Kriegsdienstverweigerung

Verweigerung wird Offizieren schwer gemacht

von P. Revere

Das Recht auf Kriegsdienstverweigerung (KDV) ist im deutschen Grundgesetz (GG) unter den "Grundrechten" in Artikel 4 Absatz 3 festgehalten, welcher besagt, dass "niemand (...) gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden [darf]." 1987 wurde dieses Recht außerdem durch die UNO-Vollversammlung zum internationalen Menschenrecht erhoben. Die deutsche Rechtsprechung regelt weitere Details im Kriegsdienstverweigerungsgesetz (KDVG), sowie durch diverse Gerichtsurteile. Festzuhalten ist, dass das KDV-Recht jedem Soldaten der Bundeswehr zusteht. Hatte es seine größte Relevanz bis Mitte 2011 für Wehrpflichtige, welche zum Dienst an der Waffe verpflichtet wurden, so steht es heute noch freiwillig Wehrdienstleistenden (FWDL), Soldaten auf Zeit (SaZ) und Berufssoldaten (BS) zur Verfügung. Um diese Gruppe der Freiwilligen, und vor allem um die Offiziere, geht es im Folgenden. Dass entsprechende Anträge ausführlich begründet werden müssen, um den Wandel von der freiwilligen Verpflichtung zum KDV-Antrag darzulegen, versteht sich von selbst, da ein Missbrauch des Rechts ausgeschlossen werden soll. Über den Antrag entscheidet das Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Angelegenheiten (BAFzA).

Betrachtet man die offiziellen Zahlen seit 2002, erkennt man, dass die KDV-Anträge stetig gestiegen sind. Lag die Zahl der Anträge von Freiwilligen damals noch unter 50, so waren es 2011 weit über 400. Betrachtet man nur die Offiziere, so waren es 2007 noch acht und im Jahr 2011 bereits 40 Antragsteller. Dass die Bundeswehr, die bereits heute damit Probleme hat, ausreichend qualifiziertes Personal zu gewinnen, mittelfristig Schwierigkeiten durch diese Abwanderung bekommt, ist nicht schwer nachzuvollziehen. Dass diese Problematik auch auf Bundeswehrseite wahrgenommen wird, zeigte der Besuch des aktuellen Amtschefs des Personalamtes der Bundeswehr, Generalmajor Schlenker, im Oktober 2012 an der Universität der Bundeswehr in Hamburg. In einer vertraulichen Gesprächsrunde wies er darauf hin, dass sich die hohe KDV-Quote gerade bei jungen Offizieren auf seiner Agenda befinde und er dieses Problem als wichtig und dringlich betrachte. An einer Lösung würde gearbeitet. Informationen über die Ausgestaltung einer Lösung gibt es jedoch nicht.

Im selben Zeitraum wurde eine erhöhte Ablehnungsquote von KDV-Anträgen gerade bei jungen Offizieren verzeichnet. Einer der Rechtsanwälte, welcher viele Soldaten bei ihrem KDV-Antrag begleitet, bestätigte, dass dieses Phänomen nur bei den Offizieren auftritt und bei anderen Dienstgradgruppen nicht erkennbar sei. So würden begründete Anträge, welche in ihrer Art in den letzten Jahren ohne Probleme durchgegangen wären, heute abgelehnt.

Begründet wurden die Ablehnungen zum Teil mit pauschalen Aussagen und dem Hinweis, dass einzelne Punkte der Begründung angezweifelt werden und der Antrag somit abgelehnt werden muss. Weiterhin wurden Informationen durch persönliche Gespräche, auch von einem Mitarbeiter des Personalamtes der Bundeswehr (PerABw), bekannt, dass Absprachen zwischen dem PersABw und dem BAFzA getroffen wurden. Auf Anfrage des Wehrbeauftragten des deutschen Bundestages, Herrn Königshaus, wurde dazu gesagt, dass Informationsgespräche stattgefunden haben und dass "dem Personalamt dabei jeder Ansatz einer Einflussnahme ferngelegen hätte". Ein ehemaliger Mitarbeiter des BAFzA, welcher sich an jüngst eingeführte Ablehnungsquoten bei KDV-Anträgen nicht halten wollte, soll, laut Rechtsanwalt, zwangsversetzt worden sein.

Auch eine kleine Anfrage der Bundestagsfraktion DIE LINKE zielte auf diese Problematik ab. In der Antwort der Bundesregierung wurde jedoch jede Einflussnahme, die Einführung von Quoten, sowie der Anstieg der Ablehnungsquote abgestritten. Weitere schriftliche Nachfragen ergaben schließlich Zahlen, welche die Ablehnungsquoten seit 2010 offenbaren. Seit Abschaffung der Wehrpflicht Mitte 2011 liegen diese bei knapp 5 Prozent. In den letzten beiden Quartalen 2012 liegen sie bei gut 23 Prozent. Man kann somit von einer 5-fachen Ablehnungsquote bei Betrachtung aller Dienstgrade sprechen.

Eine Aufschlüsselung nach Dienstgradgruppen, was die vermuteten noch höheren Quoten bei Offizieren erkennbar machen würde, wurde als nicht machbar zurückgewiesen. Seit Mitte März läuft eine weitere Anfrage, welche darauf hinweist, dass eine solche Aufschlüsselung in der Vergangenheit bereits herausgegeben wurde, und fordert nachdrücklich, diese Zahlen zu liefern. Des Weiteren wurden Fragen nach den zu besetzenden Offiziersstellen, der Fehlbesetzungsquote und der Entwicklung der Offizierbewerberzahlen gestellt. Solche Fragen sind normalerweise nach zwei Wochen zu beantworten, die Bundesregierung hat jedoch bereits eine Fristverlängerung beantragt.

Zum Schluss ist festzuhalten, dass sich das Lagebild nur sehr langsam lichtet. Aus anfänglichen Gerüchten und Vermutungen sind jedoch inzwischen erste handfeste Fakten hervorgegangen, welche zeigen, dass entsprechende Vorwürfe nicht aus der Luft gegriffen sind. Ob die Ablehnungen ein personalpolitisches Mittel der Bundeswehr sind, um künftig Soldaten von einem KDV-Antrag abzuschrecken, bleibt jedoch eine Vermutung. Die neuen Erkenntnisse helfen allerdings den betroffenen Soldaten wenig. Einige Soldaten befinden sich seit bis zu 7 Monaten im KDV-Verfahren (die Bundesregierung gibt an, dass 4-6 Wochen die Regel ist) und sind seitdem Spielball der Bundeswehr und der Ämter. Perspektivlosigkeit und Ungewissheit über die Zukunft prägen seitdem ihren Lebensalltag. Teilweise wurden diese nach ihrer Ablehnung wieder zurück in die Truppe versetzt und sollen dort, wartend auf eine Gerichtsverhandlung, weiter ihren Dienst versehen. Kann das richtig sein?

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P. Revere ist ein betroffener Offizier.