Rechte Frontstellung gegen eine aufgeklärte Moderne?

Verzweigungen von Populismus, Rechtsextremismus und Gewalt

von Claudia Luzar

Rechtsextreme Gewalttaten und Aufmärsche schockieren die Öffentlichkeit. An einigen Tagen bestimmen sie die Schlagzeilen in den Nachrichten. Die Namen von Städten wie Heidenau, Dresden oder Dortmund bleiben als Tatorte verbunden mit Rechtsextremismus und Gewalt. Das Jahr 2015 war gekennzeichnet durch eine Welle dieser Gewalt, die Angriffe gegen Flüchtlingswohnheime weckten Erinnerungen an die Brandanschläge in den neunziger Jahren.

Das Bundeskriminalamt verzeichnete 2015 über 1000 Anschläge auf Flüchtlingsheime. Die Zahlen für 2016 liegen noch nicht vor. Doch ist die politische Realität heute eine andere als noch vor zwanzig Jahren, denn heute wird auch von regierungspolitischer Seite ein offenes Zugeständnis von Deutschland als Migrationsgesellschaft gegeben. Diese Tatsache mobilisierte neue Widerstände und Bewegungen aus der Bevölkerung. So fanden in den letzten Jahren in Dresden Pegida- (Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes) Demonstrationen statt, bei denen in den Hochzeiten über zehntausend Menschen mit der Parole „Wir sind das Volk“, gegen den „Untergang des Abendlandes“ und „die Lügenpresse“ demonstrierten. Es entstand eine neue Partei, die sich am rechten Rand des Parteienspektrums mit dem Namen „Alternative für Deutschland“ platzierte und gleichzeitig Koalitionen mit den europäischen rechten Parteien wie dem Front National, der FPÖ oder der niederländischen Partij voor de Vrijheid einging. Im rechtspopulistischen bis rechtsextremen Spektrum gibt es erkennbare Bewegungen, Veränderungen und Neusortierungen. Dieser Artikel wird die aktuellen Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Rechtspopulismus und Rechtsextremismus aufzeigen und die Themen der jeweiligen Strömungen aufgreifen, sowie die Unterstützergruppen benennen.

Rechtsextremismus
Rechtsextremismus ist ein wissenschaftlich umstrittener Begriff und die Definitionen über diesen füllen Bücherregale. Je nach Fachrichtung stehen sich unterschiedliche Verständnisweisen gegenüber. (1) In der Extremismustheorie von Backes und Jesse ist das Fundament die freiheitlich demokratischen Grundordnung, die von ExtremistInnen von rechts und links in aktiv kämpferischer Art und Weise mit dem Ziel der grundsätzlichen Überwindung des Staates bekämpft wird. (2) Im Sinne dieser Definition bekämpfe der rechte Extremismus somit vor allem den Staat. Nicht erklären ließe sich so die Auswahl der realen Opfer der rechtsextremen Gewalt, die in der Regel Menschen aus gesellschaftlich schwachen Gruppen (MigrantInnen, Flüchtlinge) oder politische GegnerInnen aus zivilgesellschaftlichen Bereichen (alternative Jugendliche, VertreterInnen linker und antifaschistischer Gruppen) sind. Der Kern dieser spezifischen rechtsextremen Gewalt ist die stellvertretende Viktimisierung, das Opfer wird nicht als Individuum, sondern als Mitglied einer tatsächlichen oder vorgestellten Gruppe attackiert. Zu kurz greift in diesem Verständnis von Backes und Jesse auch Rechtsextremismus als politische Bewegung und Kultur, die sich anhand von Einstellungen und kulturellen Formen zeigt, in denen Gewalt, Männlichkeit und autoritäre Rebellion eine entscheidende Rolle spielen.

Rechtsextremismus in Anlehnung an Wilhelm Heitmeyer wird als Gegnerschaft zur Demokratie definiert. Kern rechtsextremen Denkens ist die Ungleichwertigkeit von Menschen, die sich durch rassistische, antisemitische und wohlstandschauvinistische Formen äußert und mit Gewalt oder Gewaltakzeptanz verbunden wird. (3) Der moderne Rechtsextremismus bezieht sich nur noch partiell auf den Nationalsozialismus, er stellt der demokratischen Gesellschaft ein Bild der vermeintlich natürlichen Ordnung in einem völkisch definierten, autoritär gestalteten Nationalstaat gegenüber. Unübersichtlichkeit soll durch Übersichtlichkeit und klare Regeln und eindeutige Gruppenbezüge überwunden werden. Er fächert sich auf in die militanteste Form des Rechtsterrorismus, den bewegungsförmigen Rechtsextremismus, der durch Kameradschaften und kulturelle Gruppen beschrieben werden kann sowie den parteiförmigen Rechtsextremismus wie der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD). Noch militantere Kleinstparteien wie der III. Weg oder die Partei „Die Rechte“ nutzen den Parteienstatus, um mögliche Betätigungsverbote zu umgehen. Diese „Bewegungsparteien“ erlangen medial Aufmerksamkeit durch gezielte Provokationen oder dem Aufbau von Droh- und Angstkulissen. Parteipolitischen Einfluss haben mittlerweile alle drei rechtsextremen Parteien nicht mehr. Nicht mal mehr im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern verfügt die NPD noch über eine Fraktion, lediglich in einigen Kommunalparlamenten ist sie vertreten. Überregional treffen sich die AktivistInnen des parlamentarischen sowie des bewegungsförmigen Rechtsextremismus bei Demonstrationen, Verteilaktionen, Konzerten, Veranstaltungen oder Kneipenabenden. Auch das Internet ist zu einer weltweiten Vernetzungsplattform geworden. 

