Im Dezember scheiterten in Genf die Verhandlungen zur Biowaffen-Konvention

Startschuss für ein biologisches Wettrüsten?

von Jan van Aken
Hintergrund
Hintergrund

Bereits im Juli letzten Jahres lehnte die US-Regierung eine Vereinbarung zur besseren Kontrolle biologischer Waffen ab. Am 7. Dezember hat Washington dann auch Verhandlungen zur Biowaffen-Konvention in letzter Minute platzen lassen. Damit steht die Welt bei der biologischen Rüstungskontrolle vor einem Scherbenhaufen, die bislang recht starke weltweite Norm gegen biologische Waffen ist massiv erschüttert worden. Es droht zunehmend ein biologisches Wettrüsten, denn angesichts des Scheiterns der internationalen Verhandlungen sowie der fragwürdigen Biowaffen-Forschung in den USA werden viele Länder nun versucht sein, selbst auch biologische Rüstungsprogramme auf den Weg zu bringen. Der deutschen Bundesregierung kommt jetzt eine zentrale Rolle zu: Wenn sie und die europäischen Partner weiter in unkritischer Solidarität mit den USA verharren und keine neuen diplomatischen Initiativen auf den Weg bringen, droht das vollkommene Fiasko in der biologischen Rüstungskontrolle.

Vom 19. November bis zum 7. Dezember 2001 tagte in Genf die 5. Überprüfungskonferenz zur Biowaffen-Konvention. Diese Konferenzen finden alle fünf Jahre statt und sollen - vor allem im Lichte aktueller technischer Entwicklungen - die Gültigkeit und Funktion des globalen Biowaffenverbotes überprüfen und bestätigen. Nach dem Scheitern eines Verifikationsprotokolls im Sommer letzten Jahres kam der Überprüfungskonferenz eine besondere politische Bedeutung zu, um möglicherweise neue Initiativen für die totale Ächtung von Biowaffen zu entwickeln und anzustoßen.

Am letzten Tag der Überprüfungskonferenz, am späten Nachmittag, haben die US-Amerikaner jedoch auch diese Verhandlungsrunde durch die Vorlage neuer, für das Gros der Vertragsstaaten vollkommen inakzeptabler Forderungen, zum Scheitern gebracht. Es wurde keine gemeinsame Erklärung verabschiedet, als letzter Rettungsanker wurde die Konferenz nicht aufgelöst, sondern formal auf den November 2002 vertagt.
 

Es stellt sich die Frage, warum Washington nicht einmal mit einer belanglosen Abschlusserklärung leben konnte. Denn in den vorangegangen drei Verhandlungswochen hatte die US-Delegation bereits konsequent alle innovativen Vorschläge und jedwede Erwähnung rechtlich bindender Verträge aus dem Entwurf der Abschlusserklärung wegdiskutiert. Darunter waren einige konkrete Vorschläge, die nochmals die uneingeschränkte Gültigkeit des Biowaffen-Verbotes unterstrichen hätten. Nicht einmal harmlose Hinweise darauf, dass das Biowaffen-Verbot (natürlich) auch für interne Konflikte wie Bürgerkriege gilt, wurden von den USA akzeptiert. Dies alles war erwartet worden und wurde - wenn auch zähneknirschend - von den anderen Delegierten akzeptiert.

Trotzdem haben die USA es offensichtlich gezielt darauf angelegt, die Überprüfungskonferenz in jedem Falle ergebnislos zu beenden. Die Reaktionen der europäischen Verbündeten vor Ort waren entsprechend heftig: Diplomaten sprachen von gezielter Demütigung und davon, dass sie von den USA "wie Dreck behandelt" worden seien. Das Vorgehen der USA muss als bewusstes Signal an den Rest der Welt gewertet werden, dass Washington nur dann auf die Vereinten Nationen, auf Diplomatie und Bündnisse setzt, wenn es sie - wie im Afghanistan-Krieg - unbedingt benötigt. Ansonsten setzt die neue US-amerikanische Regierung offensichtlich auf die eigene Stärke. Wettrüsten statt Abrüsten.

Es scheint als wollte die Bush-Administration an diesem Punkt unmissverständlich deutlich machen, dass sie multilaterale Verhandlungen mit - eventuellen punktuellen Ausnahmen - nicht als geeignetes Mittel der Sicherheitspolitik ansehen. Das hatte George W. Bush schon vor seiner Wahl zum amerikanischen Präsidenten deutlich mit den Worten gesagt, jetzt sei nicht die Zeit, veraltete Übereinkommen zu schützen, sondern es sei an der Zeit, das amerikanische Volk zu verteidigen. Diese Doktrin wurde Anfang Dezember in Genf in die Tat umgesetzt.

