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Totalverweigerer verurteilt - unter massiven Gesetzesverstößen
Totalverweigerung: Kurzer Prozess am Amtsgericht Zittau
vonAndreas Reuter wurde nach seiner Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer zum 04.07.05 zur Ableistung des Zivildienstes in Weißwasser einberufen, war dort aber nicht erschienen. Der 25-jährige Antimilitarist aus Zittau lehnt als Totalverweigerer die Ableistung sowohl des Wehr- als auch des Zivildienstes wegen dessen militärischer Verplanung im Rahmen des Konzeptes der sog. "Gesamtverteidigung" grundsätzlich ab.
Gleichermaßen wie der unmittelbare Waffendienst bei der Bundeswehr stellt Zivildienst nach dem Wehrpflichtgesetz die Erfüllung der Allgemeinen Wehrpflicht dar. Zudem können Zivildienstleistende gem. § 79 Zivildienstgesetz im Verteidigungsfall zu unbefristetem Zivildienst herangezogen werden, wobei sie dann u.a. dazu eingesetzt werden sollen, "die Staats- und Regierungsfunktion zu erhalten, die Zivilbevölkerung und die Streitkräfte zu versorgen (und) die Streitkräfte mit zivilen Gütern und Leistungen unmittelbar zu unterstützen" (Weißbuch des Bundesverteidigungsministeriums 1994, Abs. 695, S: 133).
Zivildienst ist damit also nicht etwa "zivile Alternative" zum Wehrdienst, sondern ebenso ein Kriegsdienst - lediglich ohne Waffe. Darüber hinaus lehnt der Totalverweigerer den Zivildienst ab, weil sich dieser bei näherer Betrachtung geradezu als das Gegenteil eines sozialen Dienstes herausstellt: durch den massenhaften Einsatz von Zivildienstleistenden bewirkt er den Abbau regulärer Arbeitsstellen und befördert damit die prekäre Lage in Pflegeberufen, der er angeblich entgegenzuwirken vorgibt.
Da Reuter dem an ihn ergangenen Einberufungsbescheid keine Folge leistete, erstattete das Bundesamt für den Zivildienst Strafanzeige gegen ihn. Im April 2006 erhielt er die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Zittau. Vorgeworfen wird ihm, sich der Dienstflucht schuldig gemacht zu haben.
Verteidigungsrechte massiv beschnitten
Das Verfahren am Amtsgericht Zittau unter Vorsitz des Richters Ronsdorf war gekennzeichnet von ständigen Versuchen des Gerichts, dem Beschuldigten die Inanspruchnahme seiner gesetzlich garantierten Rechte streitig zu machen. Mit teilweise offen willkürlichen Entscheidungen des Gerichts oder indem der Richter Anträge der Verteidigung schlicht ignorierte, wurden u.a. Verteidigungsrechte massiv beschnitten, der Anspruch rechtlichen Gehörs verweigert und mehrfach Akteneinsicht faktisch verwehrt. Jedes dieser Rechte musste dem Vorsitzenden gegen dessen hartnäckigen Widerstand geradezu abgetrotzt werden. Dies war Gegenstand mehrfacher Ablehnungen des Vorsitzenden wegen der Besorgnis der Befangenheit.
Seine klare Voreingenommenheit hatte der Richter auch in der Hauptverhandlung vom 12.12.07 unmissverständlich dadurch zum Ausdruck gebracht, dass er es - bei einem Angeklagten, der sich für seine Tat ausdrücklich auf seine gewaltfreie Grundeinstellung beruft - für notwendig erachtete, zur Hauptverhandlung martialischen Polizeischutz anzufordern: sechs uniformierte und bewaffnete Bereitschaftspolizisten - vier davon in schusssicherer Weste - nahmen auf Anweisung des Vorsitzenden in der ersten Reihe des Sitzungssaales und damit in unmittelbarer Nähe des Angeklagten Platz. Dies nahmen Reuters Verteidiger, Detlev Beutner (Frankfurt/M.), Sebastian Kraska und Jörg Eichler (beide Dresden), selbst Totalverweigerer und - da sie keine Rechtsanwälte sind - als Wahlverteidiger gem. § 138 Abs. 2 StPO zugelassen, erneut zum Anlass, den Richter als befangen abzulehnen. Die Verhandlung wurde aufgrund dessen auf den 14.12.07 vertagt.
Erinnerung an DDR-Justiz
In diesem Termin nun lehnte Richter Ronsdorf die Befangenheitsanträge wegen angeblicher Verfahrensverschleppung als unzulässig ab und entschied damit über seine Befangenheit in eigener Sache. Gleichzeitig wurde den Verteidigern überraschend die Zulassung entzogen, womit der Angeklagte plötzlich ohne jede Verteidigung die Verhandlung allein bestreiten musste; seine Anträge, die Sitzung zwecks Neuorganisation der Verteidigung zu unterbrechen, wurden abgelehnt. Der derart "überfahrene" Angeklagte reagierte hierauf nunmehr - entgegen seiner früheren Ankündigung, sich umfangreich einlassen zu wollen - mit durchgehendem Schweigen. Es gab keinerlei Einlassung, kein Plädoyer, kein letztes Wort des Angeklagten, womit Reuter vor allem auch deutlich machen wollte, dass er nicht bereit sei, in einer vollkommen zur Farce geratenen Verhandlung, die in Art und Weise unangenehm an Praktiken im Umgang mit Systemgegnern erinnert, wie sie durch die DDR-Justiz üblich gewesen waren, noch irgendeinen Beitrag zu seiner Aburteilung zu leisten.
Reuter wurde nach etwa 25-minütiger Verhandlung und anschließender "Urteilsberatung", die keine drei Minuten in Anspruch nahm und für die sich der Vorsitzende nicht einmal aus dem Sitzungssaal entfernte, schließlich zu einer zweimonatigen Freiheitsstrafe, die zur Bewährung ausgesetzt wurde, verurteilt.
Die Tatsache, dass das Urteil, gegen das beide Seiten Rechtsmittel eingelegt haben, im Vergleich mit anderen gleichgelagerten Fällen sicher nicht besonders hoch ausgefallen ist, darf allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Entscheidungen dieses Richters weniger von rechtlichen Kategorien als eher schlicht von seiner Laune abhängig waren und das Urteil bei leicht anderer Konstellation hätte auch ganz anders ausfallen können.