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Interview mit Ulrike Donat
Prozessieren im Wendland
vonFriedensforum: Frau Donat, Sie kämpfen als Anwältin seit Jahren für das Demonstrationsrecht, gegen polizeiliche Gewalt bei Demonstrationen, gegen einschränkende Auflagen der Behörden. Dieser Kampf ist oft sehr mühsam. Erfolge sind schwer zu erstreiten. Worin sehen Sie die gravierendsten Beschränkungen der Demonstrationsfreiheit?
Ulrike Donat: Die Demonstrationsfreiheit ist durch den Ausbau der Sicherheitsgesetze seit 2001 bedroht. Alle Vorfeldbefugnisse wie Kontrollstellen, verdachtsunabhängige Personalien feststellungen, Kfz-Kennzeichenabgleich bis hin zu Telefonüberwachung und längerfristige Observation wurden schon eingesetzt im Vorfeld von Großdemonstrationen wie bei Castor-Transporten und beim G 8 in Heiligendamm, häufig aus nichtigem Anlass und wegen überzogener „Gefahrenprognosen", die mit abstrakten Terrorgefahren kombiniert wurden. Umfangreiche Kontrollen und Datensammelei gefährden aber den „ungebärdigen" staatsfreien Charakter der Versammlungsfreiheit und können den Einzelnen von der Grundrechtsausübung abhalten - dies sagte das Bundesverfassungsgericht schon im Brokdorf-Beschluss. Die bisherigen Gesetzesvorschläge von Regierungsseite. für Landesversammlungsgesetze - allen voran Bayern - greifen ebenfalls nur die Wünsche der Polizei nach umfassender Kontrolle auf, gehen al¬so zurück auf Vorstellungen des vordemokratischen Obrigkeitsstaates.
Friedensforum: Wenn man als Demonstrierender Opfer polizeilicher Gewalt geworden ist - welche Chancen hat man, rechtlich dagegen vorzugehen?
Ulrike Donat: Typische Juristinnenantwort: das hängt davon ab. Unmittelbare Polizeigewalt gegen einzelne sollten diese nur anzeigen und verfolgen, wenn der Vorfall gut dokumentiert ist mit Zeugen, Fotos, Videos etc. In jedem Fall sollte vor einer Strafanzeige gegen die Polizei anwaltlicher Rat eingeholt werden, weil prügelnde Polizisten häufig mit einer Gegenanzeige wegen Widerstand reagieren. In den vergangenen Jahren haben wir aber viele Erfolge vor Gericht gehabt vor allem mit nachträglichen Feststellungsklage gegen Eingriffe in die Versammlungsfreiheit und in die Freiheit des einzelnen durch Polizeikessel und Gewahrsam, aber auch gegen umfangreiche Behinderungen und Kontrollen etwa der Anlieger bei Castortransporten. Gerichtliche Erfolge haben dort eine veränderte Polizeipraxis bewirkt, wie wir in diesem Jahr feststellen konnten.
Friedensforum: Sie haben viele Castor-Demonstrationen mit ganzen Gruppen von Anwältinnen und Anwälten begleitet. Das war oft eine sehr wichtige Stütze, um Recht direkt vor Ort durchzusetzen und polizeiliche Willkür einzuschränken. Kann man sich noch trauen, ohne anwaltliche Rückendeckung eine Demonstration anzumelden bzw. an Demonstrationen teilnehmen, für die gewalttätige Auseinandersetzungen - polizeilich prognostiziert werden?
Ulrike Donat: Die überwiegende Anzahl von Demonstrationen verläuft friedlich. Die Polizei prognostiziert oft „Gewalt", wo keine ist. Reine Sitzblockaden z.B. sind nach der Wackersdorf-Entscheidung keine „Gewalt". Bei Gewaltprognosen und der Gefahr von Versammlungsauflösungen ist anwaltliche Beratung oder Begleitung angesagt, weil die Beteiligten, vor allem die Versammlungsleiter, ein hohes Kriminalisierungsrisiko haben und.um polizeiliche Eskalationsversuche zu entschärfen. Auch nimmt die Polizei ihre eigene Prognose z.B. zum Anlass für Datensammelei im Vorfeld und für Filmaufnahmen, die dann zur Verfolgung einzelner auf späteren Demonstrationen führen. Wenn überhaupt, gelingt es hier nur erfahrenen Anwältlnnen, Filmaufnahmen zu verhindern.
