Gemeinwesenberatung

Räume für echte Kommunikation schaffen

von Robin Kendon

Fünfhundert Menschen versammeln sich in der Turnhalle und wollen wissen, ob, wo und wann in ihrem Ort Geflüchtete untergebracht werden. Vorne sitzen Bürgermeister, stellvertretender Landrat,  Betreiber, Polizei; das Schulamt, das Sozialamt, das Ordnungsamt, und andere sind für Fachfragen auch da. Die Stimmung ist gereizt, viele Ängste und Sorgen kommen zum Ausdruck, auch viele Vorurteile. Der Moderator muss oft dolmetschen, um eine gute Kommunikation aufrechtzuerhalten, und das Gespräch immer wieder von den allgemeinen Klagen über die Asylpolitik auf die lokale, reale Frage zurückholen. 2015 hatten Kommunalverwaltungen alle Hände voll, Menschen ein Dach überm Kopf zu geben – und mussten ihr Handeln erklären und rechtfertigen.

Gefühlt jede Woche eine Meldung: Ein Asylbewerber wurde aus einer Gruppe heraus angepöbelt und körperlich angegriffen. Die Polizei wird von aufmerksamen BürgerInnen gerufen und erwischt die Tätergruppe, die in der Pressemitteilung als polizeibekannt bezeichnet wird und manchmal der rechtsextremen Szene zuzuordnen ist. Vereinfacht dargestellt, musterhaft für Vorfälle, die aktuell landauf, landab passieren. Jede rassistische Gewalttat sendet auch eine Botschaft: An die Opfer und ihresgleichen heißt es: „Wir wollen Euch nicht“; an die Tätermilieus heißt es: „Wir sind hier, wir sind stark“. Da ist es wichtig, dass die demokratische Gesellschaft darauf reagiert, um ihre Solidarität mit den Opfergruppen zu zeigen und die Gewalttaten zu ächten.

Eine Bekannte verschickt unerwartet Emails mit Informationen über „alternative Geldanlagen“. Beim genauen Lesen enthalten die Mails Hinweise auf das „Königreich Deutschland“, also „Reichsbürger“. Aber wieso kommt es, dass ausgerechnet diese Person so etwas verbreitet? Und was sollte man tun?

Personen und Organisationen in der Integrationsarbeit erhalten Postkarten mit einem „Gutschein“ für die Ausreise. Manche EmpfängerInnen sind verunsichert, manche ignorieren sie. Wiederum andere erstatten gemeinsam Anzeige, um öffentlich zu signalisieren, dass sie sich nicht einschüchtern lassen.

Eine Gruppe von Landfrauen möchte in der Willkommensarbeit aktiv werden und lädt zu einem Gespräch ein, weil ihre Mitglieder zur Asylpolitik, zum lokalen Rechtsextremismus und zu den vielen gängigen Vorurteilen einfach viele Fragen haben. Oft fehlen geeignete Orte, wo informiert und konstruktiv über solche Themen diskutiert werden kann, und auch die GesprächspartnerInnen mit der nötigen Fach- und Kommunikationskompetenz.

Die Arbeit des Mobilen Beratungsteams im Land Brandenburg liefert viele Beispiele für rechtsextremes und rechtspopulistisches Handeln und für das Engagement vieler Menschen für demokratische Grundwerte. Das sind immer konkrete Fragen: Konflikte, Vorfälle, Kontroversen, die im besten Fall zu konstruktiven Auseinandersetzungen werden können.

Neben den bereits genannten Auseinandersetzungen mit dem „rechten Rand“ lassen sich weitere nennen: Anti-Asyl-Demonstrationen von „Bürgerbündnissen“; „Reichsbürger“, die Verwaltungen lahmlegen und ihre MitarbeiterInnen bedrohen; und Fragen wie: Wo liegt die Grenze des „Akzeptablen“ in einer Kirchengemeinde? Darf ein ausgestiegener Rechtsextremer bei der Stadtverwaltung angestellt werden? Wie soll ein Fußballverein mit dem Sohn eines NPD-Funktionärs umgehen?

