Erste ermutigende Urteile ergangen: "Watsche für den Bundesinnenminister"

Rasterfahndung für unzulässig erklärt

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Das Landgericht Berlin machte am 22. Januar den Auftakt und erklärte die Rasterfahndung gegen ausländische Studenten für unzulässig. Am 7. Februar folgte das Landgericht Wiesbaden für den Bereich der hessischen Hochschulen. Beide Gerichte berufen sich auf Einschätzungen der Bundesregierung, dass keine konkreten Anzeichen für terroristische Anschläge in Deutschland bestehen. Für eine so einschneidende viele Unschuldige betreffende Maßnahme erfordert das Gesetz laut den Gerichten eine konkrete "gegenwärtige Gefahr für den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes oder für Leib, Leben oder Freiheit einer Person" Wir dokumentieren den Bericht von Jörg Schindler zum ersten Urteil in der Frankfurter Rundschau vom 23.01.2002, die im Vorspann wertet: "Experten werteten die Entscheidung als ´Watsche für die Berliner Polizei- und Innenverwaltung und vor allem für den Bundesinnenminister`." (d.Red.).

BERLIN, 22. Januar. Das Berliner Landgericht hat sich hinter die Beschwerde von drei ausländischen Studenten der Humboldt-Universität gegen die Rasterfahndung gestellt. Die Voraussetzungen für Datenkontrolle in großem Stil seien in Berlin nicht erfüllt, vielmehr sei das Vorgehen der Polizei dazu geeignet, Bürgerrechte auszuhebeln. Ein anders lautender Beschluss des Amtsgerichts Tiergarten sei somit obsolet.

Das Amtsgericht hatte kurz nach den Terroranschlägen in den USA der Polizei erlaubt, sämtliche ausländischen Studenten zu überprüfen, die legal in Berlin leben und sich zum Islam bekennen. Knapp 1000 Studierende gerieten so ins Visier der Fahnder. Den Beamten wurde gestattet, sich unzählige Daten über sie zu beschaffen - sei es von Universitäten, Telefonfirmen oder von "Einrichtungen mit Bezug zur Atomenergie". Als Begründung hatten die Amtsrichter angegeben, es bestehe eine "Gegenwärtigkeit der Gefahr".

Das Landgericht sieht das anders. Eine gegenwärtige Gefahr, heißt es in dem Beschluss, der der FR vorliegt, sei von der Polizei "weder dargelegt noch sonst ersichtlich". Die Richter berufen sich auf die Bundesregierung: Diese habe seit dem 11. September vielfach erklärt, es gebe in Deutschland "nach wie vor keine konkreten Anhaltspunkte für terroristische Anschläge". Auch habe die Polizei "trotz entsprechender Aufforderung" nicht begründen können, wieso eine unmittelbare Gefahr bevorstehen soll. Rasterfahndung, so die Richter, sei nicht schon deshalb zulässig, "weil sich nicht definitiv ausschließen lässt, dass sich in Deutschland so genannte Schläfer aufhalten". Die Ermittler hätten sich bislang nur in Mutmaßungen geübt. "Offenkundig", so das Landgericht, "ist nicht einmal die in Berlin vermutete Zelle der Al Qaeda bisher Ziel präventiv-polizeilichen Handelns" gewesen.
 

Berlins Innensenator Ehrhard Körting (SPD) nannte Agenturen zufolge die Entscheidung "schlichtweg falsch" und kündigte Rechtsmittel an. Der Anwalt der Studenten, Sönke Hilbrans, sprach von einem mutigen Urteil. Es sei vor allem für Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) peinlich. Denn der habe "als Erster und am lautesten getönt", dass die Rasterfahndung nötig sei. "Keine Stellungnahme", hieß es dazu in Schilys Ministerium.

Der Richterspruch, so Hilbrans, werfe ein grelles Licht auf Urteile aus anderen Bundesländern. Dort sei die Rasterfahndung bislang entweder "durchgewunken" oder bestenfalls - wie in Frankfurt am Main - noch einmal zur Überprüfung geschickt worden. Andererseits habe die Datenkontrolle zu großer Verunsicherung unter ausländischen Studenten geführt. Auch in Berlin habe es, wie in Hamburg, bereits so genannte Gefährdeansprachen gegeben. Dabei seien etliche Studenten, vermutlich auf Grund der Rasterfahndung, von der Polizei befragt worden - "ohne konkreten Anlass", so der Jurist.

Der ReferentInnenrat der Humboldt-Uni äußerte Genugtuung. Man werde nun alles daransetzen, dass die Daten der "stigmatisierten Kommilitonen" sofort gelöscht werden, sagte Sprecher Oliver Stoll. Auch gelte es, die Rasterfahndung andernorts zu stoppen. Das Urteil, so Stoll, "hat hoffentlich eine große Tragweite".

aus: Frankfurter Rundschau 23.01.2002

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