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Kompass für den Frieden gesucht
Ökumenische FriedensDekade 2023 unter dem Motto „sicher nicht – oder?“
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Seit Ausbruch des Ukraine-Krieges ringen auch Christ*innen und Kirchen um eine angemessene Positionierung in der Friedensfrage. Für die einen ist der Pazifismus eine überholte Position. Andere bringen die Logik des „gerechten Friedens“ ins Spiel, insbesondere nach dem 7. Oktober, dem menschenverachtenden Terrorangriff der Hamas auf Zivilist*innen in Israel.
Als das diesjährige Arbeits- und Aktionsmaterial für die FriedensDekade vom 12. – 22. November 2023 unter dem Motto „sicher nicht - oder?“ erstellt wurde, war der Konflikt zwischen der Hamas und Israel noch nicht eskaliert, das gegenseitige Massenmorden an Zivilist*innen hatte noch nicht begonnen. Dennoch wurde in vielen Kirchengemeinden und Aktionsgruppen der Krieg im Nahen Osten in das Zentrum von Friedensgebeten, Gottesdiensten und Info-Veranstaltungen gerückt. So jedenfalls lässt es sich aus den Hunderten von Terminankündigungen herauslesen, die auf der Website der Ökumenischen FriedensDekade (www.friedensdekade.de/termine) zu finden sind.
Traditionell versucht die Basisbewegung der Ökumenischen FriedensDekade seit 1980 Orientierung zu bieten für das christliche Friedenszeugnis in den Fragen der jeweiligen Zeit. Dafür stehen auch die beiden Friedensbot*innen der diesjährigen Friedensdekade, der Liedermacher Konstantin Wecker und die ehemalige Osnabrücker Bürgermeisterin Lioba Meyer. Meyer zitierte in ihrem Impulstext zur FriedensDekade die kürzlich verstorbenen Politikerin und Theologin Antje Vollmer: „Wer die Welt wirklich retten will, diesen kostbaren einzigartigen wunderbaren Planeten, der muss den Hass und den Krieg gründlich verlernen. Wir haben nur diese eine Zukunftsoption.“ Und Konstantin Wecker schrieb: „Als Antimilitarist und Pazifist bin ich fest davon überzeugt, dass nur eine internationale Friedens- und Antikriegsbewegung diesen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg von Putins Machtapparat gegen die Menschen in der Ukraine stoppen kann.“
So war es auch in diesem Jahr zentrales Anliegen der Ökumenischen FriedensDekade, den Friedensbewegten in Kirche und Gesellschaft Mut zu machen, auch weiterhin grundsätzliche (An)Fragen an das vorherrschende militärische Sicherheitsdenken in Politik und Gesellschaft zu stellen sowie das zunehmende militaristische Denken zu hinterfragen. Ein Anliegen, das in einer Frage zum Ausdruck kommt, die ein Mitglied des Gesprächsforums der FriedensDekade stellte: „Selbst wenn es irgendwann einen ‚Sieger‘ auf dem Schlachtfeld geben sollte: Hat etwas so Zerstörerisches, das so unzählige Menschenleben kostet, die Bezeichnung ‚Erfolg‘ verdient?“
Die ehemalige EKD-Ratsvorsitzende Margot Käßmann beschrieb in einem Artikel zur Aktualität der biblischen Vision vom Umschmieden der Schwerter zu Pflugscharen (in: DER SONNTAG, Wochenzeitung für die Evangelisch-Lutherische Landeskirche Sachsens, Nr. 45, 12. November 2023, S. 12): „Wenn wir als Friedensbewegung derzeit etwas verzagt dastehen, ist das nicht schlimm. Es geht darum, Hoffnung durchzuhalten in schwieriger Zeit. Eine Haltung zu zeigen, auch wenn sie belacht wird. Ich will nicht sagen, dass die pazifistische Grundhaltung die einzig mögliche sei. Aber ich bin zutiefst überzeugt, dass wir als Christinnen und Christen den Auftrag haben, Hoffnungsbilder in die Welt zu bringen. Kontrastgesellschaften zu entwerfen. Feindbildern entgegenzutreten.“
