NATO und Rüstungsexporte

Rüstungsexport-Supermacht NATO

von Jürgen Grässlin
Schwerpunkt
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20 Kriege, 16 begrenzte Kriege, 222 gewaltsame Konflikte zum Wohle der Rüstungsproduzenten – allen voran in der NATO.

Krieg wird zurzeit geführt in Afghanistan, Libyen, Syrien und im Irak – um nur die medial meistbeäugten Regionen militärischer Konfliktaustragung zu benennen. Auch im Jemen läuft ein bestialischer Krieg, der in den Medien hierzulande allerdings bewusst eine untergeordnete Rolle spielt angesichts der Mitverantwortung durch Kriegswaffenexporte an die von Saudi-Arabien geführte Militärallianz.

Präzise beleuchtet dagegen das „Conflict Barometer“ (Konfliktbarometer) des Heidelberger Instituts für Internationale Konfliktforschung (HIIK) das globale Konfliktpanorama, das im Jahr 2017 „von Unstetigkeit und Wandel“ geprägt war und bis heute ist. Das HIIK verzeichnete „zahlreiche neu entfachte sowie beendete Konflikte“.

Entsprechend der selbst entwickelten Methodik zählt das HIIK weltweit insgesamt 222 gewaltsame Konflikte. „Während die Anzahl der Kriege (20) sich um zwei erhöhte, sank die Anzahl der begrenzten Kriege (16) um vier“, bilanziert das HIIK. (Quelle: https://hiik.de/2018/02/28/konfliktbarometer-2017/)

Wie aber ist es möglich, weltweit 20 Kriege und 16 begrenzte Kriege zu führen sowie zeitgleich weitere 222 Konflikte auszutragen? Wer liefert die Waffen, mit denen sich die Kombattanten über lange Jahre hinweg bedrohen, beschießen und ermorden können? Die Frage trifft ins Mark, denn eine erste wichtige Feststellung lautet: Die meisten der kriegführenden Staaten verfügen über kaum oder keine eigenen Kapazitäten der Waffenproduktion. In kriegführenden Ländern, in denen einst eigene Produktionskapazitäten vorhanden waren, wurden diese längst von Feinden dem Erdboden gleich gemacht.

Wer Krieg führen will, muss sich bis an die Zähne hochgerüstete Freunde zulegen oder Kriegswaffen in gewaltigen Mengen bei rüstungsproduzierenden Unternehmen der Industrieländer ordern. Angesichts der immensen Zahl von Kriegen und der unglaublichen Eskalation von Gewalt im Rahmen der „Kriege gegen Terror“ steigt das Volumen des weltweiten Waffenbazars seit Anfang des Jahrtausends stetig. Mit großem Abstand führende Hauptlieferanten sind Staaten der NATO. Davon profitieren allen voran die Manager und Aktionäre der Rüstungskonzerne.

Rückschritt in die Zeit des Kalten Krieges
Die Wende brachten die Terroranschläge von New York und Washington vom 11. September 2001. Mit den gezielt herbeigeführten Flugzeugabstürzen auf die Twin Towers und das Pentagon rief die US-Regierung den „Krieg gegen den Terror“ aus. Seither führt sie – gemeinsam mit ihren westlich orientierten Alliierten – Krieg in Afghanistan und weiteren Ländern.

Vorbei und vergessen die Neunzigerjahre, in denen nach der Auflösung der Warschauer Vertragsunion und der deutsch-deutschen Wiedervereinigung Entspannungspolitik angesagt war. Damals hatten die Militärausgaben in aller Welt ihren zwischenzeitlichen Tiefpunkt erreicht und waren auf rund eintausend Milliarden US-Dollar pro Jahr gesunken – Friedensbewegte rund um den Globus hofften damals auf weitere drastische Reduzierungen, um mit der freiwerdenden Friedensdividende die wahren Menschheitsprobleme finanzieren und lösen zu können.

Doch in der Folge von 9/11 stiegen die Militärausgaben weltweit wieder auf das Niveau des Kalten Krieges in den Achtzigerjahren an. Mit dem ersten Jahrzehnt des neuen Millenniums wurden diese, maßgeblich unter dem Druck wechselnder US-Regierungen, auf mehr als 1500 Mrd. US-Dollar gesteigert. Der neue Negativ-Rekordwert dieses Jahrtausends wurde 2017 mit 1739 Mrd. US-Dollar an militärischen Ausgaben erreicht, wie das Stockholm International Peace Research Institute (SIPRI) berechnete.

