Pax Christi mit großer Mehrheit für Gewaltfreiheit

von Pax Christi Saar
Hintergrund
Hintergrund

"Streit in Pax Christi" - unter diesem Titel berichteten wir in der letzten Ausgabe des FriedensForums über die kontroverse Debatte, die derzeit in der deutschen Sektion der internat. kath. Friedensbewegung Pax Christi geführt wird. Der Geschäftsführende Vorstand war im Au­gust mit einer Stellungnahme an die Öffentlichkeit getreten, die auf brei­ten Widerstand der Basis gestoßen ist. Nun hat Anfang November das höchste Gremium, die Bundesdelegiertenkonferenz in Essen getagt. Dabei wurde mit überwältigender Mehrheit ein Positionspapier verab­schiedet, das eindeutig die Fortsetzung des gewaltfreien Kurses von Pax Christi einfordert. Allerdings ist in diesem Positionspapier auch die Minderheitenmeinung in einem Absatz - als solche gekennzeichnet - mit integriert. Da wir das Papier des GV dokumentiert hatten, wollen wir dies auch mit dem jetzigen neuen Beschluß - in leicht gekürzter Form - tun. Es bleibt nun abzuwarten, wie die beiden Positionen in Pax Christi zukünftig zum Tragen kommen, ob Pax Christi weiterhin - mit den ande­ren Gruppen der Friedensbewegung - einen eindeutig antimilitaristi­schen Kurs fährt oder einer selbstlähmenden Debatte anheimfällt und handlungsunfähig in Bezug auf die eindeutige Absage an eine neue out-of-area-Politik der Bundesregierung und die Kampagne "Bundesrepublik ohne Armee" wird.

Positionsbestimmung von Pax Christi, beschlossen von der Delegiertenver­sammlung 1995

Für eine aktive Gewaltfreiheit!

Der Krieg im ehem. Jugoslawien hat uns seit vier Jahren täglich neue Schrec­kensmeldungen gebracht. Unter solchen Druck gilt es, als Friedensbewegung un­sere Position und unser Handeln selbst­kritisch und sorgfältig zu bedenken. Wie müssen wir auf das Leiden der Opfer dieses Krieges reagieren? Wie kann menschliche Hilfe aussehen? Welcher politische Einsatz zur Beendigung des Bosnien-Krieges und zur Vermeidung ähnlicher Kriege ist gefordert? Kann Pax Christi als Bewegung mit einer Op­tion für Gewaltfreiheit den Militärein­satz legitimieren oder gar fordern, um dem Leiden der Opfer Einhalt zu ge­bieten?

Vor diesem Hintergrund formulierte der Geschäftsführende Vorstand seine Stel­lungnahme, "wider einen kommentarlo­sen Pazifismus" vom 9. August 1995. (vgl. FF5/95)

1. Gewaltfreiheit: Bleibende Heraus­forderung

Mit der "Feuersteiner Erklärung" hat Pax Christi 1986 nachdrücklich für sich die Aufgabe proklamiert, aus dem Ge­waltverzicht des Evangeliums zu leben und - auch in schwierigen, scheinbar ausweglosen Situationen auf - "die Heilkraft der Gewaltlosigkeit" zu ver­trauen: "Gewaltlosigkeit (ist) ein Ange­bot für Friedenshandeln, das in einer gegebenen Situation immer wieder be­gründet werden muß, an dem alle Wege gemessen werden müssen. Um aber überhaupt handeln und messen zu kön­nen, dürfen Christen nicht nachlassen, den Weg der Gewaltlosigkeit als Frie­denshandeln aufzuzeigen, unbeirrt für gewaltfreie Lösungen auf allen Ebenen menschlichen Zusammenlebens einzu­treten und selbst Gewaltlosigkeit zu be­zeugen und zu praktizieren, wo und wann immer dies möglich ist. Deshalb ist das Nein zur Gewalt, das "Ich wider­stehe", ein eindeutiges, aber kein einfa­ches Nein. Es muß ein liebendes Nein sein, das niemand verletzen will, son­dern alle einlädt, den Weg zum Frieden zu suchen und zu gehen."

