Weltweite Proteste gegen einen III. Golfkrieg

Nicht in unserem Namen

von Stefan Gose
Initiativen
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Am 10. Oktober 2002 hat der amerikanische Kongress US-Präsident George Bush eine Kriegsvollmacht gegen den Irak ausgestellt. Selbst wenn die UN-Waffeninspekteure jeden verdächtigen Ort im Irak kontrollieren könnten, soll die Umsetzung der UN-Resolution nach dem Willen der US-Administration scheitern. Die US-Regierung wird dann erklären, sie habe alle friedlichen Mittel ausgeschöpft. "Wenn keiner von diesen [Irak, UN-Sicherheitsrat, sg] handelt, werden die Vereinigten Staaten zielstrebig eine Koalition anführen, um einem der schlimmsten Führer der Welt die schlimmsten Waffen der Welt wegzunehmen," erläuterte George Bush jr. seinen unbeirrbaren Weg in den Krieg. Die US-Regierung hat bisher keine Beweise für ihre Behauptung vorgelegt, die irakische Regierung verfüge über ABC-Waffen. Ebensowenig konnte sie die Behauptung von Sicherheitsberaterin Condolezza Rice, "das Bild vom Geheimbund zwischen Bagdad und bin Ladens Terrornetz werde immer klarer", mit Fakten untermauern. Doch Täterschaftsbeweise waren für den US-Terror-Krieg bereits gegen Afghanistan nicht erforderlich. Gegen dieses US-Faustrecht machen nicht nur KriegsgegnerInnen in Europa mobil.

Widerstand in den USA
"Was für eine Welt wird dies, wenn die US-Regierung einen Blanko-Scheck dafür bekommt, Spezial-Kommandos, Mörder und Bomben abzuwerfen, wo immer es ihr beliebt?" fragten 4.000 prominente US-Bürgerlnnen in ihrem Aufruf "Not in our name" am 19. September 2002 in der New York Times. Als die Anzeige am 4. Oktober in der Los Angeles Times erschien, waren es schon über 16.000 UnterzeichnerInnen. Ob Oliver Stone, Noam Chomsky oder Jane Fonda - die erklärten KriegsgegnerInnen in den USA sind in der Minderzahl, PolitikerInnen halten sich bedeckt. Erfolgreich hatte George Bush jr. die patriotische Keule geschwungen: "You`re either with us or against us."

"Regimewechsel fängt zu Hause an!" antworteten etwa 12.000 DemonstrantInnen am 6. Oktober im New Yorker Central Park. Doch bisher waren die amerikanischen Proteste, u.a. in Portland, San Francisco, Chicago, St. Louis, Manchester, Texas, Oregon und Missouri eher gering. "Verhindert den Krieg, bevor er beginnt," rief die US-Friedensbewegung am 26. Oktober 2002. An diesem landesweiten Aktionstag fanden auch in Europa zahllose Demonstrationen und Mahnwachen statt.

Es sind die "elder statesmen", die sich trotz des chauvinistischen mainstream eine eigene Meinung erlauben, etwa der diesjährige Friedensnobelpreisträger Jimmy Carter, der in der Washington Post Mitte September feststellte, die USA wandelten sich zum Unrechtsstaat. Carter erklärte: "Wie aber die Verbündeten und auch verantwortliche Politiker früherer Administrationen immer wieder betont haben, gibt es gegenwärtig keine Bedrohung der Vereinigten Staaten durch Bagdad." Ex-Präsident Bill Clinton stellte fest, "die irakische Frage sei nicht so brennend wie die Notwendigkeit, den Friedensprozess im Nahen Osten wieder in Gang zu bringen und die Gewalt zu stoppen." Ex-US-Generalstaatsanwalt Ramsay Clark erläuterte am 20. September in einem Brief an die UNO: "Die Vereinigten Staaten, nicht Irak, sind die größte einzelne Gefahr für die Unabhängigkeit und den Fortbestand der Vereinten Nationen." Selbst CIA-Direktor George Tenet warnt vor einem Angriff auf den Irak: "Bagdad scheint im Augenblick keine terroristischen Anschläge mit konventionellen und biologischen Waffen zu planen. Doch wenn Saddam Hussein das Gefühl habe, dass ein US-Angriff ohnehin unausweichlich sei, könne er sich in die Ecke gedrängt fühlen und grünes Licht für einen solchen Anschlag geben."

