Schweik in Wollongong

von Brian Martin

Die Schweik-Aktion Wollongong ist nach dem „Guten Soldaten Schweik", dem fiktiven Charakter in Haseks Roman benannt. Dieser verursachte Chaos in der österreichischen Armee während des ersten Weltkrieges, indem er vortäuschte, extrem dumm zu sein. Wir sind daran interessiert, Gewaltfreiheit voranzubringen, aber es tauchen Probleme mit dem Wort „Gewaltfreiheit" auf: Es ist negierend und die Leute meinen zu wissen, was es bedeutet, aber die meisten tun es nicht. Der Name Schweik-Aktion ist ungewöhnlich und weckt Neugier, wodurch uns möglich wird, über die eigentlichen Themen zu reden.

 

Wollongong ist eine Stadt an der Pazifikküste 80km südlich von Sydney mit einer Bevölkerung von 250.000 Menschen. Es ist eine Arbeiterstadt mit einem hohen Anteil an Immigranten aus vielen Ländern. Der Bezirk ist geprägt durch das einzig noch verbleibende integrierte Stahlwerk Australiens.

Die Schweik-Aktion Wollongong wurde 1986 gegründet und ist seitdem immer eine kleine Gruppe mit 3-5 Mitgliedern gewesen. Wir begannen damit, Soziale Verteidigung als eine Alternative zu militärischer Verteidigung zu propagieren und haben unsere Interessen ausgeweitet auf eine Auswahl an Themen, die mit Gewaltfreiheit zu tun haben. Wir haben eine Langzeit-Perspektive eingenommen. Andere Friedensgruppen in Wollongong haben in Krisenzeiten an Größe und Aktivität zugelegt, so beispielsweise während des Irakkrieges, um dann in anderen Zeiten bis zum Nichts zurückzugehen. Wir bei Schweik indessen haben weitergearbeitet wie gewöhnlich. Wir beteiligen uns auch an sonstigen Friedensaktivitäten, aber Schweik hilft uns, unsere Aufmerksamkeit primär Aktivitäten der Sozialen Verteidigung zuzuwenden.

Wir haben eine Reihe von Projekten gemacht, die man als Gemeinde-Forschung bezeichnen könnte. In einem Projekt beobachteten wir gewaltfreie Aktionen innerhalb und gegen unterdrückende Verwaltungsapparate, genauer gesagt Organisationen, die auf Hierarchien und Arbeitsteilung basieren, wie es bei den meisten großen Unternehmen und Regierungseinrichtungen der Fall ist. Wir wussten, dass die Nazis, als sie europäische Länder eroberten, die existierenden Verwaltungsapparate nutzten und manchmal die leitenden Angestellten austauschten. Hätten sich alle Angestellten geweigert, Anweisungen zu folgen oder gekündigt, so wäre es für die Nazis viel schwieriger gewesen, die besetzten Länder zu kontrollieren.

Daher suchten wir nach Beispielen von Infragestellungen bürokratischer Eliten. Zu unserer Überraschung war es schwierig, solche Beispiele zu finden. Wir fanden ein paar lokale Fälle wie die Bewegung für die Priesterweihe (Ordination) von Frauen innerhalb der australischen anglikanischen Kirche und das Anzweifeln diskriminierender Arbeitspraktiken in den Stahlwerken Wollongongs durch die dortigen ArbeiterInnen. Wir untersuchten diese und andere auch historische und ausländische Beispiele und interviewten Beteiligte, um Einblicke zu erhalten.

Interviews wurden zu einer unserer produktivsten Aktivitäten. Wir interviewen Menschen, um herauszufinden, was sie Relevantes. zum gewaltfreien Kampf zu sagen haben. Aber um dies zu tun, müssen wir ihnen unser Projekt erklären, was bedeutet Gewaltfreiheit zu erklären. So lernen die Interviewten Gewaltfreiheit kennen und werden gezwungen, darüber in Beziehung zu Themen, mit denen sie vertraut sind, nachzudenken. Dies ist, wie wir herausfanden, viel besser, als zu versuchen, Menschen davon zu überzeugen, dass Gewaltfreiheit erstrebenswert ist.

Nach der Informationssuche zu den einzelnen Fällen, wie der Bewegung zur Ordination von Frauen, planten wir, was wir zu schreiben vorhatten. Das Bürokratie-Projekt führte zu unserer umfangreichsten Publikation, einer Broschüre von 55 Seiten. Schweik hat keinerlei finanzielle Mittel und kein Bankkonto, wenn wir also etwas produzieren wollen, dann investieren wir selber Geld oder bekommen Unterstützung von Menschen, die wir kennen. Da wir nicht mit dem Verkauf unserer Bürokratie-Broschüre belästigen wollten, finanzierten wir den Druck selber und verschenkten sie. Wir stellen außerdem all unsere Publikationen ins Internet (http://www.uow. edu.au/arts/sts/bmartin/others/SAW.html).