Friedensforum: Oft wurden bei Castor-Demos ganze Dörfer eingekesselt. Was nützt es, gerichtlich hinterher Erfolg zu haben, wenn die Polizei nächstes Mal wieder genauso handelt?
Ulrike Donat: Die Einkesselungen der Dörfer Grippel und Laase beim Castor¬Transport 2003 haben wir erfolgreich beklagt. Diese Polizeipraxis hat sich seitdem nicht wiederholt. Erfolgreich waren auch Klagen gegen Gewahrsamnahmen. Einen Überblick über diese „Erfolgs-Stories" bieten www.rav-polizeirecht.deund www.castor.de. Seitdem hat sich die Zahl der Freiheitsentziehungen bei Castor-Transporten reduziert von 800 bis 1200 bei den Transporten 2001 und 2002 auf ca. 30 in diesem Jahr (bei der dreifachen Teilnehmerzahl). In anderem Kontext gibt es auch andere 'Erfahrungen - etwa in Hamburg, wo die Polizei immer vor Gericht die Rechtswidrigkeit ihres Handelns anerkennt, nur um beim nächsten Anlass genauso zu handeln. Daraus schließe ich vor allem: Klagen müssen mit guter Öffentlichkeitsarbeit begleitet werden, wenn sie längerfristig Erfolg haben sollen, umgekehrt schaffen Klagen auch öffentliche Aufmerksamkeit. Und: ,,Anerkenntnisurteile" wie in Harnburg sind kein „effektiver Rechtsschutz".
Friedensforum: Sie haben bei Castor-Transporten und, auch beim G-8-Gipfel gegen vorab erlassene Allgemeinverfügungen geklagt, mit denen das Demonstrationsrecht massiv einzuschränken versucht wurde. Welche Schlüsse ziehen Sie aus den Ergebnissen der Klagen?
Ulrike Donat: Mit den Klagen gegen die Allgemeinverfügungen rund um Gorleben seit 1994 - also seit 14 Jahren! - haben wir zwar selten vor Gericht Erfolg gehabt, aber doch Schritt für Schritt die polizeiliche Willkür zurückgedrängt. 2001 gab es noch Camp- und Beherbergungsverbote und Personenkontrollen im Fünf-Kilometer-Radius. Schon am Wochenende vor dem Transport galten totale Versammlungsverbote. Heute kann immerhin die Auftaktveranstaltung am Samstag wieder vor dem Verladekran oder vor dem Zwischenlager stattfinden, und selbst die ,,Stuhlprobe" direkt vor dem Verladebahnhof ist möglich am Tag der Einfahrt des Zuges. Das sind Erfolge für die Verteidigung der Versammlungsfreiheit, wenn auch kleine. Das letzte Wort wird das Bundesverfassungsgericht haben. Dort stehen Verfassungsbeschwerden gegen die Allgemeinverfügungen von 2003 und 2004 zur Entscheidung an. Diese Teilerfolge haben aber zu tun mit der immer wiederkehrenden Situation bei den Castor-Transporten. Anders war es etwa beim Sternmarsch in Heiligendamm: Dort konnte die Polizei mit Falschinformationen das Bundesverfassungsgericht von der Aufrechterhaltung des Verbotes überzeugen, obwohl die ursprüngliche Gefahrenprognose verfassungswidrig war. Also: Versammlungsverbot rechtswidrig, Versammlung trotzdem verboten. Dies ist auch leider eine Erfahrung, die immer wiederkehrt. Da hilft nur der nachträgliche Rechtsschutz, um polizeiliches Übermaß für die Zukunft zu be¬schränken, so wie die Brokdorf-Entscheidung nicht mehr der Brokdorf-Demonstration selbst geholfen hat, wohl aber der Versammlungsfreiheit in den nächsten 20 Jahren. Auch helfen nachträgliche Klagen, die Kriminalisierung der Veranstalter abzuwehren, und das Auflagenunwesen im Versammlungsrecht konnten wir nur so angehen.
