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Buchbesprechung: Tobias Singelnstein und Peer Stolle analysieren die Veränderung sozialer Kontrolle
Sicherheit im Wandel
vonSicherheits- und Kontrollmaßnahmen werden zuweilen nur sehr oberflächlich diskutiert. ,,Die Sicherheitsgesellschaft" von Tobias Singelnstein und Peer Stolle bietet einen guten Einstieg, um die Überwachung und Kontrolle der Gesellschaft in einen grundlegenderen Kontext zu stellen.
Die Diskussion um Sicherheit oder Freiheit ist eigentlich nicht sonderlich kompliziert. Um „uns" - mediatisiert durch den demokratisch legitimierten Staat - gegen die überbordenden Gefahren durch Terroristen und andere Kriminelle besser zur Wehr setzen zu können, bräuchten „wir" einen stärkeren Staat, sagen die einen. Von anderer Seite wird entgegnet, dass die Gefahren doch gar nicht so groß seien. Und dass die überbordenden staatlichen Kontrollmaßnahmen gegen die Grundrechte verstießen, da sie nicht mehr verhältnismäßig seien.
In der Tat tauchen diese beiden Diskussionsmuster in der täglichen politischen Debatte in immer wieder ähnlicher Form auf, sobald es um staatliche Eingriffe in die Rechte der Bürgerinnen geht. Zwar werden damit nicht gänzlich irrelevante Fragen aufgeworfen. Jedoch lässt eine solch singuläre Betrachtung den gesellschaftlichen Zusammenhang von Kontrolle und Überwachung außer Betracht.
Demgegenüber nehmen Tobias Singelnstein und Peer Stolle mit ihrem Buch ,,Die Sicherheitsgesellschaft" die Bedeutung von sozialer Kontrolle in ihrer Gesamtheit in den Blick. Bei ihrer Analyse beziehen sie sich in erster Linie auf Michel Foucault und den britischen Kriminologen David Garland, der die Veränderungen des amerikanischen Strafrechts vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Umbrüche analysiert hat. Demzufolge gehen auch die Autoren davon aus, dass die Sicherheitsarchitektur einer Gesellschaft auf ökonomischen, politischen und soziokulturellen Grundlagen basiert.
Veränderte gesellschaftliche Bedingungen
Diese Grundlagen waren in den vergangenen Jahrzehnten gravierenden Änderungen unterworfen. Das Ende des fordistischen Produktionsregimes hat zu einer perrnanenten Sockelarbeitslosigkeit geführt, der Wohlfahrtsstaat wird seitdem im Sinne ei¬ner neoliberalen Wirtschaftspolitik umgebaut. Parallel dazu haben soziale Institutionen wie die Familie an Bedeutung verloren, starre Strukturen wurden durch eine Pluralisierung des gesellschaftlichen Lebens abgelöst, was zur Verunsicherung des/der Einzelnen beigetragen hat.
Diese Bedingungen haben auch zu einer veränderten Sozialkontrolle geführt. Der Wohlfahrtsstaat war geprägt von der Integration der Gesamtgesellschaft durch Erziehung und Resozialisierung. Heutzutage wird die Abweichung von Normen als gesellschaftliche Realität hingenommen, um sie sodann möglichst effektiv zu verwalten. Bezugspunkt der Sozialkontrolle ist damit nicht mehr die Integration des Menschen, sondern die Bekämpfung der Gefahr. Dies wird deutlich an der zunehmenden Vorverlagerung polizeilicher und strafrechtlicher Befugnisse. Hinzu tritt der verstärkte Appell an die ökonomische Eigenverantwortung, um sicherzustellen, dass sich die Menschen an die Normen der Arbeitswelt halten.
Auf der anderen Seite werden diejenigen Menschen, die den sozialen Normen nicht gerecht werden, von der Gesellschaft ausgeschlossen - durch lebenslange Sicherungsverwahrung, Vertreibung von Obdachlosen aus Innenstädten oder schlicht den Abbau des Sozialstaates. Die Funktion dieser Exklusion besteht nicht allein in finanziellen Entlastungen, sondern auch in der Vermittlung von Sicherheit gegenüber der Rest-Gesellschaft. Neben diesen neuen Techniken sozialer Kon¬trolle tritt eine institutionelle Veränderung. Rechtsstaatliche Grenzen werden durch die Legitimierung des Ausnahmezustandes und der Ausschöpfung der technischen Möglichkeiten zu Lasten des Datenschutzes angetastet. Zudem findet eine zunehmende Privatisierung von Sicherheit statt.
Alternativen zur Sicherheitsgesellschaft
Die Autoren fassen diese Aspekte im Begriff der Sicherheitsgesellschaft zusammen und widmen sich schließlich der Kritik und alternativen Perspektiven. Sie plädieren für eine partizipative Demokratie und den Wandel des ökonomisch geprägten Freiheitsbegriffes. Den weit verbreiteten Diskursen, die sich auf rechtsstaatliche und grundrechtlichen Vorgaben beschränken, stellen sie ein alternatives Verständnis von Recht als Instrument zur Begrenzung von Herrschaft gegenüber und sprechen sich dafür aus, mit der herrschenden Diskussion über die ständig gefährdete Sicherheit zu brechen.
Die Formulierung von Kritik und die Entwicklung von Alternativen erscheint noch etwas vage und beschränkt sich auf eine leise Reform des gegenwärtigen Systems. Vorab liefern die beiden Autoren jedoch eine umfassende und sehr sachliche Analyse der Entwicklung sozialer Kontrolle, ohne in dogmatische oder polemische Ausführungen zu verfallen. Die Darstellung ist teilweise auf hohem akademischen Niveau. Sie bietet aber auch für kriminologische Laien mit kritischem Anspruch eine sehr gute Lektüre, um die gesellschaftlichen Zusammenhänge von Sicherheit und Kontrolle besser zu verstehen.