Offener Brief an die Menschen in der Bundesrepublik Jugoslawien

von Ohne Rüstung LebenORL
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Die Bomben der NATO auf Jugoslawien fallen nicht in unserem Namen. Wir sind nicht einverstanden mit diesem Krieg und sind entsetzt über die Entscheidungen unserer regierenden Politiker und Politikerinnen, die den Angriff der NATO auf Jugoslawien mittragen. Wir trauern um jedes Menschenleben, das die Angriffe fordert.

Wir sind ebenso schockiert über die Vertreibung der AlbanerInnen aus dem Kosovo. Es ist eine Tragödie, dass Kosovo-Albaner in ihrem gemäßigten Widerstand gegen den Entzug der Autonomie, bei ständiger Bedrohung und Verletzung ihrer Menschenrechte in der internationalen Gemeinschaft kein Gehör fanden und schließlich in Verzweiflung zu den Waffen griffen. SerbInnen, AlbanerInnen und Angehörigen anderer Volksgruppen, die in diesem Konflikt auf Verständigung gesetzt haben, fühlen wir uns in besonderer Weise verbunden.

In unseren Gedanken sind wir bei den Opfern. Den AlbanerInnen, die getötet wurden oder starben an den Folgen von Misshandlungen oder Strapazen der Flucht; bei denen, die das Sterben ihnen nahestehender Menschen hilflos mitansehen mussten. Bei denen, die Familienangehörige und Freunde verloren haben oder deren Familien auseinandergerissen wurden. Bei denen, die ihre Häuser, ihren gesamten Besitz und ihre Heimat verloren haben. Bei den Menschen, die im Augenblick noch auf der Flucht sind und nicht wissen, wohin. Die teilweise vor verschlossenen Grenzen stehen. Bei den Menschen, die als Geiseln und menschliche Schutzschilde an der Flucht gehindert werden.
 

Auch an die serbische Bevölkerung denken wir. Wir wissen, dass die Angriffe der NATO nicht nur militärische Ziele treffen. Wir wissen um die Toten und Verletzten. Wir denken an die Angst der Eltern um ihre Kinder während der Angriffe. Wir denken an die Demütigung, die es bedeutet, in menschenunwürdige Verhältnisse gebombt zu werden und Entbehrungen ausgesetzt zu sein. Wir denken an den Schrecken, der aufsteigt beim Aufheulen der Sirenen. Wir wissen um den Abscheu vieler Männer, in den Krieg zu ziehen und andere töten zu müssen. Es schmerzt uns besonders, dass Deutsche wieder, zum dritten Mal in diesem Jahrhundert, großes Leid über die serbische Bevölkerung bringen. Zur Trauer über die Opfer gesellt sich die Scham.

Es gibt viele Menschen in Deutschland, die wie wir gegen diesen Krieg sind. In großen Teilen der Bevölkerung herrscht Verunsicherung gegenüber den Argumenten der PolitikerInnen für die Angriffe. Es wird vorgegeben, mit den Angriffen der albanischen Bevölkerung aus dem Kosovo helfen zu können. Bislang haben die Bombardierungen aber das Leid auf allen Seiten nur vergrößert, auch für die albanische Bevölkerung. Im Hinblick auf die engherzige Flüchtlingspolitik der NATO-Mitgliedstaaten gegenüber den Kosovo-Albanern erwachsen zunehmend Zweifel an der humanitären Intention.

Auch viele Deutsche haben Angst. Betroffene Eltern fürchten um das Leben ihrer Söhne. Viele fürchten eine Eskalation des Krieges mit unabsehbaren Folgen.

Wir denken, dass die Angriffe der NATO niemanden helfen, sondern Leid und Unglück über die Zivilbevölkerung auf allen Seiten gebracht haben oder noch bringen werden. Wir fordern die sofortige und bedingungslose Einstellung der Kämpfe und die Wiederaufnahme von Verhandlungen. Wir sind für die Rückkehr der UNO auf die politische Bühne, denn die Einbeziehung der NATO wird den Verhandlungen nicht förderlich sein.

Wir bitten die Bevölkerung auf allen Seiten, in Deutschland und in anderen Ländern, vor allem den NATO-Mitgliedstaaten, aber auch in Jugoslawien, sich für ein Schweigen der Waffen einzusetzen. Die deutsche Regierung fordern wir auf, die Grenzen für Flüchtlinge aus diesem Konflikt unverzügliche und großzügig zu öffnen.

12. April 1999

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