Wir stehen in Verbindung mit anderen Aktivisten sowohl aus Wollongong als auch aus anderen Teilen Australiens. Genauso wichtig sind aber auch internationale Verbindungen. Wir machen gerne Projekte, die andere Leute in unterschiedlichen Lagen anspornen können - wie auch wir uns von Initiativen andernorts anspornen lassen. Jeder von uns bei Schweik ist tätig in seinem täglichen Leben, somit auch in einem bezahlten Beruf: Als Gemeindeangestellter, Lehrer und Forscher. Wenn wir zusammenkommen, verbringen wir Zeit damit, Neuigkeiten aus unseren Privatleben auszutauschen und uns Unterstützung bei Problemen anzubieten. Die Gruppe ist wichtig für uns für diese persönliche Unterstützung.

Daher akzeptieren wir neue Mitglieder nur bei Einverständnis aller. Miteinander klarzukommen ist wichtig für uns. Obwohl die Mitgliederschaft sich über die Jahre verändert hat, so kam es doch nie zu herben persönlichen Konflikten.

Wir treffen uns ungefähr einmal im Monat, oft in einem Restaurant oder bei einem von uns zuhause. Unsere Projekte entwickeln sich meist langsam, weil wir individuell so beschäftigt sind und gegenseitige Unterstützung Priorität hat.

Nach Abschluss eines Projektes, wie beispielsweise des Bürokratie-Projektes, beschließen wir das nächste Projekt. Manchmal ist dies ein langwieriger Prozess. Wir wollen zu Themen arbeiten, die jeden von uns interessieren, sozial relevant sind und aus denen wir lernen können.

Wir haben einige Projekte im Zusammenhang mit Kommunikation gemacht. Eines beschäftigte sich mit Kommunikation in Gruppen, damit Gruppenmitglieder einander besser kennen lernen und fähig sind in Notfallsituationen miteinander zu kommunizieren. In einem anderen Projekt sprachen wir mit mehreren Feministinnen über ihre Erfahrungen in sozialen Aktionen und verfassten dann eine Broschüre in Form eines fiktiven Dialogs über feministische Aktionsansätze.

Nach dem 11.September wurde in Australien die Haltung Muslimen gegenüber deutlich feindlicher. Daher entschieden wir uns, Muslime in Wollongong zu interviewen und sie zu fragen, welche Arten von Wissen, Fähigkeiten und Kontakten ihnen helfen würden, mit Diskriminierung und Bedrohung umzugehen. Wir nutzten unsere persönlichen Kontakte, um mit etwa 15 Muslimen zu reden. Dabei bemühten wir uns um einen sozialen Querschnitt.

Wir schrieben ein Heft mit unseren Ergebnissen und verbreiteten es weit in der muslimischen Gemeinde. Aber genauso wichtig wie dieses Heft waren die Interviews. Es ging nicht so sehr darum, was wir fragten. Wichtig war, dass wir als Nicht-Muslime uns für das interessierten, was mit Muslimen passierte. Das übermittelte eine starke Solidaritätsbotschaft.

Eines Tages, als wir uns mit möglichen neuen Projekten beschäftigten, erwähnte jemand einen Artikel über Glück und binnen kurzem entschieden wir uns für dieses als unser neues Projektthema. Wir sprachen über unsere Erfahrungen mit Kampagnen, die alles betonten, was falsch war auf der Welt: Krieg, Armut, Folter, Ausbeutung. Aber wer möchte sich einer Bewegung anschließen, die durch und durch verhängnisvoll und trüb ist? Deshalb recherchierten wir einige Forschungen über Glück und berichteten, wie dies mit Aktivisten zusammenhängen kann. Das hat richtig Spaß gemacht!

Zurzeit untersuchen wir Wege, wie Aktivisten auf die neuen repressiven Anti-Terror-Gesetze der australischen Regierung reagieren können. Wir hoffen, Wege zu finden, Verbindungen zwischen verschiedenen Gruppen zu stärken. Dazu gehören Moslems, Umweltschützer, Juristen und Journalisten. Dieses Thema ist außerdem auch international von großer Relevanz.

Sich auf Repression zu fokussieren kann sehr deprimierend sein. Daher halten wir manchmal inne und sagen: ,,Wenn der gute Soldat Schweik heute in Australien wäre, wie würde er die Regierung dann wohl nerven?“

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Brian Martin ist Professor für Sozialwissenschaften an der Universität von Wollongong, Australien, und Autor von Büchern und Artikeln über gewaltfreie Aktion. Er ist aktiv in der Gruppe Schweik Action Wollongong, die gewaltfreiheitsbezogene Forschungsprojekte auf der Ebene der Gemeinschaft durchführt.