Rechtsextremismus – Tendenzen und Gefahren

von Christoph Butterwegge

Nach einer längeren Schwächeperiode droht der Rechtsextremismus künftig wieder mehr Einfluss zu gewinnen, ohne dass man sich dieser Gefahr bewusst wäre. Ein möglicher Grund dafür dürfte in seiner enormen Flexibilität, großen Anpassungsfähigkeit und geschickten Mimikry liegen. Vielfach gilt der Rechtsextremismus inzwischen als normale Randerscheinung der Demokratie, die tolerierbar ist. Schließlich tragen neuere Entwicklungen auf dem Weltmarkt, die als „Globalisierung“ bezeichnet und damit mehr verklärt als verständlich gemacht werden, bis in die Mitte der Gesellschaft hinein zur Ausbreitung ultrarechter Tendenzen bei.

Alle sprechen derzeit über die globale Finanzkrise, bloß sehr wenige Menschen hingegen noch über den Rechtsextremismus, dessen Parteien zwar bei Wahlen zuletzt miserabel abgeschnitten haben, aber gerade dann eine akute Gefahr bilden, wenn die gesellschaftliche Mitte in einer neuerlichen Weltwirtschaftskrise zerbröselt und immer mehr Menschen berechtigte Angst vor dem sozialen Abstieg haben. Schließlich hat das Kleinbürgertum in Deutschland auf schwere Wirtschaftskrisen und gesellschaftliche Umbrüche häufig irrational reagiert und nach Rechtsaußen tendiert, weshalb man die drohenden sozialstrukturellen Verwerfungen mit Sorge betrachten muss.

Rechtsextremismus: Organisationsformen, Ideologien und Strategien
„Rechtsextremismus“ umfasst politische Organisationen, Gruppierungen und Parteien, aber auch geistige Strömungen, Bewegungen und Bestrebungen außerhalb solcher Zusammenschlüsse, die – häufig unter Androhung und/oder Anwendung von Gewalt – demokratische Grundrechte einzuschränken bzw. ganz abzuschaffen, in der Regel sozial benachteiligte, aufgrund phänotypischer Merkmale wie der Hautfarbe, dem Körperbau oder der Haarbeschaffenheit bzw. nach der ethnischen Herkunft, weltanschaulichen, religiösen oder sexuellen Orientierung unterscheidbare, von der gültigen „Standardnorm“ abweichende Minderheiten auszugrenzen, auszuweisen oder – im Extremfall – auszurotten suchen. Gleichzeitig suchen sie jene Kräfte zu schwächen oder gar auszuschalten, die für deren umfassende Integration, gesellschaftliche Emanzipation und mehr Möglichkeiten demokratischer Partizipation für alle WohnbürgerInnen eintreten.

Kernideologien, Organisationsformen, politische Strategien und soziale Wählerpotenziale des Rechtsextremismus fächern sich im Zuge der ökonomischen Globalisierung auf. Die extreme Rechte der Bundesrepublik zerfällt in vier Fraktionen, von denen die ersten beiden antiglobalistisch bzw. -modernistisch sind und im Januar 2005 mit dem „Deutschland-Pakt“ ein (Wahl-)Bündnis miteinander geschlossen haben:

  1. Die deutschnational bzw. völkisch-traditionalistisch orientierten Gruppierungen mit der Deutschen Volksunion (DVU) an ihrer Spitze wenden sich bei Wahlen primär an die VerliererInnen der neoliberalen Modernisierung. Sie reaktivieren in einer Mischung aus Nostalgie und sozialer Demagogie die Erinnerungen der Großvätergeneration an die glanzvolle Vergangenheit der Nation, beschwören die ruhmreichen Siege der Nazi-Wehrmacht sowie den Heldenmut des deutschen Frontsoldaten in beiden Weltkriegen und propagieren Vaterlandsliebe, Heimatverbundenheit und Traditionspflege. Damit suchen sie ihrer überalterten Klientel angesichts der Herausforderung durch die Globalisierung ein Gefühl sozialer „Nestwärme“, Sicherheit und Geborgenheit in der (Volks-)Gemeinschaft zu vermitteln.
  2. Gefährlicher ist der nationalrevolutionäre bzw. -sozialistisch orientierte Flügel, repräsentiert von den Jungen Nationaldemokraten (JN), ihrer Mutterpartei, der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD), und den Neonazis der „freien“ Kameradschaftsszene. Er verbindet das völkische Ideologieelement stärker mit einer Fundamentalkritik am bestehenden Wirtschafts- und Gesellschaftssystem, ohne dass der Kapitalismus als solcher verdammt wird. Er rückt die soziale Frage noch mehr in den Mittelpunkt, bekämpft die Demontage des Wohlfahrtsstaates durch die „Systemparteien“ und sucht die jugendliche Subkultur im Sinne von Rechtsextremismus als Event durch Übernahme szenetypischer Symbole, Musikstile und Kleidung an sich zu binden. Man bemüht sich jedoch nicht bloß um eine kommunalpolitische Basis im Osten der Bundesrepublik, sondern sucht durch zahlreiche Demonstrationen und Aufsehen erregende Kampagnen wie die „Aktion Schulhof“, bei der flächendeckend CDs mit rechtsextremen Liedtexten verteilt wurden, auch in Westdeutschland stärker als bisher Fuß zu fassen.
  3. Von untergeordneter Bedeutung sind derzeit die REPublikaner als Vertreter jener Richtungsgruppierung im ultrarechten Spektrum, die „moderner“ erscheint, weil sie mehrheitlich viel eher dem Mainstream entspricht, den Protektionismus und sozialen Paternalismus des Nationalsozialismus überwunden und sich gegenüber dem Wirtschaftsliberalismus geöffnet hat. Dass auch der Bund Freier Bürger (BFB), die Partei Rechtsstaatlicher Offensive (PRO) von Ronald Barnabas Schill und die Deutsche Partei (DP) wie viele andere rechtsextreme Splittergruppen vor ihnen gescheitert sind, bedeutet nicht, dass solche Organisationen für immer chancenlos wären.
  4. Die als „Bürgerbewegungen“ firmierenden Gruppierungen wie Pro Köln, Pro NRW und Pro Deutschland sind als rechtsextrem und -populistisch zu bezeichnen. Sie geben sich zwar seriös und bürgerlich-demokratisch, hetzen jedoch gegen ethnische und religiöse Minderheiten wie Muslime und veranstaltet „Anti-Islam-Kongresse“. Man nutzt den in der politischen und medialen Öffentlichkeit geschürten Sozialneid gegenüber noch Ärmeren – in diesem Fall: den angeblich „faulen“ bzw. „arbeitsscheuen“ Erwerbslosen und SozialhilfeempfängerInnen –, um von den eigentlichen Verursachern der sich vertiefenden Kluft im Land abzulenken. Außerdem fungiert der Dualismus von „Volk“, „Bevölkerung“ bzw. „mündigen Bürgern“ und „Elite“, „Staatsbürokratie“ bzw. „politischer Klasse“ als Dreh- und Angelpunkt der Agitation und Propaganda, ohne dass der Rechtspopulismus militante Züge aufweist und Gewalt zur Durchsetzung politischer Ziele anwendet oder androht.

