„Berliner Appell“ - mit einer breiten Bewegung

Nein und noch einmal nein zu neuen Mittelstreckenwaffen!

von Reiner Braun
Initiativen
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Die Bundesregierung hat in treuem Gehorsam gegenüber den USA zugelassen und durch den Bundeskanzler ohne Kenntnis der Öffentlichkeit und des Parlaments aktiv gefördert, dass in Deutschland – und nur in Deutschland – neue Hightech-Mittelstreckenwaffen stationiert werden sollen. Diese können und sollen die politischen und militärischen Zentren Russlands zerstören. Sie sind auch keine „Nachrüstung“ – wie uns die Befürworter*innen und ihre Medien täglich verkünden – sondern eine VOR-rüstung mit qualitativ neuartigen Waffen, geeignet für den Ersteinsatz. Die Abschreckungslogik – so stark sie auch zu kritisieren ist – soll zugunsten einer Erstschlags-Option durch die weitestgehende Zerstörung der russischen Zweitschlagsfähigkeit (auch durch das Raketenabwehrsystem der NATO an deren Ostgrenze) ausgehebelt werden.

Es sind Waffen (Raketen, Hyperschallwaffen), die theoretisch auch atomar bestückt werden können (auch wenn das zurzeit wohl noch nicht vorgesehen ist) und unser Land zu einem vorrangigen Angriffsziel machen. Wir sagen: Krieg als die größte Dummheit der Geschichte und als Verbrechen gegen jede Form von Humanität darf sich bei uns nicht wiederholen und muss weltweit gestoppt werden! Die neuen Waffen verstärken die Eskalationsgefahr, sie sind ein hohes Sicherheitsrisiko für den Frieden. Deshalb muss die Ablehnung der Erstschlagswaffen Fahrt aufnehmen. Die bundesweite Demonstration am 3. Oktober 2024 war dafür ein gelungener und bewegender Auftakt. Der Beginn der Unterschriftensammlung mit bisher fast 30.000 Unterschriften (Januar 2025) ist ein, wenn auch lange noch nicht ausreichender, Beginn einer breiten Bewegung, die den Mehrheitswillen der Bevölkerung zum Ausdruck bringt.

Der „Berliner Appell“ gegen die Stationierung der Mittelstreckenwaffen, der auf der bundesweiten Demonstration am 3.10. mit über 42.000 Teilnehmer*innen verkündet wurde, will den Protest in die Breite der Gesellschaft tragen. Die Ablehnung soll per Unterschrift online und offline verdeutlicht und manifestiert werden: https://nie-wieder-krieg.org/

Die massenhafte Unterstützung wird allein sicher nicht ausreichen, die Stationierung zu verhindern, aber sie kann ein wichtiger Beitrag sein, der Ablehnung eine starke Stimme zu verleihen. Sie kann gesellschaftliche Kräftekonstellationen zugunsten des Friedens verändern und den Friedenswillen der Bevölkerung zum Ausdruck bringen. Sie kann Friedenspolitik in Parteien stärken.

Auf die Menschen zugehen
Den „Berliner Appell“ erfolgreich umzusetzen erfordert, aktive Überzeugungsarbeit zu leisten, die versuchen muss, mehr Menschen zur Unterstützung und zum aktiven Mitmachen zu gewinnen. Neue Partnerinnen und Partner können gewonnen, alte Bündnisse wiederbelebt werden. Aufeinander zugehen, auch über traditionelle Grenzen hinweg, das ist die Herausforderung, um das Nein zur Stationierung zum Mehrheitswillen zu machen. Dies gilt besonders für die Gewerkschaften, die verschiedenen Religionsgemeinschaften und die Umweltverbände. Es geht aber auch um diejenigen, die sich in der Corona-Zeit für die Grundrechte eingesetzt haben und jetzt zahlreich für den Frieden eintreten.

Dafür brauchen wir sicher auch weitere Demonstrationen, mit dem Ziel, die bisherigen quantitativ und auch qualitativ zu überbieten, und auch – wie in den 1980er Jahren - Aktionen des zivilen Ungehorsams.

Alles, was der Verhinderung einer Stationierung bis 2026 dient, ist sinnvoll und willkommen – von Informationsständen bis zu einer umfassenden Social Media Nutzung, Onlineaktivitäten, Straßenaktionen, fantasievolle Umzüge, Sit- oder Die-ins, Plakataktionen, Ausstellungen, Diskussionen mit Politiker*innen. Der Fantasie und Kreativität sind kaum Grenzen gesetzt.

