Sievershäuser Friedenspreis als Ermutigung für Friedensarbeit 1994

von Petra Metsch
Initiativen
Initiativen

"Wir möchten Gruppen und Einzelpersonen fördern, die Widerstand ge­gen Krieg und Gewalt leisten. Dies tun besonders Kriegsdienstverwei­gerer und Deserteure, aber auch andere Formen des zivilen Ungehor­sams und des Einsatzes gegen Gewalt und Ungerechtigkeit gehören dazu. Gerade Kriegsdienstverweigerer und Deserteure, die sich dem Bürgerkrieg im ehemaligen Jugoslawien entziehen, müssen hier Schutz und Unterstützung erhalten." (aus unserer Ausschreibung)

Der einzelne Soldat durfte sich, selbst wenn für ein verbrecheri­sches Regime wie das Nationalsozialistische getötet wurde, Befehlen nicht verweigern. Den­noch haben dies Einzelne immer wieder getan. Bis zum Ende des II. Weltkrieges wurden mehr als 15 000 Männer des-wegen hingerichtet, viele jahrelang in­haftiert. Trotzdem wurden die Überle­benden auch nach dem Kriege oft ver­achtet, ihre Tat war ein gesellschaftli­ches Tabu. Sie sind bis heute nicht re­habilitiert.

Heute sind viele Kriegsdienstverweige­rer und Deserteure aus dem ehe­maligen Jugoslawien, die sich weigerten, für einen der nationalisti­schen Führer auf Freunde und Verwandte zu schießen, aus Jugoslawien geflohen, auch in die Bundesrepublik. Hier werden sie meist wie an­dere Flüchtlinge behandelt und abgeschoben, wenn in der Region, aus der sie kommen, wieder "Alltag" herrscht. Daß sie weiterhin dem Zu­griff der jeweiligen Armee unterliegen, mit harten Strafen und Ver­setzungen an die Front zu rechnen haben, ist hier nicht "asylrele-vant". Die Gruppen und In­itiativen, die diese Männer unterstützen, verstehen ihre Arbeit als einen aktiven Beitrag zur Beendigung des Bal­kankrieges.

Diese beiden Aspekte in der aktuellen Auseinandersetzung mit Desertion und Kriegsdienstverweigerung hatten wir vor Augen, als wir den Schwerpunkt für die "Ermutigung 1994" wählten. Deser­tion und Kriegsdienstverweigerung wird von der Gesellschaft und erst recht vom Staat nicht als legitime Absage an Krieg und Gewalt akzeptiert. Dennoch können "mündige" Bürger sich heute weniger denn je nach den alten "Befehl und Gehorsam - Prinzipien" verhalten. Unabhängiges Denken, Mut zum Unge­horsam sind Tugenden selbständiger Bürgerinnen und Bürger.

In den uns eingereichten Vorschlägen spiegelt sich diese Diskussion wieder. Die Jury entschied sich für folgende Ermutigungen, die in einer Veranstal­tung am 10. 12. 1994, dem Tag der Menschenrechte, ausgesprochen wur­den.

Ermutigt wurde:

"Ludwig Baumann", Vorsitzender der Bundesvereinigung Opfer der NS-Militärjustiz e.V. für seinen langjährigen Einsatz für Deserteure und Wehrkraft­zersetzer des II. Weltkrieges,

"Deserteurberatung Wien", Österreich, für ihre Unterstützung von De­serteuren aus dem ehemaligen Jugoslawien, bisher konnten ca 1.200 Kriegsdienstverweige­rer beraten und betreut werden,

"Arbeitsgruppe Kriegsdienstverweige­rung im Krieg in der DFG-VK und connection e.V.", Offenbach, für ihre Beratung und Unterstützung von Kriegsdienstverweigerern und Deserteu­ren aus dem ehemaligen Jugosla­wien,

"Friedensbibliothek/Antikriegsmuseum Berlin" für ihre Ausstellung "Zerstörung und Erlösung" Bild-Dokumentation über Deserteure des II. Weltkrieges,

"Geistige Republik Zitzer", das Dorf Tresnjevac in der Vojvodina, für die Verweigerung des Wehrdienstes in der Rest-Jugoslawischen Ar­mee

"Totalverweigerer-Initiative Braun­schweig" für ihr Projekt "Ohne uns", Zeitschrift zur Totalen Kriegsdienstver­weigerung.

Jens Warburg von der AG KDV im Krieg ging in seinem Redebeitrag auf Desertion und Kriegsdienstverweigerung in ehemaligen Jugoslawien ein. "Kriegsflüchtlinge und Deserteure ha­ben die Kriegsparteien bis-her zwar nicht zum Frieden gezwungen, sie er­schweren den Kriegsherren durch ihre Flucht und Verweigerung aber das Kriegführen. Als Massenphänomen ent­ziehen sie eine Ressource, die sich nicht ersetzen läßt: den Menschen. Dieses Verhalten darf im Sinne der Kriegsher­ren nicht Schule machen, denn auf Freiwilligkeit will und kann sich keine Kriegspartei auf Dauer verlassen. Flucht aus dem Krieg, Verweigerung des Kriegsdienstes ist insofern eine legitime, begrüßenswerte und unterstützungswür­dige Reaktion des Individuums auf den Krieg. Stattdessen werden Deserteure und Kriegsdienstverweigerer aus der BRD abgeschoben. Dies kann nur als aktive Unterstützung der jeweiligen Kriegspartei bezeichnet werden."

Zur Sievershäuser Ermutigung haben wir die in der BRD existierenden De­serteur-DenkMale und Denkmal-Initia­tiven zusammengestellt. Zu Aus­einandersetzungen um Deserteure, Wehrkraftzersetzer und Kriegsdienstverweigerer im II. Weltkrieg kam es und kommt es immer dann, wenn auch ihrer gedacht werden soll. Diese oft als "Stein des An-stoßes" bezeichneten Mahn- und Denkmale werden zum Auslöser für die hitzigsten Debatten in der Presse, bei Veranstaltungen, Ausstellungen und in Filmdokumenten. Ein Denkmal für einen Deserteur, wenn es öffentlich an­genommen, geehrt oder auch nur tole­riert werden soll, wird fast immer als Anklage an die Soldaten des II. Welt­krieges verstanden. Es fällt offensicht­lich schwer, diese Auseinandersetzung mit unserer Geschichte auch als Suche nach einer anderen Tradition, einer an­deren Identifizierungsmöglichkeit zu verstehen. Warum nicht mit denen identifizieren, die Widerstand geleistet, sich gedrückt haben, desertiert sind und nein gesagt haben zu Krieg und Gewalt?

Ausgabe

Rubrik

Initiativen
Petra Metsch ist beim Antikriegshaus Sievershausen beschäftigt.