Rechtspopulismus
Als Schanier zwischen dem rechten Rand innerhalb des demokratischen Spektrums und dem klaren Rechtsextremismus kann der Rechtspopulismus angesehen werden. Das Wort  „populus“  kommt aus dem Griechischen und heißt das Volk oder Publikum. Abgeleitet vom Wortstamm populis bedeutet Populismus zunächst nichts anderes als Volkstümlich oder volksnah. Diese Nähe zur Bevölkerung ist nicht zu beanstanden. Im Gegenteil: Viele PolitikerInnen gelten als erfolgreich, wenn sie diese Nähe zu den Menschen aufbauen und mit einfachen Worten komplexe Zusammenhänge erklären können. In den letzten Jahren wurden empathische Reden und Zuwendung zu den Personen und WählerInnen von vielen Menschen in Deutschland vermisst. Eine allgemein akzeptierte Definition gibt es bisher weder zum Populismus noch zum Rechtspopulismus. Populismus charakterisiert sich jedoch zunächst durch den Stil und weniger durch den Inhalt. So gibt es sowohl linken wie auch rechten Populismus. Gemeinsamkeiten finden sich in der Vereinfachung von Sprache, der Verwendung zahlreicher Wortbilder und Wiederholungen, dem Bezug auf gemeinsame große Kollektive mit unterschiedlichen Gruppen  („Wir“ und „Die“), bipolares Denken (Schwarz-Weiß Bilder), sowie der Auslassung von negativen Folgen politischen Handelns. Ein einzig sachorientierter Politikstil vergisst jedoch, dass Menschen auch eine emotionale Nähe zur Politik spüren wollen und eine Demokratie eine Volksherrschaft darstellen muss, in der sich die Bevölkerung auch repräsentiert und integriert fühlen kann.

Rechtspopulismus konzentriert sich jedoch allein auf die negative Beschreibung aktueller gesellschaftlicher Zustände. Bis 2014/2015 war Rechtspopulismus in Deutschland kaum organisiert. Manchmal blitzte er in Reden oder Büchern von VertreterInnen der Volksparteien auf. Eigenständige Bewegungen oder Akteure wie die Schill-Partei oder Thilo Sarrazin verschwanden jedoch innerhalb kurzer Zeit wieder. Diese Situation in Deutschland stellte im europäischen Vergleich eine Ausnahme dar und ist mit den Montagsdemonstrationen der Pegida Bewegung durchbrochen worden.

Ausgangspunkt in rechtspopulistischen Argumentationen ist die aktuelle Schwäche Europas gegenüber dem Islam, der sich kulturell, politisch und geographisch ausbreite. Durch muslimische Zuwanderung und eine höhere Fertilitätsrate von MigrantInnen würde die westlich, europäische Bevölkerung aussterben. RechtspopulistInnen konzentrieren sich in ihrer Rhetorik und den Argumentationen stark auf ihre GegnerInnen, die als einheitlicher Block aus Altparteien, Medien und Muslimen wahrgenommen werden. Eine Unterscheidung lässt sich zwischen einem äußeren und einem inneren Gegner erkennen: Der äußere Feind ist der Islam und im inneren nationalen Kern sind es MultikulturalistInnen, „Gutmenschen“ und die aktuelle Regierung, die wahlweise aus naiver Absicht oder aus Selbsthass die europäischen Werte zerstören würde. (4) Sie werben für ein eigenständiges und ökonomisch prosperierendes Deutschland in Nachbarschaft mit europäischen Ländern, aber ohne Europäische Union und die daraus folgenden finanziellen Verpflichtungen. Die Begrenzung der Zuwanderung nach ökonomischen  Kriterien und die Abschaffung der Sonderförderung und Sichtbarkeit von Minderheiten wie des Antidiskriminierungsgesetzes oder der Frauenquote. Immer wieder wird auch in den rechtspopulistischen Debatten eine andere Geschichtsinterpretation gefordert, die sich nicht nur oder hauptsächlich auf die Beschäftigung mit dem Nationalsozialismus bezieht. RechtspopulistInnen selbst sehen sich in den Debatten als BewahrerInnen deutscher oder europäischer Kultur und Werte. Angesprochen durch rechtspopulistische Themen, Gruppen oder Parteien fühlen sich bisherige NichtwählerInnen, ProtestwählerInnen, enttäuschte Konservative, Linke und SozialdemokratInnen, national gesinnte Personen sowie konservativ-liberale Schichten. (5) Parteipolitisch lässt sich die Alternative für Deutschland (AFD) als rechtspopulistisch beschreiben. Auch Pegida lässt sich als rechtspopulistische Bewegung beschreiben, jedoch finden sich ebenfalls rechtspopulistische Argumentationen in allen demokratischen Parteien.  Dabei konzentrieren sich die Themenbereiche auf Konflikte um Migration, Kriminalität oder die Soziale Frage, jedoch stets als unausweichliches Horrorszenario ohne einen konstruktiven Lösungsansatz.