Betrachtet man das Ranking der führenden Staaten im Trend der militärischen Ausgaben in aller Welt („Trends In World Military Expenditure“) profitieren von dieser Aufrüstungswelle allen voran die Militärs in den NATO-Staaten – und hier vor allem die Vereinigten Staaten von Amerika: So entfallen allein auf die USA 35 Prozent aller Ausgaben für militärische Zwecke. Im Ranking der TOP 15 weltweit sind sieben NATO-Staaten verzeichnet: die USA (auf Platz 1 / mit Militärausgaben in Höhe von 610 Mrd. US-Dollar), Frankreich (6 / 57,8 Mrd. USD), Großbritannien (7 / 47,2 Mrd. USD), Deutschland (9 / 44,3 Mrd. USD), Italien (12 / 29,2 Mrd. USD), Kanada (14 / 20,6 Mrd. USD) und die Türkei (15 / 18,2 Mrd. USD). Macht summa summarum – allein berechnet auf die 15 führenden Staaten – ein Volumen von 827,3 Milliarden US-Dollar. Auf den Plätzen zwei bis fünf rangieren China (2 / geschätzt 228 Mrd. USD), Saudi-Arabien (3 / geschätzt 69,4 Mrd. USD),  Russland (4 / 66,3 Mrd. USD) und Indien (5 / 63,9 Mrd. USD).

Diese unglaubliche Militarisierungs- und Aufrüstungswelle dient einerseits dem Aufwuchs der militärischen Stärke der NATO als größtem Militärbündnis der Welt, andererseits der Befeuerung besagter Kriege und gewaltsamer Konflikte in aller Welt – und das alles zum Wohle der Rüstungsindustrie und ihrer AktionärInnen.

Rüstungskonzerne der NATO
Das immens gestiegene Investitionsvolumen in Armeen und deren Bewaffnung verstärkt den Trend der globalen Destabilisierung. Mehr Waffen führen keinesfalls zu mehr Sicherheit und Frieden, vielmehr zu mehr Aggression und Gewalteskalation und verlängerter Konfliktaustragung mit noch mehr Opfern. Mit der massiven militärischen Aufrüstung geht eine eklatante Steigerung der Rüstungsexporte einher.

Für den Bereich der von SIPRI ausschließlich erfassten Großwaffensysteme (Kampfpanzer, Kriegsschiffe, Kampfflugzeuge und Militärhelikopter) dokumentiert das Stockholmer Friedensforschungsinstitut mit seinen Jahresberichten eine düstere Entwicklung. So wurden auch die weltweiten Verkäufe von Kriegswaffen im ersten Jahrzehnt des neuen Jahrtausends wieder drastisch gesteigert. Sie haben sich im zweiten Jahrzehnt auf immens hohem Niveau stabilisiert und lagen 2017 bei beachtlichen 398,2 Milliarden US-Dollar. Gegenüber dem Vorjahr (2016) bedeutete dies eine Steigerung um 2,5 Prozent.

Vergleicht man die Werte von 2002 mit denen von 2017, so sind die Waffenexporte der führenden 100 Rüstungskonzerne („Top 100“) in diesen 15 Jahren um 44 Prozent gestiegen. Einmal mehr liegt die NATO mit ihren bekanntesten Waffenschmieden klar in Front. Unter den 25 größten rüstungsexportierenden Unternehmen finden sich zwanzig aus Ländern der NATO, vier aus Russland und eines aus Japan.

Liefer- und Empfängerländer der Großwaffenexporte
Die Entwicklung im Bereich der globalen Rüstungsexporte im Großwaffenbereich war und ist negativ. Vergleicht man die Waffentransfers im Fünfjahreszeitraum von 2008 bis 2012 mit denen von 2013 bis 2017, so muss hier eine zehnprozentige Steigerung attestiert werden. Unter den TOP 10 der Lieferländer finden sich laut SIPRI sieben NATO-Staaten, das NATO-nahe Israel sowie die kommunistischen Staaten Russland und China.

Fazit
Eine übermächtige NATO setzt ihre Gegner massiv unter Druck – mit fatalen Folgen: Sowohl Mitglieder der NATO als auch Russland, China und Israel transferieren in beträchtlichem Umfang Kriegswaffen und Rüstungsgüter (z.B. Militärfahrzeuge) an menschenrechtsverletzende bzw. kriegführende Staaten – und das sogar unter den Top 3 ihrer jeweiligen Empfängerländer. Gründe für eine derart verwerfliche Rüstungsexportpolitik sind das Streben nach staatlicher Machterweiterung, Profitgier sowie die Sicherung von Mindestkapazitäten und Arbeitsplätzen in der landeseigenen Rüstungsindustrie – keinesfalls aber Aspekte von Ethik und Moral.

