BICC Brief 20: "Wenn der Schwanz mit dem Hund wackelt - Zur Mobilisierung und De-Mobilisierung der UCK

Wag the Dog

von Andreas Heinemann-GrüderWolf-Christian Paes
Hintergrund
Hintergrund

Der vorliegende Brief beschäftigt sich mit der Entstehung der albanischen Kosovo Befreiungsarmee UCK (engl.: KLA) in den neunziger Jahren des 20. Jahrhunderts sowie mit der "Auflösung" der Guerillatruppe nach der Errichtung eines Protektorats unter der Schirmherrschaft der Vereinten Nationen und der NATO im Sommer 1999.

Mehr als zwei Jahre später ist dieses Thema immer noch hochaktuell, obwohl oder vielleicht gerade weil sich mit dem Sturz des Milosevic-Regimes in Belgrad die strategischen Parameter auf dem Balkan verschoben haben. Galt der bewaffnete Kampf eines Teils der albanischen Bevölkerung im Kosovo noch vor zwei Jahren als Ausdruck eines legitimen Selbstbestimmungswillens, werden heute vergleichbare Konflikte zwischen albanischen Separatisten und Ordnungskräften im südserbischen Presevo-Tal und in Mazedonien als Bedrohung für die regionale Stabilität bewertet.

Die Konflikte in diesen beiden an das Kosovo angrenzenden Regionen weisen deutliche Parallelen zum Kosovokonflikt auf, und es gibt Hinweise auf enge Verbindungen zwischen den Hintermännern der "alten UCK" und den bewaffneten Albanergruppen in den Nachbarstaaten. Vor diesem aktuellen Hintergrund beschäftigt sich der vorliegende Text mit der Entstehung der UCK und ihrer Entwaffnung und Demobilisierung seit September 1999.

Die Entwaffnung der UCK durch die internationale Kosovo Protection Force (KFOR) hatte, im Gegensatz etwa zu den bescheideneren Ansprüchen der NATO in Mazedonien im September 2001, die Einsammlung aller UCK-Waffen zum Ziel. Allerdings wurden nur etwa 10.000 Waffen sichergestellt, angesichts von 18.000 bis 20.000 UCK-Kämpfern eine recht niedrige Zahl. Substantielle Waffenfunde in den vergangenen zwei Jahren beweisen, dass die UCK - ebenso wie die serbische Minderheit im Kosovo - immer noch über verdeckte Waffenlager verfügt. Es ist anzunehmen, dass ein Teil dieser Waffen seinen Weg über die Grenzen in die Nachbarregionen gefunden hat.

Von den etwa 20.000 ehemaligen Kämpfern der UCK haben etwa 5.000 eine Stellung im "Kosovoschutzcorps" (engl.: Kosovo Protection Corps - KPC) gefunden, einer paramilitärischen Einheit, deren offizieller Auftrag im Katastrophenschutz liegt, die sich jedoch selbst als Kern einer zukünftigen Kosovo Armee versteht. Diese Truppe, deren Oberbefehl formal bei der KFOR liegt, trägt am deutlichsten die Züge der aufgelösten UCK, bis hin zu Details der Uniformen und Organisationsstrukturen. Im Jahr 2001 wurden Mitglieder dieser Einheit mit gewaltsamen Übergriffen auf Kosovo Serben, aber auch mit den bewaffneten Albanergruppen in den Nachbarstaaten in Zusammenhang gebracht.

Auch der neugegründete Kosovo Polizeidienst (engl.: Kosovo Police Service - KPS) besteht etwa zur Hälfte aus ehemaligen Mitgliedern der UCK: ein schwieriges Erbe für die multiethnische Polizeitruppe, die explizit mit dem Ziel aufgebaut wurde, eine vertrauensbildende Funktion zwischen den unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen auszuüben.

Die politische Landschaft des Kosovos wird durch den Konflikt und durch das Erbe der UCK geprägt. Die politischen Parteien zerfallen in zwei Lager, einerseits die moderaten Parteien um den "Schattenpräsidenten" und Schriftsteller Ibrahim Rugova und andererseits die Nachfolgeparteien der UCK, die von den ehemaligen Kommandanten Thaci und Haradinaj angeführt werden. Die Niederlage der UCK-Nachfolgeparteien im Rahmen der Kommunalwahlen im Oktober 2000 scheint einen schleichenden Bedeutungsverlust der ehemaligen UCK-Kommandeure in der Öffentlichkeit zu signalisieren. Trotzdem bestehen Kontakte zu den Separatisten und zur organisierten Kriminalität inner- und außerhalb des Kosovo fort.

Zusammenfassend kann man feststellen, dass sich die UCK seit Anfang der neunziger Jahre von einer radikalen Splittergruppe zu einer populären Befreiungsbewegung entwickelt hat, deren Kämpfer sich seit der Errichtung des UN-Protektorates entweder in die zivile Gesellschaft des Kosovos integrierten oder Positionen im entstehenden Sicherheitsapparat bzw. in der Politik des Territoriums anstreben. Dabei nutzte eine Reihe von Kämpfern die Umbruchphase im zweiten Halbjahr 1999 nicht nur zur persönlichen Bereicherung, sondern auch zu gewaltsamen Racheakten. Seit der Etablierung der UN-Übergangsverwaltung scheint sich der harte Kern der ehemaligen UCK gespalten zu haben. Während ein Teil der Kämpfer bereit scheint sich in die zivilen Strukturen zu integrieren, hängt eine radikale Minderheit "großalbanischen" Vorstellungen an.

Die ungelöste Frage der völkerrechtlichen Zukunft des Kosovos dominiert das politische Bewusstsein der Kosovo-Albaner und verhindert eine nachhaltige Befriedung der Region. Während die internationale Gemeinschaft an der Resolution 1244 (1999) des UN-Sicherheitsrates festhält, der eine Rückkehr der Provinz zur Bundesrepublik Jugoslawien vorsieht, wird diese Option von nahezu allen Albanern im Kosovo abgelehnt. Eine große Mehrzahl der im Rahmen dieser Studie befragten UCK-Kämpfer gab an, im Falle der Verwirklichung der Resolution wieder zu den Waffen greifen zu wollen. Dies zeigt die Notwendigkeit einer politischen Lösung für die "albanische Frage", nicht zuletzt mit Blick auf die Unruhen in den Nachbarstaaten des Kosovo.

Bezug: Der 56seitige Bericht, in englischer Sprache, ist beim BICC Bonn International Center for Conversion, kostenlos erhältlich. Kontakt: BICC, An der Elisabethkirche 25, 53113 Bonn.

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Andreas Heinemann-Grüder ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am BICC in Bonn.
Wolf-Christian Paes ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am BICC in Bonn.