Paradigmenwechsel in der kirchlichen Friedenslehre?

Über die Wiederentdeckung der biblischen Gewaltfreiheit

von Stefanie Wahl
Schwerpunkt
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Der Einsatz für Frieden und Gerechtigkeit gehört zum Selbstverständnis christlichen Handelns. Auf welchen Grundsätzen das friedenspolitische Handeln basiert, ist dabei nicht eindeutig. Das Spektrum reicht von der Lehre vom gerechten Krieg über gerechten Frieden bis zu aktiver Gewaltfreiheit. Aus Sicht der katholischen Friedensbewegung pax christi braucht es ein klares Bekenntnis zu aktiver Gewaltfreiheit. In den vergangenen Jahren wurden zugunsten dieses friedensethischen Ideals einige wichtige Impulse gesetzt, die den Weg für einen theologischen und politischen Paradigmenwechsel bereiten könnten. 

Die internationale katholische Friedensbewegung pax christi engagiert sich in Deutschland und im weltweiten Netzwerk von pax christi-Sektionen für aktive Gewaltfreiheit als Mittel der internationalen Politik. Gegründet wurde die Bewegung am Ende des 2. Weltkrieges, als sich französische und deutsche KatholikInnen zusammenschlossen, um sich für Versöhnung, Frieden und Völkerverständigung einzusetzen, und ist seitdem ein zentraler Ort der Friedensarbeit der katholischen Kirche. Aus ihrem christlichen Glauben heraus wollen die Mitglieder der Bewegung die gewaltfreie Botschaft Jesu umsetzen. Aktive Gewaltfreiheit ist für pax christi Kern des politischen Handelns für eine gerechte Welt ohne Gewalt und Waffen. So engagieren sich mehr als 5000 Mitglieder in Deutschland ehrenamtlich für Frieden und Abrüstung und setzten dabei bewusst auf spirituelle und gewaltfreie Protestformen. In ökumenischer Gemeinschaft und in Zusammenarbeit mit anderen Friedensorganisationen bringt pax christi durch politische Kampagnen wie Aktion Aufschrei – Stopp den Waffenhandel oder dem Aufruf zum kirchlichen Aktionstag gegen Atomwaffen seine friedenspolitischen Forderungen und die Haltung der aktiven Gewaltfreiheit in die gesellschaftlichen, politischen und innerkirchlichen Debatten ein.

Katholische Initiative Gewaltfreiheit
Dem Dachverband der internationalen Bewegung Pax Christi International (PCI) gelang es 2016 gemeinsam mit dem Päpstlichen Rat für Gerechtigkeit und Frieden eine Konferenz unter dem Thema „Gewaltfreiheit und gerechter Friede“ in Rom, im Vatikan, durchzuführen. Mehr als 80 Menschen kamen in Rom zusammen, um über das Engagement der katholischen Kirche für Gewaltlosigkeit zu diskutieren. Die Teilnehmenden teilten beeindruckende Beispiele effektiver friedensbildender Aktivitäten und erkannten das enorme Potenzial von Glaubensgemeinschaften, zur Entwicklung neuer und innovativer gewaltfreier Ansätze. Ausgehend von der theologischen Reflexion auf die gewaltfreie Botschaft des Evangeliums und bestärkt durch wissenschaftliche Studien, wie die von Maria J. Stephan und Erica Chenoweth (1), wird die sogenannte Rom-Konferenz zu einem wichtigen Impulsgeber für die Internationale Katholische Friedensbewegung. In der Abschlusserklärung rufen die Teilnehmenden die katholische Kirche auf, sich erneut auf die Zentralität der Gewaltfreiheit des Evangeliums zu berufen. Der Appell fordert außerdem eine Abkehr von der Theorie des gerechten Krieges und ein Bekenntnis der Kirche zur Gewaltfreiheit des Evangeliums. Damit verbunden ist die Forderung nach einer Enzyklika, ein päpstliches Lehrschreiben, über Gewaltfreiheit, dass den Wandel in der Friedenslehre der katholischen Kirche manifestieren würde. Mit Blick auf die gesamte institutionelle Kirche fordert die Erklärung dazu auf, mehr menschliche und finanzielle Ressourcen bereitzustellen, um eine Spiritualität und Praxis der aktiven Gewaltfreiheit voranzubringen.