Diktatoren und Scheindemokraten, Generäle und Warlords in den Krisen- und Kriegsgebieten in aller Welt dürfen sich über die Skrupellosigkeit freuen, mit der sie von NATO-Staaten sowie von deren Gegnern mit Kriegsgerät versorgt werden. Frieden, Freiheit und Menschenrechte werden verbal postuliert und zugleich zusammengeschossen und weggebombt. Und auch hier gilt: Das westliche Militärbündnis liegt rein quantitativ weit voraus. Allein die sieben NATO-Mitgliedsländer im Top-10-Lieferranking verantworten 58,8 Prozent der weltweiten Kriegswaffentransfers.

Mit der drohenden Aufrüstung im Rahmen des von US-Präsident Donald Trump massiv eingeforderten Steigerung der Militärausgaben zum Erreichen des Zwei-Prozent-Ziels des Bruttoinlandproduktes – wohlgemerkt eines jeden NATO-Landes – wird eine stetige Steigerung der Rüstungsexporte einhergehen.

Längst reagieren sowohl China als auch Russland ihrerseits mit massiven Zuwächsen ihrer Militärausgaben auf den von der NATO durch Kriegsbeteiligungen, Auslandseinsätze, Militärmanöver und Rüstungsexporte ausgehenden Druck. Allen voran verzeichnet China ein Wachstum der Militärausgaben um unglaubliche 110 Prozent im Zeitraum von 2008 bis 2017. Indien steigerte seine Ausgaben um 45 Prozent, was sich u.a. mit der Bedrohungslage in der Großregion China, Indien und Pakistan erklären lässt. Und Russland, erklärter Hauptfeind der NATO, legte bei den Militärausgaben in den Jahren nach 2008 um 36 Prozent zu. Mit dieser neuen Aufrüstungswelle droht die Eskalation gewaltsamer Konfliktaustragung auf den Schlachtfeldern der Welt einherzugehen.

Schon heute sterben Abertausende Menschen durch den Einsatz von Kriegswaffen, mehr noch werden verstümmelt und verkrüppelt. Die Organisation „Action on Armed Violence“ (AOAV) beziffert die Zahl der allein durch explosive Waffen ums Leben gekommenen oder verletzten Menschen 2018 auf 32.102. Rund 70 Prozent von ihnen waren ZivilistInnen.

Für Friedensbewegte gilt es in diesen entscheidenden Jahren den Gegendruck auf die Regierungen in ihren jeweiligen Ländern massiv zu verstärken. So könnte auch das Ziel der deutschen Kampagne „Abrüsten statt Aufrüsten“ erreicht werden. RüstungsexportgegnerInnen in aller Welt schließen sich mit ihrem Engagement bei der vom RüstungsInformationsBüro und der DFG-VK gegründeten digitalen Informationsplattform GLOBAL NET – STOP THE ARMS TRADE zusammen. Am 18. Februar veröffentlicht das GN-STAT den FALL 03 zu den – in ihrer Hemmungslosigkeit schwerlich zu überbietenden – weltweiten Waffenexporten des NATO-Partners Israels.

Weitere Informationen: siehe https://abruesten.jetzt,/www.gn-stat.org, www.rib-ev.de, www.aufschrei-waffenhandel.de, www.dfg-vk.de und www.juergengraesslin.com
Jürgen Grässlin ist u.a. Sprecher der Kampagne „Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel!“, Bundessprecher der Deutschen Friedensgesellschaft - Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK) und Vorsitzender des RüstungsInformationsBüros (RIB e.V.). 2018 gründete Grässlin mit Friedensfreunden das GLOBAL NET – STOP THE ARMS TRADE als ein weltweites Netzwerk gegen Waffenhandel, das Rüstungsexportskandale in mehreren Weltsprachen publiziert. Er ist Autor zahlreicher kritischer Sachbücher über Rüstungsexporte sowie Militär- und Wirtschaftspolitik, darunter internationale Bestseller. Grässlin wurde mit bislang zehn Preisen für Frieden, Zivilcourage, Medienarbeit und Menschenrechte ausgezeichnet
Kontakt: Tel.: 0761-7678208, Mob.: 0170-6113759, E-Mail: jg [at] rib-ev [dot] de, graesslin [at] dfg-vk [dot] de

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Jürgen Grässlin ist Sprecher der Kampagne »Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel!«, Bundessprecher der Deutschen Friedensgesellschaft - Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK), Sprecher der Kritischen AktionärInnen Daimler (KAD) und Vorsitzender des RüstungsInformationsBüros (RIB e.V.).