Die europäischen Verbündeten stehen jetzt da wie die begossenen Pudel. Die rot-grüne Bundesregierung in Deutschland hatte sich gerade in einem Kraftakt für eine Beteiligung am Afghanistan-Krieg und für eine uneingeschränkte Solidarität mit den USA entschieden. Der Dank dafür war eine Demütigung auf diplomatischem Parkett in Genf. Nach dem Scheitern des Verifikationsprotokolls im Juli letzten Jahres hattn die europäischen Regierungen noch still gehalten und diplomatische Initiativen ohne die USA verweigert, um keinen transatlantischen Konflikt in dieser Frage anzuzetteln. Es bleibt zu hoffen, dass das destruktive Verhalten der US-Regierung während der Überprüfungskonferenz jetzt ein Umdenken in den europäischen Hauptstädten auslösen wird. Der einzige Weg aus der Misere und zur Verhinderung eines globalen biologischen Wettrüstens liegt jetzt darin, mit einer Gruppe von befreundeten Staaten - auch außerhalb Europas - eine neue diplomatische Initiative zur biologischen Rüstungskontrolle zu starten.

Einige Hintergrundimnformationen über die Biowaffen-Konvention und die 5. Überprüfungskonferenz

Die Biowaffen-Konvention
Die "Biological and Toxin Weapons Convention" (BTWC) ist wohl einzigartig in ihrem umfassenden und eindeutigen Verbot einer ganzen Waffengattung. Sie wurde 1972 unterzeichnet, trat 1975 in Kraft und wurde bislang von 144 Staaten ratifiziert. Jegliche Entwicklung, Produktion, Lagerung oder Beschaffung von biologischen oder Toxin-Waffen ist verboten. Artikel 1 der Konvention lautet:

Jeder Vertragsstaat (..) verpflichtet sich,
 

(1)Mikrobiologische oder andere biologische Agenzien oder Toxine, ungeachtet ihres Ursprungs oder ihrer Herstellungsmethode, von Arten und in Mengen, die nicht durch Vorbeugungs-, Schutz- oder sonstige friedliche Zwecke gerechtfertigt sind (...)

niemals zu entwickeln, herzustellen, zu lagern oder in anderer Weise zu erwerben (...)
 

Die Konvention hat also in erster Linie präventiven Charakter und verbietet jede feindselige Entwicklung oder Produktion biologischer Mittel, ohne jede Einschränkung oder Ausnahme. Sie umfasst nach gängiger Lesart nicht den Gebrauch biologischer Waffen, da dieser bereits durch das Genfer Protokoll von 1925 verboten ist.

In der Konvention werden biologische Waffen auf der Grundlage des so genannten "general purpose criterion", d.h. nach ihrer Zweckbestimmung, definiert. Nicht spezifische Organismen sind verboten, sondern deren Entwicklung für nicht friedliche Zwecke. Das ist unter anderem darin begründet, dass biologische Waffen mit dem dual-use Problem, der zweischneidigen Anwendbarkeit, behaftet sind. Selbst die gefährlichsten natürlichen Organismen können auch für nützliche Zwecke eingesetzt werden. Botulinum gilt als Toxinwaffe Nr. 1, es wird jedoch seit einigen Jahren auch in der Medizin und der Schönheitschirurgie eingesetzt.

Die Definition der biologischen Waffen in der Konvention hat zwar den Vorteil, unabhängig von bestimmten Erregern oder Techniken jeglichen Einsatz von biologischen Agenzien als Waffe mit einzuschließen, sie macht eine Objektivierung und Verifikation der Konvention aber natürlich sehr schwierig. Es lassen sich zwar Laboratorien kontrollieren, nicht jedoch die Köpfe der Forscher.