Im Anschluss an die Konferenz wurde die Katholische Initiative Gewaltfreiheit (Catholic Non-violence Initiative, kurz: CNI) von PCI gegründet. Im Rahmen des 18-monatigen Projekts lud PCI fast 400 TheologInnen, PraktikerInnen und Mitglieder der Kirchenleitung zur Teilnahme und Mitarbeit am Projekt ein. Im Rahmen sogenannter Roundtables wurde über aktuelle biblische, theologische, ethische, pastorale und strategische Ansätze der Gewaltfreiheit diskutiert. Die Ergebnisse des Projekts stellte PCI im Frühjahr 2019 vor und arbeitet derzeit an der Veröffentlichung des Dokuments, das den Titel „Advancing nonviolence and just peace in the Church and the world: Biblical, theological, ethical, pastoral and strategic dimensions of nonviolence” trägt. Neben diesem bedeutsamen inhaltlichen Beitrag haben PCI und die Sektionen das Thema Aktive Gewaltfreiheit im Rahmen einer Kampagne zu Beispielen aktiver Gewaltfreiheit weiterverbreitet. Die deutsche Sektion beteiligt sich darüber hinaus mit einer Informationskampagne an der Initiative.   

Päpstliche Friedensbotschaft
Gestärkt wird die Initiative der katholischen Friedensbewegung durch das Engagement von Papst Franziskus. Im Anschluss an die Konferenz in Rom hat der Papst in seiner Botschaft zum Weltfriedenstag 2017 explizit die Gewaltfreiheit des Evangeliums aufgegriffen. In der Botschaft mit dem Titel "Gewaltfreiheit: Ein Stil der Politik für den Frieden" (2) sagte er: "In den meisten lokalen und alltäglichen Situationen und in der internationalen Ordnung kann Gewaltlosigkeit zum Kennzeichen unserer Entscheidungen, unserer Beziehungen und unseres Handelns und sogar der Politik werden." Der vermeintlichen Passivität von Gewaltfreiheit stellt der Papst Vorbilder und Erfolge praktizierter Gewaltfreiheit entgegen. Allen voran erinnert er an Mutter Theresa, die mit Liebe und Barmherzigkeit sich den Armen zuwendete und gegen die Mächtigen der Welt ihre Stimme erhob, um sie auf das Leid der Armen aufmerksam zu machen. Als weitere BotschafterInnen der Gewaltfreiheit verweist er auf Mahatma Gandhi, Abdul Ghaffar Khan und Martin Luther King jr..

Mit einem klaren Appell für Abrüstung  und des Verbots und der Abschaffung von Atomwaffen konkretisiert der Papst Gewaltfreiheit als Stil einer Politik für den Frieden: „Die atomare Abschreckung und die Drohung der gegenseitigen Zerstörung können kein Fundament für diese Art der Ethik sein.“ Auf den Appell folgt die Unterstützung des Atomwaffenverbotsvertrags durch den Vatikan bei den Vereinten Nationen, und im Herbst 2017 lud der Vatikan zu einer Internationalen Abrüstungskonferenz ein. Dabei wiederholte der Papst seine Forderung nach Abschaffung aller Atomwaffen. Neben des Engagements zur Abschaffung der Atomwaffen kritisiert der Papst auch immer wieder die Rüstungsindustrie und waffenexportierenden Ländern, wie im Juni 2015 in Turin: „Heuchelei, von Frieden zu sprechen und Waffen herzustellen, und sogar die Waffen an diesen zu verkaufen, der sich mit jenem im Krieg befindet, und auch an jenen, der sich im Krieg mit diesem befindet!“.

Gewaltfreiheit als Politikstil
Der von der Rom-Konferenz geforderte Paradigmenwechsel in der kirchlichen Friedenslehre manifestiert sich bisher noch nicht in einer neuen Friedensenzyklika. Dennoch setzt Papst Franziskus klare Signale in Richtung einer Friedenslehre, die sich von der Lehre vom gerechten Krieg distanziert und auf gerechten Frieden und aktiver Gewaltfreiheit aufbaut. Was bedeutet diese Veränderung für das friedenspolitische Engagement der katholischen Kirche?