Diese Position bleibt gültig. Pax Christi will damit dem prophetischen Auftrag der Bibel folgen. Die Option für Ge­waltfreiheit ist demnach immer wieder in konkrete gesellschaftliche Auseinan­dersetzungen hinein zu übertragen.

2. Unser Konflikt angesichts der Ge­walt

Die Befürworterinnen und Befüfworter der Gewaltfreiheit haben sich schon immer mit dem Einwand auseinander­setzen müssen, daß sie in einer aktuellen Gewaltsituation an eine Grenze kom­men können. Es stellen sich drei grund­sätzliche Fragen:

- Kann militärisches Eingreifen punk­tuell bestehende Gewalt unterbre­chen, um neu Rauem für politisches Handeln zu schaffen?

- Hilft militärisches Eingreifen den be­drohten Menschen wirklich und dauerhaft, oder vermehrt es letztlich nicht die Zahl und das Leid der Op­fer?

- Verträgt sich militärische Gewalt mit dem Ziel eines gerechten Friedens als umfassender politischer Handlungso­rientierung?

Angesichts menschlicher und gesell­schaftlicher Katastrophen in einem Ausmaß wie in Bosnien-Herzegowina und zum Teil noch erschreckender in vielen anderen Regionen der Welt stellt sich die berechtigte und dringende Frage, wie den Opfern geholfen und Schutz geboten werden kann. Ein "Wir haben gewarnt" wäre ebenso wie ein Verweis auf künftige präventive Frie­densgestaltung fehl am Platz, weil bei­des den zur Zeit notleidenden Menschen nicht hilft. Angesichts dieses Dilemmas hält eine Minderheit in Pax Christi ein begrenztes militärisches Eingreifen für gerechtfertigt, um schutzlosen Men­schen zu helfen und dadurch größere Gewalt zu vermeiden. Wir verstehen dies als Ausdruck ihrer Analyse und ih­rer Gewissenentscheidung.

Die Mehrheit in Pax Christi sieht im militärischen Eingreifen auch hier kein geeignetes Mittel der Friedenswahrung und Friedenserzwingung, weil nach ihrer Meinung mit militärischer Gewaltan­wendung kein gerechter Frieden zu er­reichen ist.

3. Die Problematik militärisches Ein­greifens

Der weltpolitische Umbruch nach Ende des Ost-West-Konfliktes hat Destabili­sierung und Gewalt bewirkt.

- Die weltweite Durchsetzung unsozi­aler Marktwirtschaft bewirkt die Spaltung in Reiche und Arme. Als zentrale Ursache vieler erweist sich die zunehmende Armut und die stän­dige Verschlechterung der wirt­schaftlichen und sozialen Situation in vielen Ländern und Regionen. Strukturelle, vor allem ökonomische bedingt Gewalt schlägt in offene Ge­walt um, wie dies auch in der Nord-Süd-Erklärung von 1992 dargestellt worden ist.

- Sogenannte ethno-nationalistische Auseinandersetzungen stellen die Politik, auch eine zivile Friedenspo­litik, vor neue Herausforderungen. Dies Auseinandersetzungen werden instrumentalisiert, um mit entspre­chenden Feindbildern von den Pro­blemen der Verarmung und von machtpolitischen Interessen abzulen­ken.

Die deutsche Sektion von Pax Christi ist der Ansicht: Nur eine Politik, die sich an der gewaltfreien Option orientiert, si­chert dauerhaft den Frieden.