Friedensforum: Welche Erfahrungen haben Sie mit Gewahrsamnahmen von Demonstrierenden? Sowohl bzgl. Unterbringung als auch der rechtlichen Situation? Ulrike Donat: Präventiver Gewahrsam wird bei politischen Demonstrationen zunehmend als Disziplinierungsinstrument und Ersatzbestrafung eingesetzt. Ohnehin kann der Eingriff in das hohe Rechtsgut „Freiheit" nur bei ernsthaften Gewalttaten - etwa im Kontext von Nazi¬Aufmärschen - angemessen sein, nicht aber für Verstöße gegen das Versammlungsrecht. Abgesehen vom Sonderrecht beim G 8 haben wir hier mit anwaltlicher Begleitung viele Erfolge zu verzeichnen. In Lüchow-Dannenberg ist die Zeit der Unterbringung mehrere Hundert Gefangener in ehemaligen Fahrzeughallen Geschichte - seit einer gewonnenen Verfassungsbeschwerde und 2000 nachträglicher Klagen. Auch die Dauer von Polizeikesseln konnten wir durch die Durchsetzung von Mindestanforderungen bei der Versorgung erheblich reduzieren. Nunmehr stellt sich ein neues Problem der „Ersatzbestrafung": Die Polizeigesetze erlauben präventiven Langzeitgewahrsam von bis zu 4 oder bis zu 10 Tagen - das ist nach Bundesland unterschiedlich. Es gibt jedoch keine Gewahrsamseinrichtungen, die einen Mindeststandard von Haftbedingungen wie Hofgang, Tageslicht, Mobiliar, Beleuchtung und Beschäftigungsmöglichkeiten bieten. Dies ist aber bei mehrtägiger Haft erforderlich, wie auch die Anti-Folterkommission der Europäischen Gemeinschaft (CPT) in ihrem letzten Bericht angemahnt hat.
Friedensforum: Sie haben unseres Wissens vor längerem eine Klage gegen Wasserwerfereinsätze geführt. Wie ist die Sache ausgegangen?
Ulrike Donat: Das Bundesverfassungsgericht hat nach 10 Jahren Verfahrensdauer die Verfassungsbeschwerde abgewiesen, allerdings ohne überzeugende Gründe, wohl eher wegen Richterwechsel und der überlangen Verfahrensdauer. Es ging um den erstmaligen Einsatz der neu¬en Hochdruckwasserwerfer beim „Tanz auf dem Vulkan" in Gorleben Anfang der 80er-Jahre. Sie wurden ohne jede besondere Vorwarnung eingesetzt mit knochenbrechender Wirkung und erheblichen Verletzungen. Der erste Todesfall durch Wasserwerfer war dann kurz später - der Demonstrant wurde allerdings überfahren. Hochinteressant an diesem Verfahren war übrigens die Einsicht in die Befehlsstruktur der Besatzung: Einer befiehlt, einer fährt, einer reguliert den Druck (ohne selbst zu sehen), einer richtet den Strahl (ohne die Schmerzensschreie zu hören) - das hat mich sehr an die Milgram-Experimente erinnert. Inzwischen wurde - auch aufgrund dieses Verfahrens - die Polizeidienstvorschrift zum Einsatz von Wasserwerfern geändert.
Friedensforum: Wie kann man anwaltliche Hilfe in Demonstrationssachen finden, ohne gleich ein Vermögen zahlen zu müssen? An wen kann man sich konkret wenden, wenn man eine Demo anmelden will, gegen Auflagenerteilungen vorgehen will oder schlicht Opfer von Polizeigewalt wurde?
Ulrike Donat: Wer geringes Einkommen hat, bekommt staatliche Prozesskostenhilfe bei Erfolgsaussicht der Klage, allerdings nicht für Strafverfahren. Vermögen muss allerdings vorrangig eingesetzt werden, nicht aber das Schonvermögen oder selbstbewohntes Wohneigentum. Insbesondere Musterklagen werden manchmal auch von den örtlichen Ermittlungsausschüssen oder der „Roten Hilfe" unterstützt. Diese vermitteln auch qualifizierte anwaltliche Hilfe vor Ort, ebenso der RAV (www.ravev.de) oder die Strafverteidigervereinigung des jeweiligen Bundeslandes oder Bürgerrechtsvereinigungen. Wer keine Prozesskostenhilfe bekommt, ist ggf. auf Spendensammeln angewiesen. Die öffentliche Aufmerksamkeit für diese Themen steigt mit dem Interesse an Bürgerrechtsthemen.