Wir müssen wieder auf die Menschen - und besonders auch auf die jungen Menschen, die - siehe Shell Studie - Angst vor dem Krieg haben, zugehen, sie gedanklich abholen, dort, wo sie stehen, Vorbehalte ansprechen und überwinden und auch keine Scheu haben, mit Widersprüchen zu leben. Dabei werden wir neue positive Erfahrungen mit vielen ähnlich denkenden Menschen machen, aber auch auf deutliche Widerstände stoßen bei denen, die die Propaganda der Regierenden und der Medien wiedergeben werden. Mit diesen konfrontiert ist argumentative Stärke, aber auch Empathie gefordert, auch gegenüber Menschen, die zwar die Waffen ablehnen, aber gleichzeitig rechtsextreme/populistische Partei(en) wählen.

Es geht nicht um die Frage, wie wir möglichst alle dasselbe Weltbild annehmen, sondern darum, wie wir „Gegenmacht“ gewinnen, es geht um die berühmte „kulturelle Hegemonie“ von Gramsci.
Gemeinsam und solidarisch werden wir das „Nein zu Mittelstreckenraketen“ angehen. Im Kontakt und Austausch können wir lernen, noch besser und aktiver, noch tiefer in unserer Begriffsbildung zu werden. Die Begründung ist eindeutig: Diese Waffen taugen atomar zum Erstschlag, sie provozieren (auch präventiv) Gegenmaßnahmen. Wir dürfen die Gefahr nicht vergessen: Raketen sind Magneten – Mitteleuropa würde einen dann folgenden Atomkrieg nicht überleben.

Wir haben die Bedeutung der Friedens- und Entspannungspolitik nicht vergessen. Wir wissen, diese neue Art von Waffen soll mithelfen, die ins Wanken geratene westliche Dominanz selbst unter Inkaufnahme der Vernichtung Europas zu sichern, sie richten sich direkt gegen Russland, aber in der Systemauseinandersetzung auch gegen China. Gerade weil die Situation in der Welt so gefährlich ist, muss jede neue Stufe der Eskalation verhindert werden und kann auch durch das aktive Handeln der Bürger*innen verhindert werden.

Weltweite Koalition der Vernunft und der Abrüstung
Vielleicht nicht allein durch die Aktivitäten der deutschen Friedensbewegung, wohl aber durch eine neue weltweite Koalition der Vernunft und der Abrüstung, die die Friedenskräfte des globalen Südens ebenso wie deren Regierungen einschließt, wie die internationalen sozialen Bewegungen des kapitalistischen Westens, die inklusiv agiert und Ausgrenzungen meidet. Dieser Koalition der Vernunft und der Abrüstung zum Durchbruch zu verhelfen, dazu leisten wir bei uns einen unverzichtbaren aber auch notwenigen Beitrag, indem wir eine breite soziale Bewegung gegen die neuen Mittelstreckenwaffen auf die Beine bringen. Auch hier gilt: Ausgrenzung ist schädlich. Vielfältige und unterschiedliche Initiativen gegen die neuen Waffen sind notwendig. Deswegen arbeitet unsere Initiative „Die Waffen nieder- nie wieder Krieg“ wie andere auch in der Initiative „Friedensfähig statt erstschlagsfähig“ mit und wir freuen uns, dass diese Initiative die Unterschriftensammlung zum „Berliner Appell“ unterstützt.

Integration der verschiedenen Mitwirkenden und Organisationen auf einer klar definierten Grundlage von wenigen Kernpunkten hingegen kann auch eine Basis für eine neue gesellschaftlich getragene Struktur(en) hinauslaufen. Gespräche darüber sind sicher sinnvoll.

Neues schließt (wert)konservative Kräfte ein, die willkommen sind, wenn sie Nein zu den neuen Waffen sagen. Es bleibt aber auch dabei: Faschismus ist keine Meinung, sondern immer ein Verbrechen, auch ein kriegerisches.

Durch uns, gemeinsam mit allen, die besorgt sind und den vielen, die wir gewinnen werden, Nein zu sagen, können wir es bis 2026, den Beginn der Stationierung, schaffen, diese politisch undurchführbar zu machen.

Unterschriften online: https://nie-wieder-krieg.org/ Unterschriftenlisten, Plakate und weitere Materialien können bestellt werden: Initiative die Waffen nieder, Marienstraße 19/20, 10117 Berlin.

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Reiner Braun war Geschäftsführer der IALANA Deutschland und ist ehem. Co-Präsident des Internationalen Friedensbüros (IPB).