Denkmal von Truus Menger: "Sammen spelen, sammen leven" Amsterdam-Zuid

Spurensuche in Amsterdam - Zu einem Bildungsurlaubprojekt für Erwachsene

von Alois Finke
Hintergrund
Hintergrund

Vom Mai 1940 bis 1945 dauerte die Phase der Besetzung der Niederlande durch die Deutschen. Es war ein Überfall auf ein neutrales Land, zu dem seit Jahrhunderten eng kulturelle und wirtschaftliche Kontakte bestanden. Er wirkt, trotz der großen Gemeinsamkeiten, ge­genseitiger wirtschaftlicher Abhängigkeiten und harmonischer politi­scher Beziehungen, bis heute nachhaltig in Einstellung und Emotionen zum "groß(geworden)en Nachbarn im Osten" nach.

Der Luftkrieg gegen Rotterdam und Middelburg, die zunehmende Politik der "harten Hand" bis zum nackten Terror gegen die gesamte Bevölkerung, die in der Verschleppung der jüdischen Be­völkerung in die KZs und in der Aus­hungerung der Bevölkerung der großen Städte im Winter 1944/45 ihren Höhe­punkt fand, sind als traumatische Erfah­rung in den Niederlanden präsent und jederzeit wieder an der Oberfläche sichtbar, wenn, wie in der Diskussion um die Freilassung deutscher Kriegs­verbrecher oder in Meldungen über den wachsenden rechtsradikalen Terror in Deutschland, ein Anlass gegeben ist.

Deutsche Schüler/innen lernen Ge­naueres über die Niederlande allenfalls im Zusammenhang mit der Kriegsstra­tegie der Wehrmacht, ansonsten, wurde und wird gerade wegen der äußerlichen Normalität der Beziehungen zu den Niederlanden, in die man als Urlau­ber/in wegen Tulpen, Strand und Am­sterdam fahrt, weil es so nah ist und jede(r) Deutsch versteht oder sprechen kann, diese Zeit gar nicht wahrgenom­men. Bestenfalls erinnert man sich vage an die Geschichte der Anne Frank.

Was kann es sinnvoll machen, Anfang der neunziger Jahre mit dem "Bildswerk für Friedensarbeit" in Bonn Bildungs­urlaube in Amsterdam für eine Woche zu diesem Thema anzubieten? Ohne Heranführung erschließt sich die Tatsa­che, daß dieses Thema überhaupt noch wichtig ist, dem/der Besucher/in nicht leicht und nur durch intensivere Kon­takte zu Niederländer/innen. Zudem hat in den Niederlanden, wie bei uns auch, eine selbstkritische Auseinandersetzung über diese Zeit, die auch die Kollabora­tion der eigenen staatlichen Instanzen, die Denunziation jüdischer Menschen im Versteck auch durch Niederlän­der/innen, den Umgang mit den Kolla­borateuren/innen und ihren Familien nach dem Krieg einbezieht, erst in den achtziger Jahren neu begonnen und findet in diesen Jahren, da sich die Ereig­nisse zum 50. Mal jähren, eine differen­ziertere Würdigung, die auch in der (Neu)errichtung von Denkmälern, Son­derausstellungen und Publikationen ih­ren Ausdruck findet.

Die "Normalität" der deutsch - nieder­ländischen Beziehung ist zunächst ein­mal eine Chance, mit Deutschen ohne Abwehr vermuteter oder vorhandener Schuldzuweisungen mit unbefangenem Blick Amsterdam in einer Bildungsur­laubswoche einmal anders kennenzuler­nen, wie innerhalb dieser lebendigen, touristischen attraktiven Großstadt mit ihrem unverwechselbaren Flair Spuren und Zeugnisse zu entdecken sind, die die damalige Zeit, wie sie von den Nie­derländerInnen erinnert wird, deutlich macchen. Wo bei uns in vielen Städten die Suche nach Spuren der Vergangen­heit eher auf peinliches Schweigen oder auf verharmlosend - nichtssagende Ge­denksteine stößt, kann man in Amster­dam ein ganzes Netz von Institutionen, Ausstellungen, Gedenktafeln entdecken, die das komplexe Thema in allen Ein­zelheiten und zugleich anschaulich-ex­emplarisch lebendig werden lassen. Und es gibt Einzelpersonen wie Miriam Ohringer, und Institutionen, wie die Anne-Frank-Stiftung, die in ihrer Arbeit mit BesucherInnengruppen und im Konzept ihrer Ausstellung deutlich ma­chen, daß es ihnen nicht um museale Pflege der Geschichte geht: kein Ge­spräch einer Besucher/innengruppe mit der aus einer deutsch-jüdischen Familie stammende Miriam Ohringer, die als Mitglied einer kommunistischen Orga­nisation schon als Jugendliche in den Widerstand hineinwuchs und einen Teil der Besatzungszeit im Versteck ver­brachte, vergeht ohne ihre Rückfrage an die Zuhörer/innen, wie und wo sie denn in ihrem Leben Widerstand gegen Ausgrenzung, Rassismus und Fremden­feindlichkeit leisten. Die Anne-Frank-Stiftung, in der übrigens auch junge Deutsche für die Aktion Sühnezeichen u.a. statt eines Zivildienstes einen Dienst im Ausland leisten, lädt jede(n) Besucher/in des Verstecks der Familie Frank dazu ein, sich mit aktuellen Fra­gen von Rassismus, Vorurteilen ihn der heutigen niederländischen Gesellschaft, aber auch in ganz Europa, zu befassen und erstellt dazu laufend neue Ausstel­lungen und Materialien.

