Österreich: Die Zahl der Dienstverweigerer nimmt sprunghaft zu

von Christian Mokricky
Friedensbewegung international
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Österreich ist ein neutraler Staat und unterhält eine Wehrpflichtigenarmee. Wehrdienstverweigerer müssen einen Ersatzdienst leisten und das Militärbudget ist mit rund einem Prozent des Bruttosozialproduktes relativ niedrig.

Der österreichische Nationalrat beschließt 1955 nach Abschluss des Staatsvertrages und dem Abzug der Besatzungsmächte die "immerwährende Neutralität". Die allgemeine Wehrpflicht und das Bundesheer werden gegründet. Die Neutralität ist in der Bevölkerung gut verankert, der Ruf "Nie wieder Krieg!" weit verbreitet.

Immer wieder verweigern junge Männer die unbeliebte Wehrpflicht. Ende der 1960er Jahre startet ein Volksbegehren zur Abschaffung des Bundesheeres. Die SPÖ nützt die Stimmung für ihren Nationalratswahlkampf unter dem Motto: "6 Monate sind genug!". Gemeint ist die Verkürzung der Dienstzeit von neun auf sechs Monate, für Wehrdienstverweigerer soll ein Zivildienst eingeführt werden. Die SPÖ gewinnt die Wahl. Das Volksbegehren kommt nie zur Abstimmung. Der Militärdienst wird auf acht Monate verkürzt. Erst 1975 wird die Wehrdienstverweigerung aus Gewissensgründen in der Verfassung verankert. Verweigerer müssen seither einen Ersatzdienst (Zivildienst) außerhalb des Bundesheeres leisten. Eine Kommission zur Gewissensprüfung anerkennt nur sechs bis acht Prozent der tauglichen Wehrpflichtigen als Wehrdienstverweigerer.

Aus den Aktivistinnen des Volksbegehrens gegen das Bundesheer bilden sich Initiativen, die für die Wehrdienstverweigerung werben. In den 80er Jahren organisiert die Friedensbewegung Großdemonstrationen gegen das Wettrüsten und Aktionen gegen Panzerexporte und Waffenschauen. Das Volksbegehren gegen den Kauf von Abfangjägern unterstützen mehr als 120.000 Personen. Als das Parlament 1986 die "Umfassende Landesverteidigung" (ULV) beschließt, bedeutet das die Integration des Zivildienstes in das Gesamtkonzept. Die Gruppe für Totalverweigerung wird gegründet und Widerstand gegen die ULV organisiert. Anfang der 90er Jahre starten die Initiative "Österreich ohne Heer" und der "Aufruf zur Nichtbefolgung militärischer Befehle". Dieser Aufruf findet über 1000 UnterstützerInnen, die ihre Überzeugung als Inserate in Printmedien schalten.
 

Zivildienst wird demontiert
Die breite Diskussion über das Militär führt zur Abschaffung der Zivildienstkommission. Die Zahl der Dienstverweigerer aus Gewissensgründen nimmt sprunghaft zu, 38 Prozent der tauglichen Wehrpflichtigen gehen nicht zum Militär.

Dieses drängt darauf, den Zivildienst möglichst unattraktiv zu machen. Die Antragsfrist wird verkürzt, der Dienst verlängert, der Aufschub beschränkt, die Vergütung für den Zwangsdienst verringert. Innenminister Strasser (ÖVP), der selbst Zivildiener war, lässt 2001 die Zivildienstverwaltung privatisieren und führt weitere Verschlechterungen für die Dienstleistenden, den Auslandsdienst und die Organisationen des Zivildienstes ein.

Abschaffung des Bundesheeres bleibt das Ziel
Die vom Bundesheer versprochene Lagerfeuerromantik und männliche Initiation bleiben unerfüllt: Seit zehn Jahren steht das Bundesheer an Österreichs Grenzen zu Tschechien, der Slowakei und Ungarn. Wehrdiener werden nach drei Monaten Grundausbildung zur Flüchtlingsjagd abkommandiert. Mit geladener Waffe werden Menschen, deren einziges Vergehen die Geburt am falschen Ort ist, beim Versuch, nach Österreich zu gelangen, festgenommen. Immer mehr Soldaten halten diesem Konflikt nicht stand. Die Zahl unerlaubter Abwesenheit, der Erkrankten oder sich selbst Verletzenden steigt. Auch die Selbstmordrate ist unter den Soldaten wesentlich höher als bei gleichaltrigen Jugendlichen. Eine Kampagne zur Abschaffung des Bundesheeres oder der Wehrpflicht ist dennoch schwer vorstellbar.

Die Antiglobalisierungs-Initiativen und die Demonstrationen gegen die Regierung schaffen neue außerparlamentarische Netzwerke. Proteste gegen den Kauf von Abfangjägern und den Aufbau der Euro-Armee dokumentieren antimilitaristisches Bewusstsein. Unser Ziel bleibt die Abschaffung des Bundesheeres und das Ende aller Zwangsdienste.

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Christian Mokricky ist Chemiker, Umweltberater, Moderator von Zukunftswerkstätten und Mitarbeiter der Arbeitsgemeinschaft für Wehrdienstverweigerung und Gewaltfreiheit. Für den Internationalen Zivildienst organisiert er Schulungen für ZivildienstberaterInnen.