Ein Zusatzprotokoll zur Stärkung der Konvention scheiterte im August 2001
Die Biowaffen-Konvention ist zwar sehr weitreichend und eindeutig in ihrem Verbot aller biologischer Waffen, sie sieht jedoch keinerlei Verifikations-Maßnahmen vor. 1994 begannen die Vertragsstaaten, ein rechtlich bindendes Protokoll zur Stärkung der Konvention auszuarbeiten. Mitte 2001 lag ein Kompromisstext des Vorsitzenden der Verhandlungen vor, der im Kern auf eine Erhöhung der Transparenz abzielte. Das Konzept umfasst die vier Säulen Erfassung biotechnischer Anlagen ("declarations"), Inspektionen ("visits"), Beseitigung von Unklarheiten ("clarification procedures") sowie Ermittlungen im Verdachtsfalle ("investigations"). Im Laufe der sechs Verhandlungsjahre ist das Konzept sehr stark verwässert worden, vor allem unter dem Druck der USA.

Im August 2001 scheiterten die Verhandlungen, nachdem die USA am 25. Juli in Genf ihre uneingeschränkte Ablehnung des Protokolls verkündet hatten. Die von den USA genannten Gründe für die Ablehnung lassen sich leicht entkräften: Industriegeheimnisse sind durch das Protokoll nicht gefährdet, dies zeigt allein schon die Position der europäischen Industrie, die in dem vorliegenden Entwurf keine Gefahr für ihre sensiblen Informationen sieht. Das Argument, sich lieber auf eigene Geheimdienstinformationen zu verlassen, geht am Sinn des Protokolls vorbei, das ja ausdrücklich ergänzend zu den bisherigen Maßnahmen wirken sollte. Im übrigen ist die Geschichte der Biowaffen auch eine Geschichte des Scheiterns von Geheimdiensten. Und drittens war es nie das Ziel des Protokolls, Missetäter aufzuspüren. Es geht vielmehr darum, von vornherein den Aufbau illegaler Programme zu verhindern, indem man den Aufwand für deren Geheimhaltung so weit in die Höhe treibt, dass Biowaffen eben nicht mehr die "Atombombe des kleinen Mannes" sind.

Die neuen Vorschläge der USA - alter Wein in neuen Schläuchen
Während internationale Beobachter noch gehofft hatten, dass die Milzbrandattacken in den USA ein Umdenken in der Bush-Administration in Sachen Biowaffen-Konvention auslösen würden, war das genaue Gegenteil der Fall. Mitten in der größten Biowaffen-Angst aller Zeiten stellte die US-Regierung plötzlich große Teile des globalen Biowaffenverbotes in Frage. Am 1. November veröffentlichte das Weiße Haus eine Erklärung von George W. Bush zur Biowaffen-Konvention. Neben Allgemeinplätzen wie ein verantwortlicher Umgang mit Krankheitserregern oder einem Verhaltenskodex für Wissenschaftler enthielt die Erklärung nur unkonkrete Vorschläge oder solche, die sowieso schon Bestandteil der Konvention sind, z.B. die Umsetzung der Biowaffen-Konvention in nationale Gesetzgebung, oder ein UNO-Verfahren zur Klärung von Vorwürfen.

Bereits am 10. Oktober hatte Avis Bohlen, eine der ranghöchsten Abrüstungsdiplomatinnen der USA, in einer Rede vor den Vereinten Nationen verdeutlicht, dass die USA sich im Kampf gegen Biowaffen ausdrücklich nur auf tödliche Erreger beschränken wird. Zudem betonte sie, dass die US-Regierung sich nunmehr auf die Anwendung biologischer Waffen konzentrieren werde. Beide Punkte unterminieren den Präventionscharakter und die allumfassende Gültigkeit der Konvention.

Konkrete Forderungen an die Vertragsstaaten der Biowaffen-Konvention
Nach dem Scheitern von Protokoll und Überprüfungskonferenz sind viele Problempunkte noch ungelöst. Vor allem die folgenden vier Themenbereiche müssen dringend von den Vertragsstaaten der Biowaffen-Konvention angepackt werden, sei es auf der Fortsetzung der Überprüfungskonferenz im kommenden November oder im Rahmen einer anderen diplomatischen Initiative:

Schlupflöcher stopfen:
Die Stärke der Biowaffen-Konvention liegt gerade darin, dass ausnahmslos jedwede feindliche Anwendung von biologischen Agenzien verboten ist. Die fortschreitende technische Entwicklung macht jetzt jedoch zunehmend die möglichen Schlupflöcher deutlich, die die Konvention bieten könnte. Hier ist angesichts der Entwicklung von Anti-Drogen-Pilzen und Material zersetzender Organismen dringender Handlungsbedarf gegeben. Wir plädieren dafür, dass die Vertragsstaaten klarstellen, dass
 

  •  die Biowaffen-Konvention die Entwicklung, Produktion und Lagerung von ausnahmslos allen biologischen Agenzien verbietet, auch von solchen, die gegen Materialien, Pflanzen oder Tiere gerichtet sind;
     
  •  die Nutzung von Pilzen zur Vernichtung von Drogenpflanzen unter das Biowaffen-Verbot fällt;
     
  •  der Einsatz von Biowaffen in allen Konfliktsituationen verboten ist, auch im Rahmen von Bürgerkriegen, internen Konflikten oder polizeilichen Maßnahmen.
     