Widerstand global
Die globalen Kriegsproteste sind so vielfältig wie unzählbar. Am 6. Oktober fanden weltweit Demonstrationen vor US-Botschaften und Konsulaten statt, in Belgien protestierten Friedensgruppen gegen eine Nutzung des US-Stützpunktes Kleine Brogel beim Angriff auf den Irak, der österreichische Friedensrat organisierte Postkartenaktionen an die US-Regierung, zum 26./27. Oktober lud das österreichische Forum Frieden & Gewaltlosigkeit zum ersten FriedensForum nach Graz ein, die australische Kampagne gegen Atomwaffen sammelt Unterschriftenlisten gegen den Krieg und schickt sie weltweit an wichtige Polit-Funktionäre, in Italien startete Anfang Oktober eine Kampagne, mit weißen Tüchern den Kriegsprotest aus den Fenstern zu hängen. In London demonstrierten am 29. September 2002 schätzungsweise 250-400.000 Menschen gegen den Kadavergehorsam der Regierung Blair. In der "Stop the war Coalition" haben sich die Muslim Association of Britain, Gewerkschafter, Veteranen, aber auch die Campaign for Nuclear Disarmament/CAAT zusammengeschlossen. Am 26. Oktober fand in Brüssel, am 31. Oktober in Wien eine Großdemonstration statt.

Anti-Kriegs-Engagement in Deutschland
In Deutschland sind neben den "alten" Friedensorganisationen wie Deutsche Friedensgesellschaft-Vereinigte Kriegsdienstgegnerlnnen (DFG-VK), dem Bonner Netzwerk Friedenskooperative, den internationalen ÄrztInnen zur Verhinderung des Atomkrieges/IPPNW, dem Deutschen Friedensrat oder dem Kasseler Friedensratschlag auch viele neue Aktionsgruppen aktiv. Neben der Sachauseinandersetzung mit Hintergrundtexten ist die Zahl der Aufrufe, Unterschriftenlisten und Offenen Briefe unüberschaubar.

Nur wenige Friedensforscherlnnen haben sich in die Tagespolitik eingeschaltet. Werner Ruf von der Uni Kassel plädiert für ein sofortiges Ende der Irak-Sanktionen. Dieter Lutz, Reinhard Mutz und Götz Neuneck vom Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Uni Hamburg/IFSH bezweifeln mit den ehemaligen UNSCOM-Waffeninspekteuren Scott Ritter, Hans Blix und Richard Buttler, der Wiener Atomenergiebehörde/IAEO und dem Londoner Institut für Strategische Studien/IISS als Kronzeugen, dass eine irakische Gefahr durch Massenvernichtungswaffen bestünde, um zu dem verhaltenen Fazit zu gelangen, "ein Präventivkrieg gegen den Irak wäre ungerechtfertigt und schädlich". IFSH-Vize Hans-Joachim Giessmann beteiligte sich am 13. Oktober im ARD-Brennpunkt an Geheimdienstspekulationen zu Al Qaida und Attentätern in Bali. Kurz, die deutsche Friedensforschung - halbseiden oder schweigend - verpasst wieder mehrheitlich ihren Daseinszweck.

Enfant terrible der deutschen Irak-Debatte ist Hans Branscheidt von medico international, der sich aus humanitären Gründen dem Sturz des irakischen Regimes mit Hilfe von oppositionellen Exilanten verschrieben hat. Seine durchaus interessanten Informationen über die innenpolitische Situation im Irak werden oft ignoriert, weil Branscheidt über das Ziel hinausschießt, indem er andersdenkende Friedensengagierte - insbesondere Embargogegnerlnnen - wiederholt als SympathisantInnen des Baath-Regimes oder auch als völkisch-national denunzierte.

Für Parteien scheint der bevorstehende III. Golfkrieg seit der Bundestagswahl kein Thema mehr zu sein. Zuvor meldete sich noch vereinzelt der außenpolitische PDS-Sprecher Wolfgang Gehrcke zu Wort, auf der Homepage des grünen Militärpolitikers Winfried Nachtwei sucht mensch das Wort Irak vergeblich. Auch in den Koalitionsverhandlungen spielte der III. Golfkrieg keine Rolle. Nach 17 Bundeswehrmandaten in den vergangenen vier Jahren heißt es nun nicht mehr "Deutsche Außenpolitik ist Friedenspolitik", vielmehr droht der Koalitionsvertrag 2002: "Das künftige Aufgabenspektrum der Bundeswehr wird ganz wesentlich durch die sicherheitspolitischen Entwicklungen und den Wandel der Bundeswehr zu einer Armee im Einsatz bestimmt." Der Verteidigungshaushalt wurde ohne mediales Aufsehen durchgewunken.

