelt und gebaut werden sollen. Mittlerweile haben Konzeption und Entwicklung begonnen. Auch eine Entscheidung über den Bau neuer Sprengköpfe soll gefällt werden. Großbritannien will auf seinen Status als Nuklearmacht nicht verzichten. Allerdings hat dieser einen Preis: Ohne die weitere technische Unterstützung der USA geht es kaum. Zudem steht das Königreich derzeit vor einer weiteren Weichenstellung: Sollte Schottland sich bei dem geplanten Referendum für die Unabhängigkeit entscheiden, so muss London sich einen neuen Stützpunkt für seine U-Boote suchen. Der bisherige liegt in Schottland.

Auch die rivalisierenden Nachbarn Indien und Pakistan wollen auf ihre Atomwaffen nicht verzichten. Beide entwickeln ihr atomares Arsenal weiter und verfügen heute über je 90-120 atomare Sprengköpfe. Neben der Verbesserung ihrer landgestützten nuklearfähigen Raketen verfügen beide Staaten über nuklearfähige Flugzeuge und hegen die Absicht, einen Teil ihrer Atomwaffen unverwundbar auf U-Booten zu stationieren. Dazu sollen Boote beschafft werden, mit denen seegestützte Marschflugkörper oder ballistische Raketen gegen Landziele verschossen werden können. Auffällig ist auch, das Pakistan seine militärisch nutzbare nuklearindustrielle Infrastruktur weiter ausbaut. Neben seine atomaren Waffen auf Uranbasis sollen vermehrt solche auf Plutoniumbasis treten.

Den Entwicklungsweg zu U-Boot-gestützten Nuklearwaffen geht scheinbar auch Israel, das seit etlichen Jahrzehnten über moderne luft- und landgestützte Trägersysteme für Atomwaffen verfügte. Israel beschafft seit den 1990er Jahren mit deutscher Finanzhilfe sechs dem modernsten Stand der Technik entsprechende Dolphin-U-Boote bei der Kieler Werft HDW, die so ausgestattet werden können, dass aus ihren Torpedorohren auch nuklear bestückte Marschflugkörper verschossen werden können. Darüber hinaus plant Israel den Kauf moderner Jagdbomber des Typs F-35 in den USA. Von diesem Flugzeug soll es eine nuklearfähige Version geben.

Bei Nordkorea ist weiterhin nicht ganz klar, ob das Land bereits über funktionsfähige Atomwaffen verfügt. Zwar wurden erste Testexplosionen durchgeführt, die möglicherweise teilweise erfolgreich waren. Allerdings ist es von einem funktionsfähigen Sprengsatz bis hin zu einer funktionsfähigen Atomwaffe noch ein ganzes Stück des Weges. Neben Uran will Nordkorea offenbar auch Plutonium als Basis für seine Waffen nutzen. Das Land treibt die Entwicklung von Kurz- und Mittelstreckenwaffen voran.

Nukes forever?
In allen acht Staaten, die über Nuklearwaffen verfügen, wird darauf hingearbeitet, dass sie auch in 20 oder 40 Jahren noch über diese Waffen verfügen. Nordkorea will zum neunten Mitglied des nuklearen Klubs werden. Natürlich wollen die einzelnen Länder dafür jeweils die ihnen verfügbare modernste Technologie nutzen. Das russische Beispiel zeigt, dass auch abschreckungspolitische Zielsetzungen technologische Anforderungen vorantreiben können: Die Fähigkeit strategischer Nuklearwaffen, Raketenabwehrsystemen ausweichen zu können, ist ein Beispiel. Ein anderes ist die Absicht mehrerer Staaten, ihre Atomwaffen künftig möglichst unverwundbar auf U-Booten zu stationieren. Die neuen Nuklearmächte sind damit befasst, technologische Fortschritte der alten Mächte im Rahmen ihrer Möglichkeiten nachzuvollziehen und atomare Potentiale aufzubauen, die zunächst ihren Grundanforderungen entsprechen. Sie versuchen sich an der Miniaturisierung und Flexibilisierung ihrer Nuklearwaffen und wollen deren Trägersysteme diversifizieren. Und natürlich muss man – gerade in einem so von Geheimhaltung geprägten Bereich wie der Nuklearwaffenforschung – damit rechnen, dass Forschung betrieben wird, die zu überraschenden technischen Neuerungen oder militärischen Fähigkeiten führt, was aber heute noch nicht öffentlich bekannt ist.

Diese Trendlinien lassen schwere Zeiten für die nukleare Abrüstung und für die weltweiten Bemühungen um die nukleare Nichtverbreitung erwarten. Größere Fortschritte bei der Abrüstung über den New START-Vertrag hinaus sind in den kommenden Jahren kaum wahrscheinlich. Trotzdem mag es aus Kostengründen weitere Reduzierungen geben, weil qualitative Verbesserungen diese ermöglichen. Die Gefahr, dass weitere Staaten sich auf den Weg zu einem eigenen Nuklearpotential begeben, ist keineswegs gebannt. Dafür steht die Diskussion über das Nuklearprogramm des Irans. Diese Gefahr wächst, je weiter die Vision einer Welt ohne Atomwaffen aus dem Blick gerät.

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Otfried Nassauer (1956-2020) war freier Journalist und leitete das Berliner Informationszentrum für transatlantische Sicherheit – BITS (www.bits.de)