Folgen der Weltfinanzkrise für Wohlstand und Demokratie
Während die das Krisendebakel wesentlich mit verursachenden Hasardeure und Spekulanten mittels des „Finanzmarktstabilisierungsfonds“ aufgefangen werden, müssen die Mittelschichten, Arbeitslose und Arme die Suppe, welche uns Banker und Börsianer eingebrockt haben, vermutlich einmal mehr auslöffeln. Da die Haushalte von Bund und Ländern durch Bürgschaften und Kredite in Milliardenhöhe strapaziert sind, lassen sich Leistungskürzungen natürlich leichter als sonst legitimieren. Da sich die Verteilungskämpfe um die knappen Finanzmittel des Staates zwangsläufig intensivieren, dürfte das soziale Klima erheblich rauer werden. Ohne historische Parallelen überstrapazieren zu wollen, denkt man unwillkürlich an die Weltwirtschaftskrise gegen Ende der 1920er-/Anfang der 1930er-Jahre. Damals leiteten Bankpleiten und Börsenzusammenbrüche international den Niedergang von Unternehmen und riesige Entlassungswellen ein, die Massenarbeitslosigkeit, Sozialabbau sowie Not und Elend großer Bevölkerungskreise nach sich zogen, bevor der NSDAP und ihrem „Führer“ Adolf Hitler am 30. Januar 1933 die Machtübernahme gelang. Der schnelle Aufstieg des Nationalsozialismus wäre ohne diese spezifischen gesellschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen kaum möglich gewesen.

Ähnlich groß ist heute die Gefahr für die Demokratie, wenn der Sozialstaat erneut durch eine Weltwirtschaftskrise und einen drastischen Beschäftigungseinbruch unter Druck gerät. Nie gestaltet sich der geistig-politische Nährboden für Rechtsextremisten günstiger, als wenn diese auf die „Juden von der amerikanischen Ostküste“ verweisen und vom sozialen Abstieg bedrohten Gesellschaftsschichten geeignete Sündenböcke präsentieren können. Wenn sich bei der ohnehin erodierenden Mittelschicht die Furcht ausbreitet, in den von der Finanzkrise erzeugten Abwärtssog hineingezogen zu werden, sind irrationale Reaktionen und politische Rechtstendenzen mehr als wahrscheinlich. Davon könnte wiederum ein Signal an die Eliten ausgehen, das bestehende Gesellschaftssystem durch autoritäre Herrschaftsformen zu konsolidieren. Sofern das parlamentarische Repräsentativsystem in einer solchen Umbruchsituation scheinbar blockiert und durch seine Hilflosigkeit gegenüber Krisenerscheinungen der Ökonomie diskreditiert ist und die Politik der etablierten Parteien als durch mächtige Lobbygruppen korrumpiert gilt, haben rechtsextreme bzw. -populistische Gruppierungen relativ gute Chancen, politisch stärker Einfluss zu nehmen und auch bei Wahlen erfolgreich zu sein.

Umso notwendiger wäre es, möglichst viele Menschen für eine soziale, humane und demokratische Krisenlösung zu gewinnen. Dafür bietet die momentane Umbruchsituation ebenfalls geeignete Anknüpfungspunkte, denn noch nie war es so offensichtlich wie heute, dass der Neoliberalismus als politische Leitkultur und Lebensform des Gegenwartskapitalismus gescheitert ist. Es bedarf deshalb nicht nur größerer Transparenz auf den Finanzmärkten, mehr öffentlicher Aufsicht und wirksamer Regulierungsmaßnahmen, was strengere staatliche Kontrollmechanismen, Verbote etwa im Hinblick auf die Nutzung von Steueroasen und schärfere Sanktionen bei Verstößen gegen solche Vorschriften einschließen müsste. Sondern es bedarf auch tief greifender Bewusstseins- und Verhaltensänderungen der allermeisten Gesellschaftsmitglieder. Markt, Konkurrenz, Karriere und Leistung dürfen nicht mehr im Mittelpunkt stehen, statt „Privatinitiative“, „Eigenverantwortung“ und „Selbstvorsorge“, die würdige Unworte des Jahres wären, weil sie bloß die wachsende öffentliche Verantwortungslosigkeit kaschieren, sind künftig wieder Solidarität und soziales Verantwortungsbewusstsein gefragt.

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