Die Auseinandersetzung ist komplexer geworden
Die Auseinandersetzung mit dem „rechten Rand“ ist allerdings in letzter Zeit viel komplexer geworden. Es gibt nicht mehr nur die eindeutig rechtsextremen Aktionen von Parteien wie die NPD oder von sogenannten „freien Kräften“, den militanten politisch organisierten Rechtsextremen. Nicht nur Wahlkampfstände und Aufmärsche. Wir haben mit einem breiten Spektrum zu tun, in dem nicht alle rechtsextrem sind. Neben den genannten „klassischen“ rechtsextremen Gruppen agieren zahlreiche weitere: „Pegida“ & Co ziehen vorwiegend die „Wutbürger“ der Generation 50+ an. Die „Identitäre Bewegung“ spricht via Internet die Zielgruppe Jugend mit „spektakulären“ Aktionen an. In rechtspopulistischen Gruppen, vor allem in und um die AfD, treffen sich u.a. Konservative, die die CDU verlassen haben, „neue Rechte“ und andere Rechtsextreme, die dort eine Chance sehen, ihre eigene Sache zu machen. Unter dem Begriff „Reichsbürger“ finden sich gesellschaftliche VerliererInnen, Waffennarren, wirtschaftlich agierende esoterische AngstmacherInnen und auch gewaltbereite AntisemitInnen. (1). Medial wird dieses Spektrum von Publikationen wie die Junge Freiheit und Compact versorgt, aber vor allem das Internet wird für die Verbreitung von Propaganda, Behauptungen („Fake News“) und mehr oder weniger versteckter Ideologie benutzt.

Der Rechtspopulismus arbeitet gerne mit Grenzverschiebungen, aber das ist auch eine alte Strategie von Rechtsextremen: Es wird zuerst provoziert und später relativiert. Das sorgt dafür, dass Wohlmeinende den Redner noch am rechten Rand des demokratischen Konservativismus verorten können, während die äußerste Rechte die Bilder wohl zu lesen weiß. Stück für Stück wird die Grenze des Sagbaren immer weiter nach rechts verschoben: „Das wird man wohl noch sagen dürfen“. Dann tritt aber ein weiteres Phänomen ein: Grundrechte gelten nur für die eigene Person oder Gruppe. Das Recht auf Meinungsfreiheit wird für sich in Anspruch genommen, während jede klare Aussage „Das ist Rassismus“ Empörung auslöst. Das ist sozusagen kommunikative Fundamentalopposition, Diskurs unerwünscht.

Vor dem Hintergrund manchmal großer Unzufriedenheit mit den Eliten von Politik und Wirtschaft wird die bestehende gesellschaftliche Ordnung nicht nur ideologisch, sondern auch im konkret Persönlichen infrage gestellt, untergraben, angegriffen – zersetzt. Einige Teile davon sind mit dem „Brexit“-Votum oder der Wahl von Donald Trump zu vergleichen. Andere Teile sind spezifisch deutsch oder spezifisch rechtsextrem. Die Verbindungen zwischen den Teilen und deren AkteurInnen sind nicht immer leicht zu erkennen – aber der Blick auf das Ganze hilft, um auf das Konkrete zu reagieren.

Handlungsfähigkeit gegen Rechts schaffen
Um gegen Rechtsextremismus, Reichsbürgertum und Rechtspopulismus wirksam zu werden, ist es wichtig, die gesellschaftliche Mehrheit inhaltlich demokratisch zu stärken. Das heißt, nicht nur vor den Gefahren von Rechtsaußen zu warnen (und Angst zu schüren), sondern so aufzuklären, dass Handlungsfähigkeit und –sicherheit entstehen kann.

Dazu gehört auch, sich nicht auf das Freund-Feind-Denken des rechten Randes einzulassen. Gegenseitiges Beleidigen verhärtet nur die Fronten und blockiert jeden Diskurs. Stattdessen heißt es, Räume für echte Kommunikation schaffen, um kommunikative Brücken zu bauen.

Zurück zu den EinwohnerInnenversammlungen: Mit kompetenten Ansprechpersonen im Podium, mit dem Fokus auf die konkreten, realen Fragen, und der Aussage, jede Frage bekommt eine Antwort, konnten wir vielerorts für einen direkten Informationsfluss sorgen, in fast allen Versammlungen mindestens „etwas Dampf aus dem Kessel“ lassen, oft auch noch die Entstehung von Willkommenskreisen fördern. Und wenn ein Fragesteller die Antwort auf seine eigene Frage unterbrochen hat, gab es klare Kante vom Podium: „Ich habe Ihnen zugehört, jetzt hören Sie mir zu!“, meistens mit Zustimmung des Publikums. In dem Moment, wo innerhalb des Publikums eine Diskussion beginnt, findet der Diskurs nicht nur zwischen „Obrigkeit und Volk“, sondern in der Gesellschaft des Ortes statt. Eine Form des demokratischen Empowerments.

 

Anmerkung
(1) Für eine ausführliche Beschreibung, siehe Dirk Wilking (Hg.): Demos – Brandenburgisches Institut für Gemeinwesenberatung. „Reichsbürger“. Ein Handbuch. Potsdam 2015

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Robin Kendon arbeitet seit 1999 im Mobilen Beratungsteam Brandenburg.