Die Sprengkraft der Pegida Demonstration war dabei gerade die Tatsache, dass es zunächst den OrganisatorInnen gelang, sich von den rechtsextremen Strukturen und der Gewalt zu distanzieren und trotzdem Themen wie „Überfremdung“, „Islamisierung“ und Einwanderungspolitik aufzugreifen und diesen einen öffentlich akzeptierten Platz zu geben. So nahmen an den Demonstrationen auch Personen aus der Mitte der Gesellschaft teil, die sonst von den rechtsextremen Parolen und Gestiken abgeschreckt worden wären. Jedoch gab es bei den Demonstrationen von Pegida wie auch Veranstaltungen der AFD ein inhaltliches Bindeglied zwischen dem Rechtspopulismus und dem Rechtsextremismus, welches sich in der Ablehnung der Gleichwertigkeit aller Menschen äußert und dem Wunsch nach einer klaren und strukturierten Ordnung. Der fundamentale Unterschied zwischen RechtspopulistInnen und RechtsextremistInnen ist jedoch, dass erstere auf körperliche Gewalt als Mittel der Durchsetzung politischer Ziele verzichten und diese sogar explizit ablehnen. Die staatliche Ordnung als solche wird kritisiert, aber nicht deren Überwindung oder Abschaffung angestrebt, sondern deren Erhalt und nach ihren Vorstellungen den weiteren Ausbau durch reglementierende Gesetze. Rechte Radikalisierung und Mobilisierung ist heute kein Privileg klassischer RechtsextremistInnen in der Tradition der NationalsozialistInnen mehr. Es sind Konflikte in der modernen Einwanderungsgesellschaft, die von RechtspopulistInnen wie RechtsextremistInnen aufgegriffen werden. Die Gemeinsamkeit beider Strömungen ist die Gegnerschaft zu einer aufgeklärten, liberalen, demokratischen und den Menschenrechten verpflichteten Gesellschaft.

 

Anmerkungen
(1) Vgl. Stöss, Richard (2000):  Rechtsextremismus im Vereinten Deutschland. Berlin, Borstel, Dierk (2011): Braun gehört zu bunt dazu. Rechtsextremismus und Demokratie am Beispiel Vorpommern. Muenster. Luzar, Claudia (2015): Rechtsextremismus im sozialräumlichen Kontext. Viktimisierung durch rechtsextreme Gewalt und raumorientierte Opferberatung. Schwlbach /Ts.

(2) Vgl. Backes, Uwe/ Jesse, Eckhard (1996): Politischer Extremismus in der Bundesrepublik Deutschland. Bonn.

(3) Vgl. Heitmeyer, Wilhelm (2002): Rechtsextreme Gewalt. In: Heitmeyer, Wilhelm/Hagan, John (Hg.): Internationales Handbuch der Gewaltforschung. Wiesbaden. S. 516

(4) Counter-Jihad (Peter Neumann (2016): Der Terror ist unter uns. Dschihadismus und Radikalisierung in Europa. S.88

(5) Vgl. Oskar Niedermayer (2017): Die AfD und ihre Wählerschaft, in: Neue Gesellschaft/ Frankfurter Hefte, Nr. 3, S. 45-47

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Schwerpunkt
Dr. Claudia Luzar ist Konflikt- und Gewaltforscherin mit den Schwerpunkten Rechtsextremismus, Viktimologie und Deradikalisierung. Sie arbeitet seit Jahren an den Schnittstellen zwischen Wissenschaft und Praxis im In- und Ausland. Seit 2009 ist sie Lehrbeauftragte an der Fachhochschule Dortmund sowie der Universität Bielefeld. Derzeit arbeitet sie im Zivilen Friedensdienst in Kolumbien.