Dem Appell des Papstes folgte die bischöfliche Kommission Justitia et Pax in Deutschland. Im Juni 2019 veröffentlichte die Deutsche Kommission Justitia et Pax eine Erklärung (3), mit der sich die Kommission der von Papst Franziskus vertretenen Auffassung anschließt, nach der das Konzept atomarer Abschreckung zur Friedenssicherung nicht länger verantwortet werden könne. Das klare Bekenntnis der Kommission zur internationalen Ächtung von Atomwaffen bedeutet eine Revision der Position des Hirtenwortes „Gerechter Friede“ aus dem Jahr 2000, dass noch eine bedingte Zustimmung zum Besitz von Atomwaffen für ethisch vertretbar hielt. Mit der Unterstützung durch den Papst und die deutsche Bischofskonferenz erhält die Friedensbewegung wichtige Unterstützung im Einsatz für die Abschaffung der Atomwaffen und die Unterzeichnung des Atomwaffenverbotsvertrags. Dies ist ein wichtiger Teilerfolg für die katholische Friedensbewegung und Ausdruck einer sich wandelnden Friedenslehre.

Die katholische Friedensarbeit steht vor der Herausforderung, Gewaltfreiheit als Politikstil zu konkretisieren. Aufgrund der aktuellen gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen wird deutlich, dass die Gewaltfreiheit als Politikstil eines politischen Paradigmenwechsels bedarf. Im Kontext von Militarisierung und Aufrüstung ist es wichtig, der militärischen Sicherheitslogik mit einer friedenslogischen und gewaltfreien Alternative zu begegnen. Ein Szenario, wie der mittelfristigen Umstieg von der militärischen zu einer zivilen Sicherung konkret gelingen kann, hat die evangelische badische Landeskirche mit dem Dokument „Sicherheit neu denken – Von der militärischen zur zivilen Sicherheitspolitik“ (4) vorgelegt. Das Szenario ist ein Übersetzungsversuch der Gewaltfreiheit als Politikstil, an den sich aus Sicht der katholischen Friedensbewegung gut anknüpfen lässt. Es bündelt zentrale friedenspolitischen Forderungen und legt einen ganzheitlichen, zivilen Sicherheitsbegriff zu Grunde.

Um die Auseinandersetzung mit dem Thema weiterzuführen, lädt pax christi Ende Oktober zu einem Kongress zum Thema „Gewaltfreie Zukunft? Gewaltfreiheit konkret“ ein. Im Rahmen des Kongresses werden sozialwissenschaftliche, theologische und friedensethische Ansätze vorgestellt, die sich mit aktiver Gewaltfreiheit auseinandersetzen. Dabei werden sowohl die Ergebnisse der CNI als auch das Szenario Sicherheit neu denken päsentiert  und diskutiert.

Anmerkungen
1 Chenoweth, Erica/ Stephan, Maria J. (2011): Why Civil Resistance Works: Strategic Logic of Nonviolent Conflict, Columbia University Press.
2 Papst Franziskus (2016): Botschaft des Heiligen Vaters Papst Franziskus zur Feier des Weltfriedenstages, 1. Januar 2017, „Gewaltfreiheit: Stil einer Politik für den Frieden“.
3 Deutsche Kommission Justitia et Pax (2019): Die Ächtung der Atomwaffen als Beginn der nuklearen Abrüstung. Positionspapier, Schriftenreihe Gerechtigkeit und Frieden, Nr. 137, Berlin.
4 Becker, Ralf/ Maaß, Stefan/ Schneider-Harpprecht, Christoph (Hg.) (2018): Sicherheit neu denken. Von der militärischen zur zivilen Sicherheitspolitik - Ein Szenario bis zum Jahr 2040, Karlsruhe.

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Stefanie Wahl, M.A. ist pax christi-Bundesvorsitzende und arbeitet als Referentin für politische Bildung beim BDKJ Fulda.