Der Ruf nach Militäreinsätzen aus Anlass des Bosnien-Krieges als angeblich "letztes Mittel" ist Ausdruck einer ge­scheiterten Politik, die zu wenig auf zi­vile Konfliktlösungen setzt und vor­handene internationale Instrumente zur Konfliktlösung (z.B. OSZE) nicht nutzte. Auch Deutschland ist in dem Konflikt auf dem Balkan durch gravie­rendes Fehlverhalten der Bundesregie­rung tief verstrickt. Entgegen dem früh­zeitig verhängten Waffenembargo stammen 75% der kroatischen Waffen aus Deutschland. Es ist kaum anzuneh­men, daß diese riesigen Waffenexporte ohne Duldung oder gar direkte Unter­stützung durch die Bundesregierung nach Kroatien gelangen konnten. Offen­kundig ist, daß auch die anderen Kon­fliktparteien im ehem. Jugoslawen ent­gegen dem UNO-Embargo von ver­schiedenen Seiten mit Waffen beliefern werden.

Pax Christi weigert sich, durch eine Zu­stimmung zu Militäreinsätzen eine Poli­tik zu legitimieren, die sich selbst in eine angebliche "ultima ratio"-Situation gebracht hat. Es ist zu befürchten, daß dies in ähnlichen Fällen auch weiterhin geschieht. Die Konzentration auf militärische Optionen versperrt die Sicht auf andere Möglichkeiten und die Notwen­digkeit, dafür die erforderlichen materi­ellen und menschlichen Ressourcen zur Verfügung zu stellen. Zudem ist die in­ternationale Politik dadurch blockiert, daß die einzelnen Regierungen ihre unterschiedlichen Interessen verfolgen. Die militärische Intervention in Ex-Ju­goslawien ist im Zusammenhang mit der Tendenz zu sehen, die NATO immer mehr in ein Bündnis zu Verteidigung und Durchsetzung von westlichen Inter­essen zu verändern.

Pax Christi weigert sich deshalb auch, durch eine Zustimmung zu NATO-Ein­sätze im Bosnien-Konflikt ein Militär­bündnis zu legitimieren, das seine Funktion immer deutlicher in der Ver­teidigung nationaler/regionaler Interes­sen sucht, zur weltweiten Durchsetzung der eigenen wirtschaftlichen Interessen bereit ist und zu einem Bündnis der Rei­chen gegen die Armen wird.

Die militärische Parteinahme, indirekte oder direkte, gleichgültig für wen, er­weist sich als schädlich, auch wenn die­ses mit dem Ziel des Schutzes bedrohter Menschen durchgeführt wird:

1. Es gibt es keine kriegerischen Hand­lungen, in denen zwischen Kombat­tanten und Zivilisten unter den Op­fern generell unterschieden werden kann. Über 90% der Opfer in den Kriegen seit 1945 sind Zivilisten

2. Wer die Möglichkeit zu militärischen Interventionen weltweit offen halten will, ist verantwortlich für weiteren Rüstungswettlauf, weitere Waffen­produktion und -entwicklung, den weiteren Bestand von Militärbünd­nissen und Armeen.

3. Teure Rüstung auf modernstem Ni­veau führt zur Fortsetzung weltweiter Rüstungsexporte.

4. Wer auf militärische Mittel als ultima ratio setzt, behindert gewollt oder ungewollt die Entwicklung ziviler Konfliktlösungsmöglichkeiten. Das notwendige Umdenken der Bevölke­rung wird blockiert.

5. Wer kriegerische Optionen als letztes Mittel befürwortet, gesteht dem Staat, solange die Allgemeine Wehrpflicht besteht, das Recht zu, seine Bürger (und eventuell auch Bürgerinnen) zum Töten auszubilden und auf Be­fehl hin einzusetzen.

4. Forderungen an eine zivile Frieden­spolitik

Die zentrale Frage, der sich Pax Christi stellen muß, lautet: Welche unverzicht­bare politische Aufgabe haben wir in den gegenwärtigen Auseinandersetzun­gen und wie ist diese zu erfüllen?

