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Sind die GRÜNEN für die Friedensbewegung noch wählbar?
Sind die GRÜNEN für die Friedensbe¬wegung noch wählbar?
vonDie GRÜNEN haben sich in den letzten Jahren verändert. Von zahlreichen inneren Krisen geschüttelt, mit einer nicht unerheblichen MandatsträgerInnen und WählerInnen-Rotation und dennoch: Die (relativ gesehen) erfolgreichste politisch-parlamentarische Kraft der achtziger Jahre. Seriöse Schätzungen sehen jedes dritte aktive Mitglied zugleich als ParlamentarierIn, natürlich die meisten auf Kommunal- nicht wenige aber auch auf Landes-, Bundes- und Europaebene. Groß geworden mit und durch die sozialen Bewegungen Ende der siebziger und Anfang der achtziger Jahre, als quirlige Opposition- und Innovationsströmung gegen das Altparteienkartell scheinen sie jetzt den Gipfel ihres Einflusses erreicht zu haben: ökologisches ist (zwar nicht ausreichend, aber) erzeugt: Atomprogramm und andere Giganten-Projekte der siebziger Jahre verhindert oder zumindest verzögert; die Regierungsfähigkeit auf Landesebene unter Beweis gestellt.
Doch reicht das programmatische Profil, reichen Kreativität und Innovationsfähigkeit, ist eine in die Jahre gekommene, großen Teilen zwischenzeitlich stinknormal erscheinenden Partei noch in jenen Bevölkerungsgruppen verwurzelt, die in den achtziger Jahren ihre soziale Basis gebildet haben?
Diese Frage soll hier nicht unter dem Gesichtspunkt der Parteienkonkurrenz und des -vergleiches betrachtet werden (also der Frage nach programmatischem Profil und sozialer Basis von SPD, GRÜNEN und Linker Liste/PDS), sondern ausschließlich unter dem Gesichtspunkt des Verhältnisses von GRÜNEN zur Friedensbewegung. Zweifellos war die Friedensbewegung der frühen achtziger Jahre eine entscheidende Schubkraft für den parlamentarischen Aufstieg der GRÜNEN. Nicht nur der Kampf gegen neue Atomraketen mit den entsprechenden Massendemonstrationen, sondern auch der alltägliche Krieg gegen die Bevölkerung (durch Manöver, Tief- und Tiefstflug, durch neue Militärprojekte oder Belastung durch Truppenübungsplätze) wurde durch sie zum öffentlichen Thema und (nicht nur durch sie) zum festen Gegenstand parlamentarischer Auseinandersetzungen. Auch mehr grundsätzliche Aspekte eines anderen Verständnisses internationaler Politik (das "Neue Denken" zu Gunsten einer europäischen Friedensordnung und eines anderen Verhältnisses zur 2/3-Welt) sind wesentlich den GRÜNEN und dem sie stützenden außerparlamentarischen Engagement zu danken.
Doch wie sehen die positionellen, die strategischen und nicht zuletzt die personellen Weichenstellungen für die neunziger Jahre aus, zumal sich die internationalen und innenpolitischen Rahmenbedingungen durch die deutsche Schnellvereinigung, das Ende des militärischen West-Ost-Konflikts oder die Herausbildung von neuen Problem- und Konfliktkonstellationen .... verändert haben.
