Solidarität mit dem "Neuen Forum" in der DDR

VertreterInnen von bundesdeutschen Friedensgruppen haben sich in einem Schreiben an das "Neue Forum" mit der Gruppe solidarisiert. Der Brief hat fol­genden Wortlaut:

 

Liebe Freundinnen und Freunde,

dem "Neuen Forum" ist vom Ministe­rium des Innern der DDR die Zulas­sung als Vereinigung im Sinne Art. 29 DDR-Verfassung verweigert worden. Uns ist diese Entscheidung unver­ständlich, und wir möchten Euch da­her ermutigen, unter Anwendung der rechtlichen und politischen Möglich­keiten Eure Ziele weiter zu verfolgen. Wir als Mitglieder von Friedens- und Bürgerrechtsgruppen in der Bundes­republik bekunden Euch unsere Soli­darität.

Wir setzen uns in der BRD dafür ein, daß die alten Feindbilder aufgelöst werden. Denn wir wollen verhindern, daß durch Antikommunismus und Haßtiraden das bisher Erreichte zu­rückgeworfen wird. Es liegt uns fern, Euch in Euren eigenen Angelegen­heiten Ratschläge zu geben oder die gegenwärtig außerordentlich ge­spannte Situation zwischen den bei­den deutschen Staaten zu verschärfen. Ihr seid stark genug, um für Eure In­teressen aus eigener Kraft einzutreten und zu kämpfen - die über 4000 Unter­schriften binnen weniger Tage seit Veröffentlichung Eures Gründungsaufrufes dokumentieren dies.

Aus Eurem Aufruf wissen wir, daß Ihr

  • nicht den Sozialismus in der DDR abschaffen wollt - wie man Euch vorwirft -, sondern Euch gerade für seinen Aufbau bzw. seine Umge­staltung einsetzt,
  • zur Verwirklichung der Demokratie durch Schaffung eines breiten Dia­logs über die Aufgaben des Recht­staats, der Wirtschaft und der Kul­tur beitragen wollt,
  • das gestörte Verhältnis zwischen Staat und Gesellschaft in der DDR verbessern wollt.

Gerade wenn man die Verfassung der DDR ernst nimmt, kann man nur zu dem Schluß kommen, daß Eure Ziele nicht nur mit ihr übereinstimmen, sondern genau ihrer Verwirklichung dienen (vgl. Art. 9 sozialistisches Ei­gentum, Art. 27 freie Meinungsäuße­rung, Art. 28 Versammlungsfreiheit, Art. 30 Freiheit der Bürger).

Um so mehr sind wir erschrocken, wenn wir hören, daß Euch jetzt eine staatsfeindliche Zielsetzung vorge­worfen wird. Wir fragen uns, warum gerade Kräfte wie Ihr, die Ihr Euch bemüht, den Sozialismus in der DDR attraktiv zu machen, jetzt von jenen diskreditiert werdet, die angetreten waren, einen sozialistischen Staat auf­zubauen. Gerade als Friedens- und Bürgerrechtsgruppen sind wir darüber enttäuscht, wenn die humanistischen Ziele Eures Aufrufes von der Regie­rung als dem Sozialismus gegenüber "feindselig" abgewehrt werden. Wir halten Euer Anliegen, durch innere Reformen das friedliche Zusammen­leben der BürgerInnen in Eurem Lande zu fördern, nicht nur für legi­tim, sondern für das friedliche Zu­sammenleben der Völker in Europa unentbehrlich und unterstützungswert.

Unsere Solidarität soll nicht den Ein­druck erwecken, daß die zur Zeit vor­handenen Probleme der DDR nur in ihr entstanden sind und gelöst werden können; im Gegenteil sind wir in der BRD uns der Verantwortung bewußt, die in erster Linie die Bundesregie­rung, aber auch die gesellschaftlichen Gruppen und Bewegungen haben, da­mit Eure Lage nicht erschwert und das deutsch-deutsche Verhältnis nicht weiter belastet wird. Uns empört, wenn Teile des Regierungslagers jetzt mit Hurra-Patriotismus und nationali­stischer Rhetorik innenpolitisch auf dem Rücken der Übersiedler aus der DDR Kapital schlagen wollen. Wir sind der Auffassung, daß es in Wei­terentwicklung des Grundlagenvertra­ges von 1972, der von zwei gleichbe­rechtigten deutschen Staaten ausgeht, (wieder) zu einer Politik der guten Nachbarschaft kommen muß, damit die ökonomische, ökologische, kul­turelle und politische Kluft zwischen den beiden deutschen Staaten und in ganz Europa endlich überwunden wird.

Es ist unser aller Aufgabe - jede(r) in ihrem/seinem Land - für Demokrati­sierung, soziale Gerechtigkeit und Ab­rüstung in Europa zu arbeiten. Auf diesem Wege werden wir auch bei uns noch viele Hindernisse überwinden müssen. Nicht Selbstgerechtigkeit son­dern die Fähigkeit zur Selbstkritik ist die Voraussetzung für Veränderungen in Ost und West.

 

In diesem Sinne grüßen wir Euch herzlich und versichern Euch noch­mals unsere Unterstützung

Ingo Arend (JungsozialistInnen in der SPD), Wolfgang Biermann (IFIAS), Martin Böttger (Jungdemokraten), Andreas Buro (Sprecher des Komitees für Grundrechte und Demokratie), Kurt Faller (Lehrer mit Berufsverbot, Mitglied des Präsidiums der VVN-Bund der Antifaschi­sten), Ossip K. Flechtheim (erem. Professor), Ulrich Frey (Geschäftsführer der Aktionsge­meinschaft Dienst für den Frieden), Norbert Greinacher (Professor für praktische Theologie an der kath.-theologischen Fakultät der Univer­sität Tübingen), Reinhard Hahn (Gewerk­schaftssekretär Abt. Jugend beim IG Metall Vorstand), Gerd Greune (Bundessprecher DFG-VK), Mechtild Jansen (Frauen in die Bundeswehr - wir sagen nein), Karlheinz Koppe (Pax Christi), Gotthard Krupp-Boulboullé (Hrsg. Ost-West Diskussion), Eva Michels (Mitarbeiterin Aktion Sühnezeichen-Friedens­dienste), Gerd Pflaumer (Sprecher Gustav-Hei­nemann-Initiative), Helmuth Prieß (Arbeits­kreis Darmstädter Signal / Major), Eva Quistorp (Anstiftung Frauen für den Frieden / MdEP), Henning Schierholz (Mitarbeiter der Evangeli­schen Akademie Loccum), Thomas Schmidt (Initiative Kirche von unten), Christine Schweit­zer (Bund für Soziale Verteidigung), Manfred Stenner (Bonner Friedensplenum), Inge Wettig-Danielmeier (Bundesvorsitzende der AG sozi­aldemokratischer Frauen), Gregor Witt (Bun­dessprecher der DFG-VK)

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