Die kurzzeitige Initiative von Friedensengagierten nach der Bundestagswahl, nun dem Kanzler den Rücken gegen die US-Kriegspolitik zu stärken, ist angesichts der nicht überraschenden Duldung amerikanischer Kriegsvorbereitungen von deutschem Boden bereits wieder erstickt. Über 300 Tonnen Kriegsgerät hat die US-AirForce über Ramstein und Frankfurt bis Mitte Oktober eingeflogen, darunter vier F117A-Stealth-Jagdbomber. Der Stab des 5. US-Corps aus Heidelberg ist bereits an den Golf gezogen, der NATO-Oberkommandierende Europa/SACEUR Joseph W. Ralston hat für das European Command/EUCOM in Stuttgart-Vaihingen eine zentrale Rolle beim Angriff auf den Irak angekündigt. Der Ausbau des USAF-Jagdbomberstützpunktes Spangdahlem geht unvermindert weiter. Auf den US-Truppenübungsplätzen Grafenwöhr und Hohenfels herrscht Hochbetrieb, demnächst dürften die US-Panzerverbände aus Bayern und Baden-Württemberg zur Verschiffung nach Cuxhaven rollen. Am 8. Oktober wurde bereits der erste GI bei einem Häuserkampf-Manöver in Kuwait erschossen.

Aktionen der nächsten Wochen
Für deutsche Friedensengagierte bedeutet dies, dass sie auf Unterstützung aus Politik und Wissenschaft nicht hoffen brauchen. Eine zentrale Koordination gibt es nicht, die Antikriegsbewegung formiert sich dezentral, aber beständig. Neben regelmäßigen Mahnwachen, Infotischen, Schweigekreisen, Gebetsrunden, Kundgebungen und zahllosen Diskussions-Veranstaltungen fanden am 26. Oktober zum internationalen Aktionstag "Verhindert den Krieg, bevor er beginnt" über 80 Demonstrationen alleine in Deutschland statt. Weitere Kundgebungen folgen nicht nur in Gießen, Wittstock und Aachen.

Eine Kampagne zur schriftlichen Selbstverpflichtung zu zivilem Widerstand im Kriegsfall ist angelaufen.

Vom 28. November bis 3. Dezember 2002 plant der Internationale Versöhnungsbund/Deutscher Zweig eine Reise mit freiwilligen "menschlichen Schutzschilden" in den Irak.

Ausblick
Die gegenwärtigen Anti-Kriegsaktionen sind aber durch ihre dezentrale Vielfalt - noch vor dem befürchteten Angriffskrieg - beeindruckend. Die Verbindung von alten und jungen Anti-Kriegs-Engagierten sind Ausdruck einer breiten Ablehnung eines III. Golfkriegs in der europäischen Öffentlichkeit, selbst in Großbritannien und Frankreich. Nicht nur in Deutschland kommt es jetzt darauf an, diese Basis zu verbreitern und damit auf die Regierungen den notwendigen Druck auszuüben, damit sie ihre duldsame Unterstützung der US-Kriegspolitik in deutlichen Widerstand wenden. Es gilt, die Beihilfen zum Angriffskrieg aufzudecken, die katastrophalen Folgen für den Nahen Osten zu skizzieren und - zynisch aber wirkungsvoll - zu verdeutlichen, dass die Konsequenzen auch nicht im Interesse des reichen Europas liegen können. Blockaden von US-Einrichtungen könnten - gestützt auf Völkerrecht, NATO-Vertrag(!) und Grundgesetz - die Bundesregierung zum Lackmustest zwingen. Ein Kriegsdienstverweigerer Deutschland, der den Namen verdient, kann international mehr bewirken, als Gerhard Schröder je wollte. Wenn jedoch die ersten Bomben fallen, werden zwar weltweit die Proteste radikal zunehmen, doch dann ist es zu spät.

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Stefan Gose ist Redakteur der "antimilitarismus information" (ami).