Nehmen wir zunächst die Personalauswahl (auf der Basis der Landeslistenaufstellungen in 10 von 11 westdeutschen Bundesländern. Hervorstechendes Merkmal ist der deutliche Trend zum Berufspolitiker/innentum. 15 von 43 Kandidaten/innen auf aussichtsreichen Plätzen (gemessen am Wahlergebnis von 1987) gehörten bereits früher einmal dem Bundes-, einem Landtag oder dem Europa-Parlament an; zwei von ihnen gehen sogar (fast) ohne Unterbrechung in die dritte Wahlperiode. Neben den Dauerparlamentariern/innen stechen die hauptamtlich Beschäftigten für die Partei, eine Bundes- oder Landtagsfraktion hervor; sie machen weitere 7 Personen aus, so daß zusammen über die Hälfte der aussichtsreichen Kandidaten/innen die parlamentarische Tätigkeit als willkommene berufliche Weiterentwicklung empfinden oder gar ein mehr oder weniger libidinöses Verhältnis zur parlamentarischen Tätigkeit besitzt. Betrachtet man die soziale Zusammensetzung und Herkunft der Genannten, so fällt auf, daß nunmehr aus dem Personenkreis niemand mehr der Friedensbewegung entstammt. Kein/e einzige/r hat in einer der Organisationen der Friedensbewegung, sei im christlichen,bürgerrechtlichen, ökologischen oder traditionssozialistischen Spektrum je eine Funktion in der Friedensbewegung (etwa in deren Koordinationsausschuß Anfang der achtziger Jahre) gehabt, niemand ist durch Mitorganisation von Demonstrationen oder Kampagnen, durch die Entwicklung oder Beteiligung an einschlägigen Diskussionsrunden aufgefallen. Lediglich die schleswig-holsteinische Spitzenkandidatin Angelika Beer, bereits in der vergangenen Legislaturperiode MdB, ist durch friedenspolitische Basiskontakte, allerdings nicht weit über den Umkreis der GRÜNEN Partei hinaus, aufgefallen. Alte Kämpen wie Petra Kelly, Alfred Mechtersheimer oder Roland Vogt wurden bei der Listenaufstellung gar nicht berücksichtigt, in Niedersachsen und Rheinland-Pfalz wurden friedenspolitisch engagierte Nachwuchskräfte auf weniger aussichtsreiche Plätze verwiesen.
Und programmatisch? Das Bundestagswahlprogramm, mehrfach umgeschrieben und zum Schluß wie üblich in Kampfabstimmungen angenommen, orientiert sich in seinem Forderungsteil sehr stark an dem siebenundachtziger Modell und zelebrierte im Willensbildungsprozeß einen Konflikt, der schon seit Jahren in der Friedensbewegung niemanden mehr interessiert, bei den GRöNEN aber immer wieder als Musterzankapfel für innerparteiliches Kräftemessen benutzt wird: Die NATO-Frage. Beschlossen wurde schließlich original jene Position, die 87 für kurzzeitige Furore sorgte. Insgesamt enthält der Programmteil Frieden wenig Neues, ja er erweckt in einigen Passagen einen routiniert-abgestandenen Eindruck.
Die positionellen Unterschiede im GRÜN-Alternativen Lager, etwa zu Kriegsdienstverweigerung/Totalverweigerung oder soziale Verteidigung werden geschickt kaschiert, die strategischen Herausforderungen für eine europäische Friedensordnung bestenfalls gestreift.
Unter einigen GRÜNEN-Vertretern, vorzugsweise wissenschaftlichen Mitarbeitern des Bundestagsfraktion, gibt es nicht nur eine wachsende Distanz zur Friedensbewegung, sondern zwischenzeitlich auch ein hämisch-oberlehrerhaftes Verhältnis.
Durch häufige Kommentare in der Tageszeitung TAZ macht insbesondere der Vorstandsmitarbeiter Udo Knapp von sich reden. Vehement bekämpft er partei-intern sowohl die Strategie der einseitigen Abrüstung als auch die Position zum NATO-Austritt. Kurz nach Ausbruch des Golf-Konflikts wurde von Knapp - wiederum in der TAZ vom 11.8.90 - auch das bislang bei den GRöNEN unumstrittene außenpolitische Prinzip der Selbstbegrenzung nicht nur in Frage gestellt, sondern über den Haufen geworfen. In dem besagten Artikel bekannte er sich zwar nicht zu einer militärischen Mitverantwortung der Bundesrepublik im Irak-Konflikt, sah aber dennoch diese als neue Weltmacht in der Verantwortung für eine logistische Unterstützung (des Engagements von USA und/oder Vereinten Nationen).