Hierbei handelt es sich nicht um eine Erweiterung oder Veränderung der Konvention, sondern nur um eine Klarstellung. Viele Vertragsstaaten sind bereits der Meinung, dass die oben genannten Punkte bereits in der Konvention enthalten sind. Demgegenüber haben andere Staaten bereits entsprechende Forschungsprojekte an nicht-tödlichen Biowaffen begonnen. Dieser sehr freizügigen Auslegung der Biowaffen-Konvention müssen die Vertragsstaaten begegnen.

Grenzen für die zivile und militärische Defensivforschung:
Um perspektivisch einen militärischen Missbrauch von Gen- und Biotechnologie zu verhindern, müssen klare Regeln für die gentechnische Veränderung möglicher Biowaffen-Agenzien aufgestellt werden. Es wäre. sinnvoll, eine international rechtlich bindende Kontrolle von gentechnischen Experimenten einzuführen, die potenzielle Biowaffen-Erreger noch waffentauglicher machen. Dazu würde unter anderem die Übertragung von Antibiotika-Resistenzen auf Milzbrand, Hasenpest oder andere Erreger gehören. Auf viele dieser Experimente kann in der zivilen Forschung durch Ausweichen auf Alternativ-Methoden verzichtet werden, die wenigen verbleibenden Experimente müssen mit einem Höchstmaß an internationaler Kontrolle und Transparenz begleitet werden. Die Bundeswehr muss hier mit gutem Beispiel voran gehen und Experimente mit genmanipulierten Erregern einstellen, die gegen Antibiotika resistent gemacht wurden. Andere Grenzen für die Defensivforschung beträfen aktuelle Forschungsprojekte in den USA. So müsste durch entsprechende Vereinbarungen verhindert werden, dass gehärtete Biosprengköpfe entwickelt oder Versuche zur Detonation von Aerosolen durchgeführt werden, da es hier praktisch keine zivile Anwendung gibt.

Transparenz:
In den letzten sechs Jahren wurde bereits über Offenlegungspflichten und Laborkontrollen verhandelt, um die Transparenz in Sachen biomedizinischer Forschung zu erhöhen. Zwar sind diese Verhandlungen vorerst am Widerstand der USA gescheitet, trotzdem muss Transparenz weiterhin als oberstes Ziel der biologischen Rüstungskontrolle gelten. Nur so kann der Aufbau illegaler Biowaffen-Programme weltweit verhindert oder doch zumindest entscheidend erschwert werden. Ohne (niedrigschwellige und regelmäßige) Einblicke in die Forschungen anderer Länder wird sich kein Vertrauen zwischen den Vertragsstaaten herstellen lassen.

Aufbau eines Sekretariats bzw. einer Organisation zum Schutz vor Biowaffen:
Noch sind viele Länder nicht der Biowaffen-Konvention beigetreten, vor allem einige Länder im Nahen Osten nicht. Einige Länder haben auch nicht die Kapazitäten, um den Auflagen der Biowaffen-Konvention nachzukommen. Deshalb sollte ein technisches Sekretariat aufgebaut werden, dass als Anlauf- und Informationsstelle dazu beitragen kann, die Konvention zu stärken. Dazu könnte unter anderem die Erarbeitung einer Modellgesetzgebung zur Umsetzung der Konvention in nationales Recht gehören, oder Hilfestellung bei den jährlichen Meldungen an die anderen Vertragsstaaten im Rahmen der vertrauensbildenden Maßnahmen.

Das sunshine project ist eine internationale Organisation mit Sitz in Hamburg und Austin, Texas. Mit ihrer Arbeit will die Organisation die weltweite Ächtung biologischer Waffen stärken. Sunshine project recherchiert, informiert und kritisiert überall dort, wo ein militärischer Missbrauch der Bio- und Gentechnologie droht. In Deutschland ist die Organisation als gemeinnützig anerkannt, Spenden sind steuerabzugsfähig. Weitere Informationen unter: http://www.sunshine-project.de

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