Dilemma gegensätzlicher friedensethischer Positionierungen
Aus Sicht des Gesprächsforums der Ökumenischen FriedensDekade hat sich in vielen Veranstaltungen das Dilemma jeder der zwei gegensätzlichen friedensethischen Positionierungen widergespiegelt. Eine, die nach wie vor am Vorrang der Gewaltfreiheit festhält und beispielsweise Waffenlieferungen ablehnt. Und eine, die angesichts des Ukraine-Krieges und des Terrorangriffs der Hamas auf Israel die Situation gegeben sieht, rechtserhaltende Gewalt als nun letztmögliches Mittel anzuwenden. Das Dilemma beider Positionen, immer auch schuldig zu werden, muss von beiden Seiten offengelegt werden, ohne sich gegenseitig Schuldvorwürfe (oder wie im Falle Israels Antisemitismus-Vorwürfe) zu machen. Mit dem Motto „sicher nicht – oder?“ wollte die Ökumenische FriedensDekade dazu anregen, vermeintliche Gewissheiten in Frage zu stellen. „Notwendig dafür ist eine Offenheit und Ehrlichkeit in der Grundannahme. Dass es in den meisten Fällen ‚den‘ richtigen Weg nicht gibt, sondern der Weg selber als Prozess gestaltet werden muss“, schrieb Jan Gildemeister, Vorsitzender der Ökumenischen FriedensDekade e. V. im diesjährigen Arbeitsheft zur FriedensDekade. Wie im Jahr zuvor gab es mit über 2.000 Bestellungen ein großes Interesse an den angebotenen Materialien. Die spürbare Verunsicherung vieler friedenspolitischer Überzeugungen fand in Gottesdiensten, Friedensgebeten und Andachten einen Ort, vermeintliche Sicherheiten zu überdenken.
Bezugnehmend auf die zentrale Bibelstelle „Schwerter zu Pflugscharen“ (Micha 4,1-4) schreibt Margot Käßmann im zuvor zitierten Artikel: „Dieser Text ist eine Hoffnungsvision in schwieriger Zeit. Der christliche Glaube formuliert immer wieder eine Kontrastgesellschaft. Das ist bei Jesus eindeutig. Er sagt nicht: ‚Selig sind die Waffenlieferanten‘, sondern: ‚Selig sind die Frieden stiften‘. Nicht: ‚Selig sind die Gewinnmaximierer‘, sondern: ‚Selig sind die Barmherzigen‘. Jesus von Nazareth ist für mich Vorbild, Leitfigur. Er hat im Garten Gethsemane zu dem, der ihn verteidigen wollte, klar gesagt: ‚Steck das Schwert an seinen Ort‘. (…) Auch wenn wir als lächerlich gelten, haben Christinnen und Christen diesem Vorbild zu folgen. Ja, er fordert uns massiv heraus, wenn er sagt: ‚Liebet eure Feinde, bittet für diejenigen, die euch verfolgen.‘ Als ich das mal zitiert habe, war die Reaktion ein Shitstorm. Aber das ist nicht von mir, das ist von Jesus! Der war radikaler, als wir es selbst in den Kirchen heute manchmal wahrhaben wollen.“
Die Opfer gewalttätiger Konflikte auf allen Seiten im Blick zu haben, Empathie für alle Menschen zu wahren, dürfte Voraussetzung für jede Friedensperspektive sein. Diese Überzeugung findet sich in einem Gebetstext auf der Internetseite der Ökumenischen FriedensDekade wieder: „Ich bete für alle, die im Nahen Osten jetzt Gewalt leiden an Körper und Seele. Ich bete für alle, die durch Angriffe verletzt werden. Ich bete für die Getöteten und ihre Angehörigen. Ich bete für alle, die in Bunker und an geschützte Orte geflüchtet sind. Ich bitte für alle, die das Dröhnen der Raketen und Drohnen nicht ertragen. Ich bete für die Kinder in Israel und Palästina. Ich bete für alle, die weinen. Ich bete für alle, die um Freunde und Familie bangen. Ich bete gegen die Angst, den Hass, die Gewalt: Ich bete Schalom alejchem! Salem aleikum! Friede sei mit dir! Amen.“