Legen solche öberlegungen ein völlig verändertes friedenspolitisches Grundverständnis (orientiert an "balance of power") offen, so verstärkt sich der Eindruck bei einer Betrachtung der Haltung der Partei zur gegenwärtig im Mittelpunkt der Aktivitäten der Friedensbewegung stehenden Kampagne "Bundesrepublik ohne Armee".
Bundesvorstand und -fraktion haben dazu eine zwiespältig-distanzierte Haltung entwickelt, lediglich die Gruppen an der Basis diskutieren und arbeiten vielerorts als engagierter Teil der Friedensbewegung mit. Der Bundesvorstand treibt, teils synchron, teils neben aber bisweilen auch gegen die BOA-Bemühungen eine eigene "Entmilitarisierungskampagne" voran, was die politische Durchschlagkraft derselben nicht erhöht und die - zweifellos vorhandenen - konzeptionellen Probleme der BOA-Kampagne einer gemeinsamen solidarischen Bearbeitung eher entzieht.
Aus den Reihen der Bundestagsfraktion sind auch keine (öffentlichkeitswirksamen) Unterstützungsbemühungen bekannt, wohl aber eine beißende Philippika des wissenschaftlichen Mitarbeiters im Bereich Friedenspolitik Wolfgang Bruckmann. Im Juni 1990 verfaßte er ein 14-seitiges Kritikpapier an den BOA-Initiativen, die die Ratlosigkeit der friedensbewegten Linken zeige, Nationalismus und hilflosen Antimilitarismus beinhalte, schließlich eine "Folie für Linkssektierer und Radikalpazifisten" aus dem Spektrum von Antiimperialismus, sozialer Verteidigung und wohlmeinendem friedensbewegten Milieu sei. (FR vom 30.8.1990).
Weniger interessant sind die Argumente Bruckmanns - sie sind zu einem Großteil diskutierbar, zu einem anderen Teil auch widerlegbar -, sondern mehr der Stil seiner Darlegungen: Offensichtlich führt nicht der Wunsch nach öberzeugung Andersdenkender in der Friedensbewegung ihm die Feder, sondern die Lust (vielleicht auch der Frust) auf eine hämische Attacke mit diffamierender Stoßrichtung die an den Stil der Springer-Presse von Anfang der achtziger Jahre erinnert.
Das mag eine Position sein, die auch bei den GRöNEN zumindest umstritten, wenn nicht gar in der Minderheit ist. Diese symbolisiert aber auch das Selbstverständnis einer Fraktion, die einmal als "parlamentarischer Arm der Bewegung" angetreten ist, und heute ein weithin unbeachtetes Eigenleben im Windschatten der großen Bonner Politik führt. Das genannte Selbstverständnis dürfte sie (so sie denn überhaupt eines beansprucht) selbst nicht mehr geltend machen, ebenso wie umgekehrt, der Anspruch der (noch) vorhandenen Bewegungen auf parlamentarische Umsetzung ihrer Anliegen stark reduziert worden ist.
Es ist nicht unrealistisch - und markiert die gewachsene Distanz -, wenn die GRÜNEN in ihrem neunziger Wahlprogramm lediglich noch vermerken, daß sie "der Friedensbewegung ... in starkem Maße verpflichtet" (seien). Das friedenspolitische Profil der Partei in den letzten Jahren ist konturenloser geworden, der Charakter von Partei (und insbesondere der Fraktionen in Bundes- und Landtagen) sich immer stärker auf eine klassische Machterwerbsgruppierung zu entwickelt. Die GRÜNEN haben das Glück - vielleicht ist es aber auch die logische Konsequenz ihres strukturellen (nicht inhaltlichen) Stabilisierungsprozesses, daß der Machtfaktor der neuen sozialen Bewegungen in den achtziger Jahren eher rückläufig war. So bleibt ihnen die massenhafte Frage erspart, die nun nur vereinzelt gestellt wird: Ob sie
bei den anstehenden Wahlen mehr bieten können als einen vielleicht besonders unterhaltsamen Faktor bei der Entscheidung zwischen den kleinsten der gegebenen übeln.