Gewaltminderung ist nur möglich, wenn an die Stelle militärischer Sicherheit die Perspektive menschlicher Sicherheit und sozialer Gerechtigkeit tritt. Auch die aktuelle Situation auf dem Balkan zeigt deutlich, daß eine Region erst dann frie­densfähig wird, wenn es eine wirt­schaftliche und soziale Perspektive gibt.

Soziale Gerechtigkeit muß weltweit er­reicht werden durch die Förderung men­schlicher und nachhaltiger Entwicklung. Eine ziviler Friedenspolitik kann gelin­gen, wenn das militärische Instrumenta­rium kontrolliert, dann reduziert und schließlich abschafft wird. Gleichzeitig werden Möglichkeiten gewaltfreier Konfliktinterventionen entwickelt und ausgeweitet.

Für die Situation im früheren Jugosla­wien heißt das:

- Alle Aktivitäten zu unterstützen, die von Menschenrechtsorganisationen ausgehen;

- zur Kriegsdienstverweigerung und Desertion aufzurufen;

- in der Bundesrepublik Flüchtlinge und Deserteure aus dem früheren Ju­goslawien wenigsten bis zum Ende des Krieges aufzunehmen und De­sertion als Asylgrund anzuerkennen;

- eine Politik zu beginnen, die darauf achtet, daß negative Sanktionen wie das Rüstungsembargo eingehalten werden;

- positive Sanktionen wie konkrete Aufbauhilfen glaubhaft anzukündi­gen;

- nicht nur mit Regierungen und Mili­tärs, sondern vor allem mit zivilen, am Frieden orientierten Kräften im früheren Jugoslawien auf allen Seiten zusammenzuarbeiten und für eine Öf­fentlichkeit gegen die Kriegspropa­ganda zu sorgen.

Generell sind die friedensfördernden Anstrengungen zu verstärken, die neben vielen anderen Friedensgruppen Pax Christi seit Jahren von der Politik einzu­fordert:

- Eine umfassende Reform der UNO mit den Zielen wirtschaftlicher Ge­rechtigkeit, Demokratisierung und der Entwicklung gewaltfreier Ein­greifgruppen;

- die Weiterentwicklung des Völker­rechts und der internationalen Ge­richtsbarkeit;

- ein umfassender Aufbau der Instru­mentarien zur zivilen Konfliktlösung und die Entwicklung eines zivilen Friedensdienstes;

- Maßnahmen zur Konfliktprävention und die Bekämpfung von Fluchtursa­chen durch strukturelle Änderungen der weltweiten ökonomischen und ökologischen Rahmenbedingungen;

- ein internationales Abkommen zur Aufnahme von Kriegsflüchtlingen und Deserteuren;

- der Abbau der Rüstung, die Förde­rung der Rüstungskonversion und ein Verbot von Rüstungsexporten.

Pax Christi wird sich wie bisher für eine aktive, gewaltfrei friedensschaffende Rolle engagieren. Wir verwahren uns gegen den Vorwurf, bislang untätig ge­wesen zu sein, und verweisen auf den Einsatz von zahlreichen Freiwilligen in den Flüchtlingslagern, auf die Betreu­ung von Deserteuren und die Organisa­tion medizinischer Hilfe für Kriegsop­fer.

wir werden weiterhin,

- die Möglichkeiten, Bedingungen und praktischen Schritte einer zivilen Friedenspolitik weiterentwickeln, zu­sammen mit Gruppen und Organisa­tionen, die sich ebenfalls für eine zi­vile Friedenspolitik einsetzen;

- den Aufbau des Zivilen Friedens­dienstes tatkräftig unterstützen und die Idee einer internationalen zivilen Eingreifgruppen werben;

- uns an nationalen und internationalen Friedenskonferenzen für eine zivile Gesellschaft (z.B. HCA) aktiv betei­ligen;

- Chancen und Risiken gewaltarmen Eingreifens durch eine reformierte UNO in Pax Christi diskutieren.

(...)

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