Strahlenkranke Opfer der Atomtests klagen an.

von Elisa Kauffeld
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Der französische Theologe und Arzt Albert Schweitzer sagte schon 1954: "Nur, wer nie dabei war, wenn eine Mißgeburt ins Leben trat, wer nie ihr Wimmern hörte, nie das Entsetzen der armen Mutter sah, kann den Wahnsinn der Atomspaltung befürworten. Jene, die behaupten, die Atomtests seien ungefährlich, sind Lügner."
Obwohl im September 1996 der Atomteststopvertrag unterschrieben wurde, sind die Folgen noch lange nicht überwunden. Nicht nur, daß weltweit kaum ein Atomsprengkopf abgerüstet wurde - ca. 140 lagern noch in Deutschland -, auch die Schäden für Natur und Mensch sind unübersehbar: vergifteter Fisch im Südpazifik, Atolls mit hochradioaktiv verseuchtem Wasser in der Lagune, kranke Menschen, gengeschädigte Kinder.
Gabriel Tetiarahi, promovierter Städteplaner (Studium in Frankreich), hat die Menschenrechtsorganisation HITI TAU gegründet, um das wahre Ausmaß der sog. "neuen" Krankheiten zu erforschen. Die verfügbaren Daten zeigen, trotz der Tatsache, daß die vorhandenen Statistiken unvollständig und geheim sind, daß Polynesien ein erschreckend höheres Vorkommen von tödlichen Krebsfällen aufweist als andere Regionen des Südpazifiks. Strafandrohungen, Geheimhaltungen und die Tatsache, daß immer mehr Arbeiter von Moruroa krank nach Hause kommen, haben dazu beigetragen, Beunruhigung, Angst und Misstrauen zu verbreiten. HITI TAU hat dies erkannt und will die Bevölkerung zu Diskussionen ermutigen. Es ist wichtig zu wissen, wie die Menschen die "neuen" Krankheiten beurteilen, da ihre Interpretationen und Beobachtungen von ihren kulturellen Werten, Gebräuchen und Gewohnheiten beeinflusst sind. Die traditionelle Medizin und Massage, die von einer Generation zur andern entwickelt und überliefert wurde, darf nicht länger ignoriert werden. Das Ver¬bot zu fischen und Fisch zu essen ohne Erklärung, weshalb, wird von den Polynesiern als Vergewaltigung ihrer Menschenrechte angesehen. Besonders, wenn die Franzosen mit Häme von störrischer, unbelehrbarer Kolonialbevölkerung sprechen.
Tetiarahi hat erkannt, daß die Ge¬schichte der Atombombentests neu untersucht werden muß, wobei die Erfahrungen der betroffenen Bevölkerung einbezogen werden müssen. Er hat deshalb eine von Frankreich unabhängige medizinische, soziologische Studie in Form einer Befragung begonnen. Den Beginn der Studie legte er auf den 13. Juni 1996, genau ein Jahr nach Präsident Chiracs verhängnisvoller Entscheidung, die Atomtests im Südpazifik wieder aufzunehmen.
Die folgenden Aussagen stammen aus einer Broschüre des WORLD COUNCIL OF CHURCHES, 150, route de ferney, 1211 Genova, CH. Die Interviews wurden auf tahitisch geführt.
Der Leiter der evangelischen Kirche von Französisch Polynesien:
"Jacques Chirac erklärt einfach, daß er die Tests wieder aufnehmen wird. Er vergisst, daß hier Menschen leben. Für ihn ist das hier Frankreich. Wir existieren nicht. Wir baten um ein Gespräch mit ihm. Er ließ uns mit einem Minister reden. Man erklärte uns den Unterschied zwischen Kolonisatoren und jenen, die kolonisiert werden. Man erinnerte uns daran, daß sie die Kolonialherren sind!"
Ein Pastor einer der vielen Inseln: "Als ich in Paris war, entdeckte ich viele von unseren kranken Leuten, Kinder ohne Haare. Eines von meiner Insel. Und ich fragte mich, gibt es noch mehr Kranke, irgendwo versteckt? Jetzt verstehe ich, wie wichtig es für uns ist, frei und unabhängig von Frankreich zu sein."
Ein Arbeiter auf Moruroa macht präzise Aussagen über seine Krankheit: 1. Übelkeit, 2. Schwäche, Schwindel, 3. Kratzen, 4. unkontrollierter Stuhlgang, 5. Lähmungen. Besonders Punkt 4 be¬schämte ihn sehr, denn die Leute im Krankenhaus sagten, er lebt und frisst mit Schweinen. "Als ich wegen der Lähmungen dort war, zerrte der Doktor mich hinter sich her, ich sollte laufen, fiel aber hin. Er war sehr grob. Wut stieg in mir auf."