Wer sich den "Luxus" leistet, eine ganze Woche lang Plätze, Straßen, Gedenk­stätten und Dokumentationen zu "erlaufen" und zu studieren, kann auch in kleinen Details erleben, wie anders als bei uns mit der Vergangenheit umgegangen wird: Als Tourist wird man kaum zu dem Denkmal von Truus Menger in der Nähe des Widerstandmu­seums im Wohnviertel Anne Franks verlaufen. Diese Denkmal am Rande ei­nes Plates, den die deutschen Besatzer am 3.11.1941 zum Markt: "Allein zu­gänglich für Juden" erklärten, ist heute ein Spielplatz mit einem betreuten Spielhaus für die Kinder aller Her­kunftsländer, die in diesem Wohnviertel aus den dreißiger Jahren leben. Das Denkmal zeigt spielende und lachende Kinder auf einer Rutsche, getrennt durch eine Mauer von ihnen Kinder, die traurig abseits stehen, weil sie nicht mitmachen dürfen. Ein Stein erklärt mit der Inschrift: "Zusammen spielen, zu­sammen leben" das Denkmal für Kinder als Ermutigung, schon von Kindheit an in Erinnerung an diese Zeit ein Leben ohne Apartheid einzuüben. Das Denk­mal, immer mit frischen Blumen ge­schmückt, ist in der Patenschaft der Kinder, die auf diesem Platz spielen: sie selbst halten es in Ordnung und achten darauf, daß es nicht durch Vandalismus oder Graffitis verschandelt wird. Dick Neijssel, der seit 1937 hier in Amster­dam-Zuid wohnt und aktiv im Wider­stand gegen die Besatzer war, betreut die Kinder auf dem Spielplatz mit, ist immer präsent, wenn Besucher/innen auftauchen und erklärt ihnen das Denk­mal und versichert immer wieder, daß er sich freute, wenn deutsche Gruppen aus der Innenstadt bis hierher finden.

Für viele Bildungsurlaubsteilneh­mer/innen sind es gerade solche Erleb­nisse, die auch das Interesse an der Ge­schichte ihrer eigenen Stadt in der Nazi­zeit aktivieren, die sich vornehmen, bei sich zu Hause ihr Viertel und was sich dort ereignet hat, besser kennenzuler­nen. Im Lauf einer Woche werden auch immer mehr Erinnerungen aus der eige­nen Geschichte wach, eigene Kriegser­lebnisse als Kind, Dinge, die (Groß)eltern erzählt haben, Andeutun­gen und bedeutungsvolles Schweigen, falls in den Familien die Sprache auf die Nazizeit kommt etc.- und in der Gruppe, außerhalb der alltäglichen Zusammen­hänge, können viele unbefangener über diese Dinge diskutieren, anderen zuhö­ren, Neues an sich heranlassen und sich den Anfragen an die eigene Rolle in un­sere politischen und gesellschaftaftli­chen Lage stellen. Diese ermutigt uns, auch bei anderen Bildungsurlaubern in den Niederlanden das Thema der Besat­zungszeit immer mit Lokalbezug aktiv einzubeziehen, da sonst ein wichtiger Be­standteil zum Kennenlernen und Ver­ständnis der Niederlanden und unserer Geschichte fehlen würde.

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