Ein Mann, der den Atomtest "Denise" am 8. Juli 1979 erlebt hatte:
"Dort, bei dem Testplatz "Denise" ist ein sehr starker Bunker, dreifach gesichert. Dort bereitet man eine Minibombe vor, um zu sehen, wie die große im Untergrund reagiert. Sie machten einen Fehler, es kam zur Explosion. Drei Arbeiter sollen getötet worden sein, aber das wurde nie bestätigt. Alle drei Türen vom Bunker wurden zerstört. Überall quollen Wolken von Staub her¬aus. Am nächsten Morgen hörten wir eine DC8 landen und wieder starten - und voilů - es gibt keine Kranken mehr auf Moruroa!"
Ein anderer Mann: "Ich mußte französische Arbeiter auf einem Floß in die Lagune bringen. Atmosphärische Tests werden von einem Floß aus gemacht. Die Bombe wird unter einen Ballon gehängt und bis zur richtigen Höhe aufgelassen. Wenn sie die Bombe zünden, fliegt ein Flugzeug in die Nähe des Pilzes und nimmt mit einem Geschoß Proben, die nach Paris geschickt werden. Wenn wir nach 8 Stunden zurückkommen, brennen die Palmen immer noch. - Durch die unterirdischen Tests sind Teile des Atolls abgesunken. Zwischen COUCOU und ARA können jetzt Boote fahren. Nach einem Test kommen Blasen wie ein Springbrunnen in der Lagune mehrere Monate lang hoch."
Alle Männer und Frauen bestätigen einstimmig, sie arbeiten auf Moruroa, weil es dort Arbeit gibt, woanders nicht! Ein Diakon sagte:
"Wenn ich mit euch am Sonntag demonstriere, brauche ich am Montag einen neuen Job." Viele sind bei französischen Ämtern beschäftigt.
Alle Befragten konnten schwer verstehen, daß der Ausbruch der Krankheit oft erst Jahre nach der radioaktiven Kontamination erfolgt. "Einer stirbt, aber er arbeitete doch schon lange nicht mehr auf Moruroa."
Wie sehr sachliche Informationen fehlen, zeigen diese Aussagen überdeutlich!
Ein anderer Pastor: "Als mein Freund erfuhr, daß er krank ist, erschoss er sich. Ich vergesse nie, was er mir sagte: "Warum weiterleben? Wozu Medizin? Meine Kinder werden krank sein, also wozu Kinder haben?"
Meine eigene Familie: drei Kinder, einer (14) hat Lähmungen, ein Mädchen (4) ist gestorben, schwerer Herzfehler, der Jüngste (3) hat Nierenkrebs. Ich selbst bin am ganzen Körper verbrannt." Er schüttelt die Faust!
Die Leiterin einer Frauengruppe:
"Wenn bei uns ein Baby geboren wird, gräbt man die Plazenta in den Boden ein, denn da bist du hergekommen, da sind deine Wurzeln. Dort wird ein Obst¬baum gepflanzt, der deinem Kind Nahrung gibt, wenn es groß ist. Der Baum gehört deinem Kind, es bekommt die erste Frucht. Das müssen alle respektieren. - Jetzt pflanzt Frankreich Gift in unseren Boden!"
Diese Aussage zeigt die totale wirtschaftliche Abhängigkeit Polynesiens von Europa. Da keine eigenen Erzeugnisse mehr konsumiert werden dürfen, muß alles importiert werden.
Erinnern wir uns: Wie groß war unsere Empörung, als Ende 95/Anfang 96 die Tests durchgeführt wurden! Wir sammelten Tausende von Unterschriften, schickten sie nach Paris und Bonn - und dann?
Chirac erklärte den Pazifik zur nuklearfreien Zone - und die meisten von uns konnten sich wieder zur Ruhe begeben. Fur die Menschen im Pazifik aber gibt es keine Ruhe!

HITI TAU BRAUCHT GELD FÜR DIE ENQUETE !
Konto in Deutschland: Gerhard Daibler, Landesgirokasse, BLZ 600 501 01, Kto-Nr. 566 2003, Stich¬wort: HITI TAU .
Konto in Papeete: HITI TAU 2001, banque: WESTPAC, code banque: 25679, code guichet: 39043, numéro de compte: 102 582 C 12, adresse: 2 place Notre Dame, Papeete, Tahiti, Polynésie francaise,

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Elisa Kauffeld ist langjährige Aktivistin für Frieden und Gerechtigkeit.